TTB beleuchtet Praxis der Nacktdurchsuchung in Gefängnissen

Der Türkische Ärztebund prangert in seiner Fachzeitschrift die systematische Anwendung von Nacktdurchsuchungen in Gefängnissen als entwürdigend und potenziell traumatisierend an. Die Praxis verstoße gegen Menschenrechte.

„Tiefgreifender Eingriff in die Würde“

In der vom Türkischen Ärztebund (TTB) herausgegebenen Fachzeitschrift „Tıp Dünyası“ (Welt der Medizin) wird die in türkischen Gefängnissen weit verbreitete Praxis der Nacktdurchsuchung als Form der systematischen Erniedrigung und potenziell als Folter thematisiert. Der Artikel mit dem Titel „Nacktdurchsuchung ist eine Form der Folter“ stellt klar, dass es sich bei dieser Praxis nicht um eine legitime Sicherheitsmaßnahme, sondern um ein Mittel zur Machtausübung und Einschüchterung handelt. Die TTB-Humanrechtskommission, die den Beitrag verfasst hat, hebt hervor, dass es im türkischen Strafrecht keine ausdrückliche gesetzliche Regelung für nackte Leibesvisitationen gebe, obwohl das Vorgehen seit Jahren dokumentiert und beklagt werde.

Völkerrechtliche und ethische Einordnung

Die Autor:innen berufen sich auf die Nelson-Mandela-Regeln der Vereinten Nationen, die vorschreiben, dass Durchsuchungen stets unter Achtung der Menschenwürde, der Intimsphäre und auf Basis von Verhältnismäßigkeit durchzuführen seien. Auch die Weltärztevereinigung bezeichnete in ihrer letzten Stellungnahme 2016 „Zwangsdurchsuchungen“ als ethisch inakzeptabel.

Systematische Betroffenheit von Frauen und LGBTIQ+-Personen

Besondere Kritik richtet der Artikel an der gezielten Anwendung nackter Durchsuchungen gegenüber weiblichen Gefangenen und LGBTIQ+-Personen (lesbisch, schwul, bisexuell, trans, inter und queer). Diese Praxis werde in vielen Fällen als Ausdruck patriarchaler Gewalt und sexualisierter Machtdemonstration verstanden. Die Redaktion verweist auf Berichte über Betroffene, die diese Durchsuchungen als traumatisierend, beschämend und mit Gefühlen von Ohnmacht, Entmenschlichung und Angst verbunden schildern.

Psychologische Folgen und strukturelle Gewalt

Der Artikel führt aus, dass der erste Kontakt mit einer nackten Leibesvisitation für viele Insass:innen als symbolischer Moment der totalen Entmündigung empfunden werde. Die dabei ausgelösten psychischen Traumata – insbesondere bei Frauen, die bereits Gewalt- oder Missbrauchserfahrungen gemacht haben – könnten zu langanhaltenden psychischen Beeinträchtigungen führen.

Begriffspolitik: Von „nackt“ zu „detailliert“

Kritisiert wird auch die im Jahr 2021 eingeführte sprachliche Umbenennung der Praxis von „Nacktdurchsuchung“ zu „detaillierte Durchsuchung“ im türkischen Gesetzestext. Dies sei ein Versuch, die gewaltvolle Natur der Praxis zu verschleiern. Während der Begriff „nackt“ Assoziationen von Entblößung und Machtlosigkeit wecke, suggeriere „detailliert“ vielmehr Gründlichkeit und Professionalität, so die Kritik.

Forderung nach rechtsstaatlicher Kontrolle und Alternativen

Der TTB fordert als Konsequenz, dass nackt durchgeführte Leibesvisitationen nur als letztmögliche Maßnahme unter rechtsstaatlicher Kontrolle erfolgen dürfen. Zudem müsse dringend in alternative, menschenwürdige und technologisch zeitgemäße Methoden der Sicherheitskontrolle investiert werden.

Die Praxis der Nacktdurchsuchung, so das Fazit des Beitrags, sei nicht nur medizinisch und psychologisch problematisch, sondern untergrabe auch den Rechtsstaat und diene letztlich der Disziplinierung durch Entwürdigung. Sie müsse als das benannt werden, was sie sei: eine Form sexualisierter Gewalt unter staatlicher Aufsicht.