Die Entscheidung des 26. Schwurgerichtshofs von Istanbul, den inhaftierten ehemaligen Ko-Vorsitzenden der Demokratischen Partei der Völker (HDP) und den ehemaligen HDP-Abgeordneten Sırrı Süreyya Önder wegen „Propaganda für eine [verbotene] Organisation“ zu vier Jahren und acht Monaten, bzw. zu drei Jahren und sechs Monaten Haft zu verurteilen, entbehrt jeglicher nachvollziehbarer Begründung.
Gedenken an Ermordete als „Straftat“ bewertet
In der Urteilsbegründung heißt es, Demirtaş hätte auf einer Newroz-Kundgebung „harte Worte“ gebraucht: „Haben Sie jemals um Mitternacht auf einem Wachposten Dienst getan? Ich lade diejenigen, die sagen, wir machen Kandil dem Erdboden gleich, persönlich ein, schultert ein G-3-Gewehr und geht, schiebt mal eine Nacht Wache in Gabar. Dann schauen wir mal, ob Kandil platt gemacht wird oder nicht“. Dieser Redeausschnitt wurde als „Unterstützung des bewaffneten Kampfes“ ausgelegt. Auch das Gedenken an die drei im Januar 2013 in Paris von einem MIT-Agenten ermordeten Revolutionärinnen Sakine Cansız, Fidan Doğan und Leyla Şaylemez wurde in der Urteilsbegründung aufgeführt.
Grüßen stellt auch eine Straftat dar…
In der Gerichtsentscheidung wurde Önder zur Last gelegt, Grüße von Abdullah Öcalan in einer Rede zu Newroz übermittelt zu haben. Seine Worte „Wir sind stolz auf Kurdistan und seine würdevollen Kinder“ wurden als Lob von Gewaltaktionen ausgelegt. Außerdem heißt es, er versuche durch „die Bezeichnung eines Teils des Bodens der Republik Türkei als sogenanntes Kurdistan, die Ideologie der Separatistenorganisation zu verbreiten“. Diese Straftat, insbesondere von ihm als Abgeordneten begangen, stelle eine besondere Gefahr für die Gesellschaft dar.
Keine mildernden Umstände
Zu möglichen mildernden Umständen sagte das Gericht, dass es aufgrund der „negativen Haltung des Angeklagten in der Verhandlung und seinem Benehmen, dem Nichtbeachten der Ruhe und der Disziplin des Verfahrens und der Ermahnungen von Seiten des Gerichts“ nicht geboten sei, eine Straferleichterung zu erteilen.
Demirtaş: Wir kämpfen weiter, ohne uns einschüchtern zu lassen
Demirtaş kommentierte die Entscheidung über seinen Twitter-Account mit den Worten: „Das Gericht war niemals gerecht und hat keine universellem Recht entsprechende Entscheidung getroffen. Aber keine Entscheidung war bisher so offen illegal und vom Geist der Rache erfüllt. Ich möchte bezüglich unserer Reden, die zur Begründung unserer Haftstrafen herangezogen werden, an das Polizeiprotokoll erinnern.“
Demirtaş bewertete die Entscheidung als „beschämend“ und sagte: „Aber unser Kampf für Recht und Gerechtigkeit geht weiter. Wir lassen uns nicht einschüchtern. Diejenigen, die ihre Unterschrift unter dieses Urteil gesetzt haben, werden mit Sicherheit eines Tages Rechenschaft vor einem unabhängigen Richter abzulegen haben.“