Im Prozess gegen einen Solidaritätsverein kurdischer Geistlicher hat das Gericht in Istanbul die Haftbefehle gegen drei Angeklagte aufgehoben: Sefa Mehmetoğlu, Nezir Demirci und Enver Karabey. Drei weitere Beschuldigte sind aus dem Hausarrest entlassen worden. Für alle nicht inhaftierten Beklagten fällt darüber hinaus die Meldeauflage als Überwachungsmaßnahme weg. Der Vereinsvorsitzende Ekrem Baran bleibt in Untersuchungshaft.
In dem vor der 14. Schwurgerichtskammer Istanbuls verhandelten Verfahren sind insgesamt 23 Geistliche angeklagt, denen die Mitgliedschaft in einer „Terrororganisation“ – gemeint ist die PKK – und Unterstützung für selbige vorgeworfen wird. Lauf der kafkaesken Anklageschrift sollen die teils hochbetagten Männer, darunter Imame und Totenwäscher, durch die Gründung des „Vereins für gegenseitige Hilfe und Solidarität der Geistlichen“ (DIAYDER) angestrebt haben, „im Sinne von Abdullah Öcalan“ eine Art „Parallel-Diyanet“ ins Leben zu rufen.
Die erste Hauptverhandlung war am Freitag eröffnet worden und wurde diesen Montag fortgesetzt. Rechtsanwältin Ayşe Acinikli bezeichnete das Verfahren erneut als „hanebüchene Prozessfarce“ und forderte das Gericht auf, die Anklage in allen Punkten abzuweisen. Die Juristin zeigte sich erneut empört über die Anklageschrift, die einem „Hirngespinst“ gleiche, und bezeichnete die Anklagepunkte gegen ihre Mandanten als unhaltbar. Laut Acinikli ließen sich der Anklageschrift keine strafbaren Handlungen der Angeklagten entnehmen, im Gegenteil: alle Anschuldigungen seien konstruiert. Im Fall eines Angeklagten wird unter anderem der Kauf von Käse im Wert von umgerechnet zwölf Euro als PKK-Unterstützung ausgelegt, weil der Hersteller angeblich als „Terrorunterstützer“ aufgefallen sei. Ein anderer Beschuldigter soll gar nicht Mitglied von DIAYDER sein, sondern lediglich Kontakte im Umfeld des Vereins haben.
Linientreuer Richter
Der vorsitzende Richter des Kollegialgerichts, Akın Gürlek, verwarnte die Juristin daraufhin, weil sie eine „Show“ abziehen würde. Gürlek gilt als loyaler Gefolgsmann von Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan. Daher ist es nicht verwunderlich, dass politisch hochbrisante Prozesse wie etwa gegen den HDP-Politiker Selahattin Demirtaş, die Istanbuler CHP-Vorsitzende Canan Kaftancıoğlu oder den ÇHD-Präsidenten Selçuk Kozağaçlı in Gürleks Zuständigkeitsbereich fallen.
DIAYDER nur Opferlamm
Die Anklage versucht zwischen der – weiterhin legalen – Vereinigung und der Stadtverwaltung von Istanbul einen strukturellen Zusammenhang herzustellen, um Oberbürgermeister Ekrem Imamoğlu (CHP) aus dem Rathaus zu hieven. Alle Beschuldigten im DIAYDER-Verfahren tauchen auch in der vom türkischen Innenministerium im Dezember eingeleiteten Untersuchung gegen die Stadtverwaltung wegen vermeintlichem Terrorverdacht auf. Angeblich würden gegen mehr als 550 der rund 33.000 unter Imamoğlu eingestellten neuen Beschäftigten Beschwerden wegen vermeintlicher Verbindungen zu „Terrororganisationen“ vorliegen, allein 455 beträfen die PKK. Merkwürdig ist nur, dass alle neuen Angestellten bereits eine Sicherheitsüberprüfung durch das Innenministerium durchlaufen haben. Laut Acinikli laufen die Ermittlungen gegen DIAYDER bereits seit der Vereinsgründung im Jahr 2008. Die Akte soll aber erst jetzt im Zusammenhang mit den Kriminalisierungsversuchen gegen die Istanbuler Stadtverwaltung herausgekramt worden sein. DIAYDER ist also nur ein Opferlamm. Der Prozess wird am 18. März fortgesetzt.