Jugenddelegation: „Der türkische Staat kann uns unsere Stärke nicht nehmen“

Teilnehmerinnen einer internationalistischen Jugenddelegation, die in der Türkei festgenommen und des Landes verwiesen wurden, haben in Göttingen von ihren Erfahrungen auf der Reise und ihrem mehrtägigen Aufenthalt in Polizeigewahrsam berichtet.

Vor knapp zwei Wochen wurden in der Türkei 15 Mitglieder einer internationalistischen Jugenddelegation aus Deutschland, Frankreich und Italien festgenommen und nach mehrtägigem Polizeigewahrsam in ihre Herkunftsländer abgeschoben. Zwei der Betroffenen haben heute auf einer gut besuchten Pressekonferenz im Apex in Göttingen von ihren Erfahrungen bei der Delegationsreise in Solidarität mit der kurdischen Freiheitsbewegung berichtet. Die Schilderungen der beiden Göttingerinnen wurden ergänzt durch eine juristische Einordnung von Rechtsanwalt Sven Adam, der langjährige Erfahrung in der Verteidigung von Kurd:innen in Deutschland hat. Leyla Lacin, eine kurdische Aktivistin, verdeutlichte das Zusammenspiel der deutsch-türkischen Behörden durch ihre persönlichen Erfahrungen im Asylverfahren. Zu Beginn der Veranstaltung informierte Sophie Paulmann von „Women Defend Rojava“ aus aktuellem Anlass über die zuletzt eskalierten und völkerrechtswidrigen Angriffe der Türkei auf die Zivilbevölkerung und die Infrastruktur in den selbstverwalteten Gebieten in Nordostsyrien.


Wir wurden schikaniert, gedemütigt und misshandelt“

Yen Le, eine Teilnehmerin der Delegation, schilderte unter großer Betroffenheit die drei Tage der Ingewahrsamnahme in der Türkei und sagte: „Wir wurden schikaniert, gedemütigt und misshandelt. Dies zeugt von einem willkürlichen Staat, in dem Rechtsstaatlichkeit nur noch reine Fassade ist. Die türkische Regierung und Behörden möchten mit unverhältnismäßigen Mitteln jegliche Form von Opposition und Widerstand gegen den Faschismus im Keim ersticken. Das haben wir nun leider hautnah miterleben müssen und bewerten diesen Schritt des türkischen Staats als neue Stufe der Eskalation. Den Austausch und die Erfahrungen, die wir vor Ort gemacht haben, wird uns kein Staat nehmen können.“

Gestärkt von der Reise zurückgekommen

Dennoch, und das verdeutlichte die zweite Betroffene Sarah Krüger, kommen die beiden Frauen sowie andere Teilnehmerinnen gestärkt von ihrer Reise zurück: „Der Angriff auf die Delegationsreise und die teils extreme physische und psychische Gewalt gegen uns als Personen hatte das Ziel, uns als Gruppe zu schwächen und unseren politischen Willen und die Solidarität mit allen Frauen und der kurdischen Bevölkerung zu verdrängen. Erst recht bin ich nun gestärkt, mit einem tiefen Vertrauen in kollektiv verwaltete Strukturen, starker Ablehnung gegenüber feudalen, sexistischen und faschistischen Staaten und neuer Hoffnung auf ein besseres Leben durch die Befreiung der Frauen.“

Festnahmen ohne strafrechtliche Grundlage

„Die Ingewahrsamnahme hatte keine strafrechtliche Grundlage“, ordnete Rechtsanwalt Sven Adam ein. „Abschiebehaft und Abschiebung geschahen unter Berufung auf sogenannte Gefahrenabwehr, womit lediglich eine zukünftig mögliche z.B. Solidarisierung mit der kurdischen Bewegung verhindert werden sollte. Darüber hinaus stellt die gesamte Haftsituation inklusive der psychischen und physischen Gewalt einen Verstoß gegen Artikel drei der europäischen Menschenrechtskonvention dar.“ Juristisch vorgehen will der Rechtsanwalt gegen die Bundespolizei, die die Delegationsteilnehmer:innen bei ihrer Rückkehr nach Deutschland eineinhalb Stunden verhörte. „Die verhörenden Beamt:inen schnitten analog ihre Namen aus den Protokollen, ein in dieser Weise einmaliger Vorgang, der aufgeklärt werden muss“, so Sven Adam.

Informationssperre zur kurdischen Freiheitsbewegung

Die Ausführungen von Leyla Lacin unterstrichen die Verstrickungen des deutschen Staates in die türkische Politik. Sie berichtete, wie die „deutsche Bundesregierung die Menschenwürde demokratisch-organisierter Mitbürger:innen untergräbt“. Asylverfahren wie ihr eigenes würden als politisches Instrument gegen politisch aktive Kurd:innen eingesetzt. „Die durch Verbote bewusst herbeigeführte Informationssperre zur kurdischen Freiheitsbewegung und der von ihr getragenen gesellschaftlichen Transformationsprozesse hat zur Folge, dass die deutsche Gesellschaft unwissend bleibt und nichts erfährt“, sagte Leyla Lacin und appellierte an alle Anwesenden, sich für die Freiheit des rechtswidrig in türkischer Haft isolierten kurdischen Repräsentanten Abdullah Öcalan einzusetzen und in Deutschland Aufklärungsarbeit zur Aufhebung des PKK-Verbots zu leisten.

Zum Ende der Veranstaltung zeigten die anwesenden Zuhörer:innen mit dem Sprechchor „Jin, Jiyan Azadî“ (Frau, Leben, Freiheit) ihre Solidarität mit der Frauenbefreiungsbewegung.

Fotos: Nico Kuhn