In Borna bei Leipzig beginnt am Donnerstag, 13. Oktober, mit einem Prozess gegen Juliane Nagel, Mitglied des Sächsischen Landtages für DIE LINKE und Stadträtin in Leipzig, am Amtsgericht eine Reihe von Strafverfahren wegen der Teilnahme an Braunkohleprotesten des Aktionsbündnisses Ende Gelände im November 2019. Damals waren mehr als 1.000 Aktivist:innen in den Tagebau Vereinigtes Schleenhain in der Nähe von Leipzig gelangt, blockierten friedlich den Kohleabbau und verließen die Grube anschließend freiwillig. Die Mitteldeutsche Braunkohlengesellschaft (MIBRAG) erstattete Strafanzeige wegen Hausfriedensbruch. Angezeigt wurden aber nicht nur Aktivist:innen. Hausfriedensbruch werfen die Strafverfolgungsbehörden auch mehreren Journalist:innen vor, die über die Aktion berichteten, und ebenso zwei Landtagsabgeordneten, die als parlamentarische Beobachter:innen vor Ort waren.
„MIBRAG will uns einschüchtern“
Dazu erklärt Sina Reisch, Pressesprecherin von Ende Gelände: „Die MIBRAG will uns einschüchtern. Ich werde nur aufgrund meiner Pressearbeit für Ende Gelände angeklagt, denn meine Personalien wurden in der Aktion nicht von der Polizei erfasst. Auch von RWE kennen wir diese Form der Repression gegen die, die öffentlich Aufklärungsarbeit leisten. Während Kohlekonzerne weiter Milliardengewinne einfahren, stehen diejenigen Menschen vor Gericht, die sich für eine klimagerechte Zukunft einsetzen. Uns wird Hausfriedensbruch vorgeworfen, aber was für ein Hausfrieden soll das sein? Das Haus brennt und wir halten die fossilen Brandstifter davon ab, weiter Öl ins Feuer zu gießen."
Pumuckl, Klimaaktivist:in von Ende Gelände, ergänzt: „Kriminell ist, wenn Energiekonzerne wie die MIBRAG mit dreckiger Braunkohle Gewinne machen und für ihre Profite den Planeten verheizen. Ende Gelände stellt sich den Klimaverbrechen der fossilen Konzerne immer wieder entgegen. Es ist völlig absurd, dass Aktivist:innen deshalb kriminalisiert und vor Gericht gestellt werden. Wir lassen uns nicht einschüchtern. Ganz im Gegenteil: Die Klimagerechtigkeitsbewegung wird größer und stärker.“
Journalist:innen wegen Hausfriedensbruch vor Gericht
Die Pressefreiheit ist eine der tragenden Säulen der Demokratie. Die Arbeit von Medienvertreter:innen und die freie Berichterstattung stehen deshalb unter dem besonderen Schutz des Grundgesetzes. In den vergangenen Jahren häufen sich allerdings die Fälle, in denen Journalist:innen zu Unrecht von Einsatzkräften an der Arbeit gehindert werden. In Leipzig sollen sich nun sogar Journalist:innen wegen Hausfriedensbruch vor Gericht verantworten, die bei der Protestaktion von Ende Gelände vor Ort recherchiert und von dort berichtet haben.
Tim Wagner, ein betroffene Journalist, kommentiert: „Eins meiner Fotos von diesen Protesten im Tagebau wurde zum sächsischen Pressefoto des Jahres 2019 gewählt. Dies zeigt, wie relevant das Ereignis auch in der Berichterstattung im gesamten Jahr und für diese Bundesland war. Es ist inakzeptabel, dass hier der konstruierte Hausfrieden einer riesigen Braunkohlegrube vorgeschoben wird, um journalistische Arbeit zu behindern und zu delegitimieren."
Marco Bras dos Santos, ein ebenfalls betroffener Journalist, ergänzt: „Eine demokratische Gesellschaft ist ohne Pressefreiheit nicht denkbar. Dass Medienschaffende von Energiekonzernen mit Klagen überzogen werden, zeugt von einem antidemokratischen Verständnis. Ich würde mir wünschen, dass diese Praxis der Vergangenheit angehört."
Abgeordnete unterschiedlicher Parteien begleiten immer wieder Protest- und Blockadeaktionen der Klimagerechtigkeitsbewegung. Sie beobachten, kontrollieren die Rechtsstaatlichkeit polizeilichen Handelns, deeskalieren und vermitteln. Diese Form der parlamentarischen Beobachtung gilt als wichtiger Garant der Versammlungsfreiheit. Als parlamentarische Beobachter:innen haben zwei langjährige Mitglieder des Sächsischen Landtags die damalige Aktion von Ende Gelände begleitet. Im Juli 2021 hat der Landtag beiden Abgeordneten die Immunität entzogen, um den Weg für deren Strafverfolgung freizumachen.
Juliane Nagel und Marco Böhme, die betroffenen Abgeordneten des sächsischen Landtags, erklären: „Wir haben im November 2019 eine Aktion von Ende Gelände als parlamentarische Beobachter:innen begleitet. Die Begleitung von Protesten für soziale und Klimagerechtigkeit gehört zu unserem Selbstverständnis als linke Abgeordnete. Wir haben die Demonstration nicht angeführt oder organisiert, sympathisieren aber aus vollem Herzen mit dem Anliegen eines raschen Kohleausstiegs und internationaler Klimagerechtigkeit. Wir haben kein Verständnis dafür, dass die MIBRAG als private Eigentümerin des Tagebaus sowohl uns, vor allem aber auch Aktivist:innen und Pressevertreter:innen den Prozess macht. Denn: Es geht hier nicht um Privatinteressen, sondern um unser aller Zukunft!"
Die Strafprozesse finden im Amtsgericht Borna in der Nähe von Leipzig, Leipziger Straße 67a, an den folgenden Terminen statt:
Donnerstag, 13.10.2022 um 9 Uhr in Saal 118
Juliane Nagel, Mitglied des Sächsischen Landtages für DIE LINKE und Stadträtin in Leipzig
Freitag, 28.10.2022 um 9 Uhr in Saal 119
Sina Reisch, Pressesprecherin Ende Gelände
Dienstag, 01.11.2022 um 9 Uhr (Saal wird noch bekannt gegeben)
Marco Böhme, Mitglied des Sächsischen Landtages für DIE LINKE
Dienstag, 08.11.2022 um 9 Uhr (Saal wird noch bekannt gegeben)
Dirk Knofe, Fotograf
Freitag, 02.12.2022 um 9 Uhr (Saal wird noch bekannt gegeben)
Marco Bras dos Santos, Journalist
Noch nicht terminiert:
Pumuckl, Aktivist:in Ende Gelände