Mehrere Deutsche, die vor einigen Wochen bei einem Solidaritätsbesuch in der nordkurdischen Provinz Riha (tr. Urfa) festgenommen worden waren, wollen juristisch gegen ihre Ausweisung aus der Türkei vorgehen. Das kündigten sie am Donnerstag auf einer Pressekonferenz im Berliner Haus am Franz-Mehring-Platz an. Zudem sprachen sie über ihre Erfahrungen in türkischer Haft.
Insgesamt waren es 15 junge Menschen, hauptsächlich Studierende, die sich an der international aufgestellten Delegationsreise beteiligt hatten: neun Deutsche, ein Franzose und fünf Italiener:innen. Sie waren eingeladen worden vom Jugendrat der Grünen Linkspartei (YSP) – die sich inzwischen in „Partei der Völker für Gleichberechtigung und Demokratie“ (HEDEP) umbenannt hat – an deren Kongress teilzunehmen. Ziel der Gruppe war es aber auch, Solidarität mit der unterdrückten kurdischen Bevölkerung zu zeigen, sich vor Ort ein Bild davon zu machen, wie die staatliche Repression im Alltag aussieht – und wie man sich dagegen wehren kann – und aus den Erfahrungen beim Aufbau selbstverwalteter Strukturen zu lernen.
„Wir sind Jugendliche, die sich für die Lösung der kurdischen Frage interessieren“
„Wir sind Jugendliche, die sich für die Lösung der kurdischen Frage interessieren und dafür auch Verantwortung übernehmen wollen. Alles aus der Ferne zu betrachten, hat uns nicht gereicht, wir wollten dem Ganzen ein Stück näher sein, um die Ernsthaftigkeit, die Dringlichkeit, die Problematiken und die Arbeiten besser begreifen zu können“, erklärte Delegationsmitglied Mia Lange. Besonders seit den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im Mai, durch die das Regime von Recep Tayyip Erdoğan weiterhin an der Macht ist, gebe es für die lokalen Demokratiearbeiten „noch mehr Repressionen, Willkür und Unterdrückung“, betonte die Internationalistin. Deshalb habe man einen Teil dazu beitragen wollen, die Thematik sichtbar zu machen.
Geschlagen, gedemütigt und verlacht
Aus der Delegationsreise wurde jedoch schnell ein Albtraum – und die Mitglieder bekamen die allgegenwärtige Repression in der Türkei selbst zu spüren: Am 12. Oktober wurden sie in Riha von der Polizei verhaftet und landeten in einem türkischen Abschiebezentrum. „Wir waren uns der Risiken in einem rechtsfreien Land wie der Türkei bewusst, aber das Ausmaß der Gewalt und Willkür an unseren Körpern hat uns geschockt“, berichtete Mia Lange. Man habe ihnen die Handys aus der Hand geschlagen, sie mit Kabelbindern gefesselt. Es kam zu schweren Misshandlungen, insbesondere an den männlichen Delegationsmitgliedern, die entwürdigenden Nacktdurchsuchungen unterzogen wurden. Sie wurden ins Gesicht geschlagen, gedemütigt und verlacht. „Drei Tage lang wurde versucht, unsere Moral und unser Selbstbewusstsein zu brechen“, so Mia Lange weiter.
Festnahmen vor Presseerklärung zu Angriffen auf Rojava
Die Festnahmen kamen überraschend für die Delegation: Diese hätte am 15. Oktober in Ankara an einem Kongress der YSP teilnehmen sollen. Am Tag ihrer Festsetzung war die Gruppe auf dem Weg zu einer Pressekonferenz, auf der die YSP sowie ihre Schwesterparteien HDP (Demokratische Partei der Völker) und DBP (Partei der demokratischen Regionen) eine Erklärung zu der Anfang Oktober gestarteten Angriffswelle der Türkei gegen die Autonomieregion Nord- und Ostsyriens, auch bekannt als Rojava, verlesen wollten. Dazu kam es nicht mehr: Eine Stunde vor Beginn der Veranstaltung hatten die Behörden die Pressekonferenz kurzerhand für illegal erklärt, die sich versammelte Menschenmenge wurde gewaltsam auseinandergetrieben. Auch zwanzig Kurdinnen und Kurden, darunter Mitglieder des YSP-Jugendrats, waren an jenem Tag in Gewahrsam genommen worden.
