Erster Tag der Konferenz kurdischer Parlamentarierinnen

Die zweitägige Konferenz kurdischer Parlamentarierinnen ist gestern erfolgreich gestartet. In inhaltlich unterschiedlich ausgerichteten Podiumsdiskussionen sind Perspektiven und Erfahrungen ausgetauscht worden. Heute gibt es ein breites Workshop-Programm.

Einheit in Vielfalt

Unter dem Motto „Lasst uns die Politik demokratisieren, eine demokratische Gesellschaft aufbauen“ veranstaltet die Bewegung Freier Frauen (TJA) seit gestern eine zweitägige „Konferenz kurdischer Parlamentarierinnen“ in Amed (tr. Diyarbakır). Eine Vielzahl ehemaliger und aktiver Abgeordneter aus ganz Kurdistan sowie aus der Diaspora nehmen an der wichtigen Zusammenkunft teil. Am Ende des intensiven Austauschs soll die Einigung auf eine gemeinsame Strategie im Kampf gegen das Patriarchat und für eine befreite Gesellschaft stehen.

Der erste Tag der Konferenz wurde gestern erfolgreich abgehalten. Nach der Eröffnungsrede von Gülcan Kaçmaz Sayyiğit, bei der die Politikerin auch darauf verwies, dass einige Teilnehmerinnen aufgrund staatlicher Reisebeschränkungen oder Inhaftierung nicht in persona anwesend sein können, hielten alle in einer gemeinsamen Gedenkminute inne.

Unter dem Titel „Frauen in der Politik: Gemeinsame Herausforderungen in vier Regionen [Kurdistans] und Europa“ startete dann das erste Panel, welches von Newroz Uysal, DEM-Abgeordnete für Şirnex (tr. Şırnak), moderiert wurde. Das zweite Panel konzentrierte sich inhaltlich auf die Einheit der kurdischen Frauen als Grundlage für eine gleichberechtigte Zukunft und wurde von der DEM-Abgeordneten für Mêrdîn (tr. Mardin), Beritan Güneş, moderiert.

Eröffnungsrede

„Viele Menschen sind hier auf der Konferenz, doch es gibt auch diejenigen, die nicht physisch, aber im Geiste anwesend sind. Einige unserer Freundinnen können aufgrund von Grenzbeschränkungen und der Verweigerung der Einreise durch den Staat nicht teilnehmen. Wir senden ihnen unsere Grüße. Ich grüße auch Leyla Güven, Semra Güzel, Pakshan Azizi und all die anderen Freundinnen, die ihren Widerstand im Gefängnis fortsetzen“, eröffnete Gülcan Kaçmaz Sayyiğit, DEM-Abgeordnete und Sprecherin der Initiative für eine Demokratische Einheit, die Konferenz.

Gülcan Kaçmaz Sayyiğit erinnerte daran, dass die kurdischen Frauen und das kurdische Volk schwierige Zeiten durchlebt haben und fuhr fort: „Die Nationalstaaten haben uns drei Wege gezeigt. Erstens haben sie das kurdische Volk in vier Teile geteilt. Zweitens haben sie versucht, das kurdische Volk auszurotten und zu assimilieren. Drittens haben sie es nicht zugelassen, dass die Kurd:innen zusammenkommen und eine Einheit bilden.

Heute jedoch werden wir, die kurdischen Parlamentarierinnen, für die Einheit arbeiten. Wir müssen zu den hier getroffenen Aussagen und Entscheidungen stehen. Wenn wir das tun, werden wir eine Einheit erreichen. Der Dritte Weltkrieg steht vor der Tür. Inmitten von Not und Kampf zeigt die Philosophie von ‚Jin, Jiyan, Azadî‘ [Frau, Leben, Freiheit] den dritten Weg für Kurdistan und den Nahen Osten.“

Mit Bezug auf den Friedensappell von Abdullah Öcalan vom 27. Februar bekräftigte sie, dass die gemeinsame Anstrengung der kurdischen Frauen für Demokratie und Frieden ein großes Erfolgspotenzial habe.

