Internationalistische Delegation nach Ausweisung zurück aus der Türkei

Die 15 in der Türkei festgenommenen Mitglieder der internationalistischen Delegation sind nach ihrer Ausweisung aus der Türkei zurück in Europa. Die deutschen Mitglieder wurden nach ihrer Ankunft in Hamburg von der Bundespolizei befragt.

Die in der Türkei festgenommenen Mitglieder einer fünfzehnköpfigen Jugenddelegation aus Deutschland, Frankreich und Italien sind nach ihrer Ausweisung zurück in ihren Herkunftsländern. Die aus der Bundesrepublik in die Türkei gereisten Aktivist:innen mussten sich jedoch nach ihrer Ankunft am Flughafen Hamburg am Samstagabend einer Befragung durch die Bundespolizei unterziehen. Nachfolgend veröffentlichen wir eine Pressemitteilung von „Ronahî – Jugendzentrum für Öffentlichkeitsarbeit“ zu dem Sachverhalt und ein Videostatement der Gruppe:

Gestern, am Abend des 14. Oktober 2023, ist die europäische Delegation, die in der Türkei festgenommen, drei Tage in Gewahrsam gehalten und anschließend abgeschoben wurde, wieder in Deutschland, Italien und Frankreich gelandet.

Am Flughafen wurden die Delegierten von ihren Familien, Freund:innen und weiteren Menschen in Empfang genommen, welche mit Bannern und Parolen ihre Solidarität zum Ausdruck brachten. Bevor die deutschen Delegierten den Flughafen verlassen konnten, wurden sie unmittelbar nach ihrer Ankunft von der Bundespolizei festgehalten und befragt. 

Unverständnis nach Befragung durch Bundespolizei

Das erneute Verhör durch die Bundespolizei, unmittelbar nach drei Tagen in Gewahrsam und einer strapaziösen Verlegung in ein über 1500 Kilometer entferntes Gefängnis, hat bei allen Beteiligten zu großem Unverständnis geführt. Die einstündige Befragung, kam für die Betroffenen einer Wiederholung der Verhöre auf der türkischen Seite nahe und führte zu einer Retraumatisierung. Den Betroffenen wurde nach ihrem Verhör ein Protokoll ausgehändigt, welches jedoch den Verlauf des Verhörs nur sehr spärlich wiedergibt. Sie berichteten davon, dass vor allem Fragen über den politischen Hintergrund der Beteiligten sowie über die politischen Parteien in der Türkei lediglich informell gestellt und im Protokoll nicht wiedergegeben wurden. Teile des Protokolls scheinen vor der Aushändigung mit einer Schere entfernt worden zu sein.


Den Delegationsteilnehmer:innen geht es den Umständen entsprechend. Alle von ihnen haben sichtbare Verletzungen durch die Gewalt der türkischen Sicherheitsbehörden davongetragen. Noch vor Ort wurde sowohl in Deutschland als auch in Italien und Frankreich ein Videostatement aufgenommen. 

Die deutschen, italienischen und französischen Staatsangehörigen waren als Teil einer politischen Delegation, auf offizielle Einladung des Jugendrates der Grünen Linkspartei (YSP) anlässlich des Kongresses der Partei am 15. Oktober in Ankara, am 7. Oktober in die Türkei eingereist.

Am 12. Oktober wurden sie bei einer gemeinsamen Presseerklärung der Parteien HDP, DBP und YSP gegen die türkischen Angriffe auf Nord- und Ostsyrien in Riha (türkisch: Şanlıurfa) festgenommen und drei Tage lang in Gewahrsam gehalten. 

Eine Delegierte berichtet: „Wir wurden durch verschiedene Instanzen des türkischen Regimes geschleust und ab der ersten Polizeistation hatten wir weder einen Anwalt noch Übersetzer noch jeglichen Kontakt zu Außenwelt. Wir hatten kein Recht mit einem Richter zu sprechen oder auf einen Prozess, das heißt wir haben uns drei Tage lang in einer absoluten Ungewissheit befunden, was mit uns passieren wird und wer auch davon weiß, wo wir uns gerade befinden.”

Von türkischen Sicherheitskräften misshandelt

Die Betroffenen berichten außerdem von Misshandlungen durch die türkischen Sicherheitskräfte: 

„Es war aber nicht nur psychische Gewalt, die wir dort erfahren haben, in Form von Schikane, von psychologischem Druck und psychologischer Gewalt in allen Formen, sondern eben auch ganz klar physische Gewalt. Wir wurden geschlagen, wir wurden gewürgt, wir wurden getreten, männliche Freunde wurden nackt zusammengeschlagen und ich glaube auch da wird nochmal deutlich, wie wenig Rechtsstaatlichkeit in der Türkei herrscht.”

Ihre Festnahme und die rechtswidrige Behandlung durch den türkischen Staat müsse im Licht der aktuellen weltpolitischen Geschehnisse betrachtet werden, so eine weitere Delegierte. Das gewaltvolle Vorgehen der türkischen Sicherheitskräfte gegen Einzelpersonen, die sich öffentlich  gegen die völkerrechtswidrigen Angriffe der Türkei auf Nord- und Ostsyrien sowie den Nordirak positionieren, dürfe nicht getrennt von den militärischen Operationen der Türkei gesehen werden, so eine Delegationsteilnehmerin. „Es geht dem türkischen Staat schlicht und ergreifend darum, alle Stimmen für Demokratie und Menschenwürde zum Schweigen zu bringen.”

Weiter heißt es in der Stellungnahme der abgeschobenen Delegierten: „Wir sind alle dagewesen, weil wir uns für die kurdische Frage interessieren und hautnah erleben wollten, was das für die Bevölkerung vor Ort bedeutet. Wir haben jetzt auf jeden Fall hautnah erleben können, was für einer Willkür die Menschen dort ausgesetzt sind und wie jede Opposition gegen den Krieg einfach niedergeschlagen wird. Wenn wir dann sehen, wie der deutsche Staat mit dem türkischen Staat kooperiert und dass Annalena Baerbock sich gestern noch mit Hakan Fidan getroffen hat, der mittlerweile Außenminister ist, aber jahrelang der Leiter des türkischen Geheimdienstes war und für enorme Folter, Hausdurchsuchungen und Verhaftungen verantwortlich ist, fragen wir uns: Wo ist die Solidarität? Wo ist die Verantwortung des deutschen Staates?”

Die Delegierten beenden ihr Videostatement mit einem klaren Aufruf: 

„Wir fordern alle Menschen in der deutschen Gesellschaft, die etwas von demokratischen Werten und Pressefreiheit halten, alle Journalisten, alle Abgeordneten im Bundestag auf, eine klare Haltung zu beziehen und sich gegen den Angriffskrieg der Türkei gegen die kurdische Bevölkerung, aber auch gegen das türkische Regime zu stellen.”

In den kommenden Tagen und Wochen wollen die Delegierten ihre Erfahrungen umfassend aufarbeiten und das, was ihnen widerfahren ist, um weitere Details ergänzt, der Öffentlichkeit zugänglich machen.