Abgeordnete: Keine gesetzliche Grundlage für Festnahmen
„Die Festnahmen erfolgten vor Erreichen des Geländes der Pressekonferenz“, sagte die HEDEP-Abgeordnete Dilan Kunt Ayan, die per Videokonferenz nach Berlin geschaltet wurde. Laut der Parlamentarierin gab es keine gesetzliche Grundlage für das Vorgehen gegen die internationalistischen Jugendlichen, aber in der Türkei würden Richter die Gesetze ohnehin nicht beachten. Der Grund im aktuellen Fall: „Der türkische Staat will nicht einsehen, dass europäische Jugendliche sich für die kurdische Sache einsetzen und Partei für die Kurd:innen ergreifen, aber auch Demokratiedefizite in der Türkei thematisieren.“ Die Delegation sieht auch eine Mitschuld Deutschlands an den Angriffen der Türkei auf die Kurd:innen, weil man Interessen teile: „Wir wissen, wo der deutsche Staat steht: Er steht auf der Seite des türkischen Faschismus“, sagt Frido Wagner.
Die Erfahrung zeigt: Wir sind auf der richtigen Seite
„In der Türkei erlebten wir, wie ein faschistisches Regime auf unerwünschte Opposition reagiert. Wir erlebten, in welchem Ausmaß jene unterdrückt werden, die sich für Demokratie und Freiheit einsetzen. Nach einigen wundervollen Tagen, in denen wir so viel von oppositionellen Politker:innen, Vertreter:innen von Kulturvereinen oder den Mitgliedern von anderen demokratischen und widerständigen Institutionen lernten; nach Tagen, die uns so viel Inspiration und Energie gaben, spürten wir die Wucht des Hasses, den diese bewundernswerten Menschen täglich erleben, an eigener Haut.
Wir haben Ungerechtigkeit so erlebt, wie sie nun einmal existiert. Brutal, grausam und willkürlich. Nach dem Besuch einer im letzten Moment kriminalisierten Pressekonferenz einer legalen parlamentarischen Partei, wurden wir von Polizist:innen mit allen Mitteln der Gewalt verhaftet. Darauf folgte eine Tortur, die von Beleidigungen und Drohungen bis hin zu physischer Gewalt keine Maßnahme der Einschüchterung und Schikane ausließ. Bewaffnete, aggressive Soldaten, die uns in der Kabine, in der wir untersucht wurden, nackt verprügelten, uns ständig in Bussen ohne Essen, Anwalt oder Informationen einsperrten, begleiteten uns in diesen Tagen so eng wie die permanente Angst, was mit uns geschehen würde.
Doch die geteilte Erfahrung und die lehrhaften und ermutigenden Begegnungen der letzten Tage gaben uns die Sicherheit, auf der richtigen Seite zu stehen, und dass kein Soldat dieser Welt die Hoffnung auf Demokratie und Freiheit ersticken kann. Was jedoch fehlt ist, dass die Menschen hier in Deutschland aufwachen und die Ungerechtigkeit, die in der Türkei geschieht, benennen und auch den deutschen Staat, der solch eine große Mitverantwortung für den Genozid an den Kurd:innen trägt, anzuprangern und zur Rechenschaft ziehen. Wir sahen in den Abschiebegefängnissen, in denen die Soldaten uns packten, wie hunderte unschuldige junge Menschen eingesperrt werden und wie wir von der staatlichen Autorität misshandelt wurden. Nur, dass sie nicht das Glück haben, in ein Land zurückkehren zu können, in dem sie vergleichsweise sicher sind“, sagte Wagner.