Erdoğans „Blutrichter“ neuer Vizejustizminister

Der berüchtigte Strafrichter Akın Gürlek ist zum neuen stellvertretenden Justizminister ernannt worden. Gürlek war vor allem bei politisch hochbrisanten Prozessen bevorzugt im Einsatz, etwa gegen Selahattin Demirtaş, Canan Kaftancıoğlu und Can Dündar.

Der berüchtigte Istanbuler Strafrichter Akın Gürlek ist von Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan ins Justizministerium befördert worden. Das geht aus einem am Donnerstag im Amtsblatt veröffentlichten Erlass hervor. Mit der Ernennung übernimmt Gürlek ab sofort das Amt des stellvertretenden Justizministers. Die Opposition ist verärgert.

Gürlek gilt als loyaler Gefolgsmann von Erdoğan und ist als „Henker in Robe“ bekannt. Er kam bei politisch hochbrisanten Prozessen bevorzugt zum Einsatz und sprach hohe Haftstrafen aus. Den kurdischen Politiker und Ex-Vorsitzenden der Demokratischen Partei der Völker (HDP), Selahattin Demirtaş, verurteilte Gürlek 2018 wegen „Propaganda für eine Terrororganisation“ zu vier Jahren und acht Monaten Freiheitsstrafe. Der Filmemacher und ehemalige HDP-Abgeordnete Sırrı Süreyya Önder erhielt im selben Verfahren eine dreieinhalbjährige Haftstrafe. Das Urteil gegen die Istanbuler CHP-Vorsitzende Canan Kaftancıoğlu über knapp zehn Jahre Gefängnis wegen diverser Vorwürfe, unter anderem „Terrorpropaganda“ fiel 2019 in den Zuständigkeitsbereich von Gürlek. Vergangenen Mai stimmte das oberste Berufungsgericht der Türkei der Verurteilung in drei Anklagepunkten zu. Sie soll für vier Jahre, elf Monate und 20 Tage hinter Gitter. Mit dem Urteil ist ein Politikverbot für fünf Jahre verbunden. Am Dienstag befand sich Kaftancıoğlu im Gefängnis in Silivri und wurde am selben Tag unter Führungsaufsicht entlassen.

Ebenfalls 2019 hatte Akın Gürlek siebzehn Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte der Vereinigung progressiver Jurist:innen (ÇHD) in Abwesenheit der Angeklagten und unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu Haftstrafen zwischen zwei Jahren und 15 Tagen und 18 Jahren und neun Monaten verurteilt. Ebru Timtik, eine der Verurteilten im ÇHD-Prozess, starb im August 2020 an den Folgen eines monatelangen Hungerstreiks für ein gerechtes Verfahren. Keine drei Wochen nach ihrem Tod hob der Kassationshof das Urteil gegen Timtik auf.

2020 sorgte Akın Gürlek dafür, dass der bekannte Exil-Journalist Can Dündar als „flüchtig“ erklärt und sein Vermögen beschlagnahmt wird. Im selben Jahr weigerte er sich, eine Entscheidung des türkischen Verfassungsgerichts zu einem Urteil gegen den CHP-Politiker Enis Berberoğlu umzusetzen. Berberoğlu war zwischen Juni 2017 und September 2018 – damals als Abgeordneter – inhaftiert. Er war wegen Geheimnisverrats zunächst zu 25 Jahren Haft verurteilt worden, in einer Neuverhandlung wurde das Urteil im Februar 2018 auf fünf Jahre und zehn Monate reduziert. Dem Politiker wurde vorgeworfen, der regierungskritischen Zeitung „Cumhuriyet“ geheime Informationen zugespielt zu haben, die türkische Waffenlieferungen an Islamisten in Syrien im Jahr 2014 belegen sollen.

Bei den Parlamentswahlen im Juni 2018 war Berberoğlu als Abgeordneter für die CHP für fünf Jahre wiedergewählt worden – aus der Haft heraus. Das Verfassungsgericht entschied im vergangenen Januar einstimmig, mit der Haft sei Berberoğlus Recht auf persönliche Freiheit und jenes auf Ausübung einer politischen Tätigkeit verletzt worden. Das Gericht hatte bereits im vergangenen September geurteilt, dass Berberoğlus Rechte verletzt und der Fall neu aufgerollt werden müsse. Ein untergeordnetes Gericht in Istanbul mit Gürlek als Vorsitzendem verweigerte jedoch die Umsetzung. 

Im Juni 2020 war Berberoğlu zeitgleich mit den kurdischen HDP-Abgeordneten Leyla Güven und Musa Farisoğulları das Abgeordnetenmandat wegen eines rechtskräftigen Urteils entzogen worden. Anschließend wurde er erneut verhaftet, dann aber wegen der Corona-Pandemie in den Hausarrest entlassen. Für Güven und Farisoğulları galt die Regelung nicht.