Am Donnerstag ist eine internationalistische Delegation aus Europa in der Provinzhauptstadt Riha (tr. Şanlıurfa) von der türkischen Polizei bei Protesten gegen die Angriffe auf Rojava festgenommen worden. Die Gruppe – 15 deutsche, französische und italienische Staatsangehörige – befindet sich auf Einladung des Jugendrates der Grünen Linkspartei (YSP) anlässlich eines Kongresses am 15. Oktober in der Türkei.
Wie Ronahî, ein Jugendzentrum für Öffentlichkeitsarbeit, das mit dem YSP-Jugendrat in ständigem Kontakt steht, zur aktuellen Situation mitteilt, befindet sich die gesamte Gruppe weiterhin in Gewahrsam und wurde zuletzt in ein Abschiebungszentrum nach Kırıklareli in die Westtürkei verlegt. Als Grund der Festnahme der 15 Teilnehmenden der Delegationsreise verwiesen die Sicherheitskräfte auf das Verbot der zu den Angriffen der türkischen Armee auf die Autonomieregion Nord- und Ostsyrien geplanten Pressekonferenz durch den Provinzgouverneur und erklärten darüber hinaus, dass „Ausländern die Teilnahme an Pressekonferenzen oder ähnlichem untersagt" sei.
Die Festgenommenen wurden zunächst auf das Polizeirevier Emin Çavuş im Stadtteil Haliliye im Stadtzentrum von Riha gebracht. Dort wurden sie nach Angaben der Anwaltsvereinigung ÖHD (Verein der Jurist:innen für die Freiheit) und dem Menschenrechtsverein IHD drei Stunden mit Handschellen auf dem Rücken gefesselt festgehalten. Laut Berichten der Mezopotamya Ajansi (MA) sollen die Festgenommenen auch geschlagen worden sein, nachdem sie auf der Wache Parolen gerufen haben. Die Versuche der Anwältinnen und Anwälte des ÖHD und des IHD, die Fesselungen zu beenden, blieben erfolglos. Auf dem Polizeirevier wurden auch die Telefone der Festgenommenen beschlagnahmt. Die vier zeitgleich festgenommenen Mitglieder des YSP-Jugendrats wurden ebenfalls in Polizeigewahrsam misshandelt, inzwischen jedoch freigelassen.
Jugenddelegation in Solidarität mit der demokratischen Opposition
Die Gruppe war am 7. Oktober in Istanbul eingereist und hatte in den vergangenen Tagen unter anderem Gespräche mit Vertreterinnen und Vertretern der HDP, des Demokratischen Kongresses der Völker HDK, dem Frauenjournalistenverband Mesopotamiens (MGK) sowie MED TUHAD-FED, einem Solidaritätsverein der Familien politischer Gefangener, geführt.
Die Delegationsgruppe besteht hauptsächlich aus Studierenden unterschiedlicher Fachrichtungen, die sich in ihrem Studium und ihrem Privatleben mit der politischen Situation in der Türkei und der kurdischen Frage befassen. Ziel der Delegation war es, sich ein Bild der Situation vor Ort zu verschaffen, die Lage nach den Wahlen besser kennenzulernen und durch eine Beteiligung an einem Kongress der YSP auch ein Zeichen der Solidarität mit der demokratischen Opposition in der Türkei zu setzen, da vor allem die YSP und die HDP immer wieder mit behördlicher Willkür und rechtsstaatlich nicht haltbaren Maßnahmen konfrontiert sind.
Ronahî: Anlass zu großer Sorge
Weiter teilt Ronahî mit: „Momentan gibt es keine Möglichkeit, mit den Delegierten in Kontakt zu treten, und wir haben wenig Informationen über ihre Verfassung. Laut Aussagen der Abgeordneten Dilan Kunt Ayan ging die Polizei besonders brutal gegen die ausländischen Delegierten vor. So wurden sie geschlagen und in das Arrestfahrzeug geschleift. Auf Videos welche die Festnahme zeigen, ist erkennbar wie die türkischen Polizeikräfte die Festgenommenen teilweise mit Tritten malträtieren. Dieses Vorgehen und die mangelhafte Informationslage geben Anlass zu großer Sorge.“
Ayan: Frauen wurden besonders stark misshandelt
Die YSP-Abgeordnete Dilan Kunt Ayan berichtete zum Ablauf der Festnahmen und dem weiteren Geschehen, dass die Gruppe auf dem Weg zur HDP-Zentrale von der Polizei gestoppt wurde: „Unter schweren Misshandlungen und mit Händen auf den Rücken gefesselt wurden sie festgenommen. Die Polizei drückte die Jugendlichen auf den Boden und machte sie bewegungsunfähig. Danach wurden sie in Polizeifahrzeuge gebracht und weiteren Schlägen unterzogen. Insbesondere die jungen Frauen aus Deutschland wurden besonders stark misshandelt. Anschließend wurden sie ins Krankenhaus gebracht und dort behandelt, hinterher wurden sie wieder in die Polizeifahrzeuge verfrachtet. Die Jugendlichen mussten insgesamt drei bis vier Stunden mit Handschellen auf dem Rücken in den Fahrzeugen aushalten. Danach wurden sie zur Polizeistation gebracht und dort bis zum nächsten Morgen verhört, bis sie dann ins Abschiebezentrum (Geri Gonderme Merkezi) verlegt wurden. Wann die Jugendlichen abgeschoben werden und wie ihre aktuelle Situation ist, ist noch nicht klar.“
Akbulut stellt Anfrage bei der Bundesregierung
Die Bundestagsabgeordnete Gökay Akbulut (DIE LINKE) hat eine Schriftliche Anfrage an die Bundesregierung gerichtet, in der sie fragt: „Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung über die Festnahme der neun deutschen jungen Menschen in der Türkei vor, die auf Einladung des Jugendrates der Grünen Linkspartei (YSP) am Parteikongress der YSP teilnehmen wollten, und welche Maßnahmen hat das Auswärtige Amt für die Freilassung der betroffenen deutschen Staatsangehörigen ergriffen?“ Die Antwort steht noch aus.