Istanbuler CHP-Vorsitzende zu hoher Haftstrafe verurteilt

Die Istanbuler Vorsitzende der Oppositionspartei CHP, Canan Kaftancıoğlu, ist in der Türkei zu einer neunjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Der Politikerin wird vorgeworfen, „Terrorpropaganda“ betrieben und den Staat „erniedrigt“ zu haben.

Die Istanbuler Vorsitzende der Oppositionspartei CHP, Canan Kaftancıoğlu, ist in der Türkei zu einer langjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Ein Gericht in der Metropole am Bosporus sprach die 47-jährige Sozialdemokratin am Freitag wegen den Vorwürfen der Terrorpropaganda, Volksverhetzung, Präsidentenbeleidigung, Beamtenbeleidigung und Verunglimpfung des Staats schuldig und verurteilte sie zu neun Jahren und acht Monaten Haft. Die Staatsanwaltschaft forderte sogar bis zu 17 Jahre. Unter den acht Klägern ist auch Präsident Recep Tayyip Erdoğan. 

Das Urteil bezieht sich auf Beiträge, die Canan Kaftancıoğlu zwischen 2012 und 2017 in sozialen Medien geteilt haben soll. Die Ermittlungen hatten schon im Januar 2018 begonnen, nur wenige Tage nach der Wahl der Politikerin zur ersten weiblichen CHP-Provinzvorsitzenden von Istanbul.

Auf die Frage des vorsitzenden Richters, ob sie vor der Urteilsverkündung noch etwas zu sagen hätte, antworte Kaftancıoğlu: „Wie auch immer es ausfallen mag, werde ich zu meiner Meinung stehen. Ganz gleich, ob drinnen oder draußen, ich werde meine Träume nicht aufgeben. Die Zeit ist unsere. Er [gemeint ist Erdogan, Anm. d. Red.] hat verloren, wir - 80 Millionen - haben gewonnen.“ 

Der Grund für das Urteil ist altbekannt: Kaftancıoğlu solidarisiert sich immer wieder öffentlich mit sozialen Bewegungen. Die aus Ordu an der Schwarzmeerküste stammende Politikerin war bereis als Medizinstudentin in der Demokratiebewegung aktiv. Nach ihrem Studienabschluss 1995 arbeitete Canan Kaftancıoğlu zunächst in Sêwas (Sivas) als Ärztin, 1997 begann sie an der medizinischen Fakultät in Istanbul eine Ausbildung zur Gerichtsmedizinerin. Seit 2011 übernahm sie verschiedene Aufgaben bei der CHP. Nach der Niederschlagung der Proteste gegen ein geplantes Bauprojekt auf dem Gelände des Gezi-Parks im Zentrum Istanbuls im Sommer 2013 schloss sie sich der Bewegung Vereinigter Juni an.

Seitdem sich Canan Kaftancıoğlu in der Politik engagiert, setzt sie sich zudem dafür ein, dass sich die Türkei ihrer negativen Vergangenheit stellt. Sie war maßgeblich an der Gründung der „Plattform für das gesellschaftliche Gedächtnis“ beteiligt. Als sie vor drei Jahren die Armenienresolution des deutschen Bundestags unterstützte, wurde sie in der Türkei als Vaterlandsverräterin verleumdet.

Solidarität mit ermordeten kurdischen Politikerinnen

Insbesondere in Bezug auf einen Twitter-Beitrag von Canan Kaftancıoğlu wurde die Mutter einer Tochter von AKP-Politikern und der regierungsnahen Presse immer wieder an den Pranger gestellt. Als am 9. Januar 2013 die kurdischen Revolutionärinnen Sakine Cansız, Fidan Doğan und Leyla Şaylemez von einem Auftragsmörder des türkischen Geheimdienst MIT in Paris hingerichtet wurden, schrieb Kaftancıoğlu: „Sakine Cansız sagte einmal: ‚Die Geschichte der Menschheit beginnt mit der Frau. Die Menschheit ist die Verliererin angesichts dessen, was Frauen angetan wird.‘ Und wieder hat die Menschheit verloren.“

Für die Dauer des Berufungsverfahrens wird die Oppositionspolitikerin allerdings nicht festgenommen. Ein Berufungsgericht muss binnen sechs Monaten über den Fall entscheiden.