Panel 1 - „Frauen in der Politik: Gemeinsame Herausforderungen in vier Regionen [Kurdistans] und Europa“

Die erste Diskussionsrunde wurde von der DEM-Politikerin Newroz Uysal moderiert und drehte sich um den Austausch von Erfahrungen auf dem politischen Parkett, die kurdische Frauen sowohl in allen vier Teilen Kurdistans wie auch in der Diaspora machen.

Zunächst sprach die Politikerin, Ex-Langzeitgefangene und ehemalige Parlamentsabgeordnete der HEP, Leyla Zana, darüber, dass Frauen sich nicht mehr in vier Wände einsperren ließen, sondern auf der ganzen Welt zu Vorbildern und Beispielen werden. Mit Verweis auf die Geschichte kurdischer Frauen sagte Zana, diese nähmen „jetzt eine starke Haltung zur Organisation als neue Priorität ein. Frauen müssen an sich selbst glauben. Sie müssen stärker werden und diese Stärke in der Gesellschaft widerspiegeln.“

Semira Goran, Mitglied der Parlamentarischen Union Kurdistans, die aus Kurdistan-Region des Irak (KRI) an der Konferenz teilnahm, erklärte: „Einheit ist ein wichtiges Tor. Ich wünsche der Konferenz viel Erfolg.“

Kurda Emer, die Abgeordnete im Irakischen Parlament ist, äußerte eingangs ihre Hoffnung, dass die Rechte der Kurd:innen in allen vier Teilen Kurdistans erreicht werden können und in der Türkei Frieden einkehren wird. Dann gab sie ihre eigene Biografie als Beispiel dafür, dass Frauen in der Politik zwar sehr hart kämpfen müssen, aber auch sehr viel erreichen könnten. Als 21-Jährige sei ihr der Weg in die Politik versperrt geblieben. Der Druck sei enorm gewesen, letztendlich wurde sie in Gefängnis gesteckt und physisch gefoltert. Ihr freier Geist und der Stolz ihrer Familie haben sie durch diese Zeit getragen. Als sie schließlich ins Parlament einzog, machten die Männer Witze über sie. Als Kind einer Arbeiterfamilie habe sie sich auch hier durchgesetzt und wurde später zur Bezirksgouverneurin von Khoy ernannt, was Mam Celal [Talabanî] unterstützte. Emer erzählt über diese Zeit: „Ich habe Tag und Nacht gearbeitet. Ich musste erfolgreich sein, damit andere Frauen nicht dasselbe durchmachen mussten wie ich. Meine Aufgabe war es, Frauen Selbstvertrauen zu geben und das Vertrauen der Gesellschaft zu gewinnen.“

Kurdistan Pirdawid, Mitglied der Parlamentarischen Union Kurdistans, meint, dass dieses Engagement von Frauen noch verstärkt werden sollte und erklärte: „Die Frauen in Südkurdistan müssen eine wichtige Rolle spielen, um Macht zu erlangen. Sie müssen eine größere Rolle in der Gesellschaft, in der Regierung und in offiziellen Positionen spielen, um ihre Rechte zu verteidigen und zu schützen.“

Evîn Swêd, Ko-Vorsitzende des Exekutivrates der Demokratischen Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien (DAANES), die über Zoom an der Konferenz teilnahm, sagte: „Wir müssen eine ökologische, demokratische und frauenbefreiende Gesellschaft aufbauen. Frauen sind nicht leise. Als Frauen aus Nord- und Ostsyrien kämpfen wir überall. Wir arbeiten daran, unsere Rechte zu verteidigen und die Rechte zu erhalten, die uns nicht zugestanden wurden.

Als Frauen aus Nord- und Ostsyrien nehmen wir die Botschaft von Abdullah Öcalan als Leitmotiv. Sie bietet eine Lösung für alle Kriege und Konflikte im Nahen Osten. Frauen sollten bei dem Projekt für Frieden und eine demokratische Gesellschaft die Führungsrolle übernehmen.“

Mit einer Fragerunde endete das erste Panel der Frauenkonferenz.

Panel 2 – Die kurdische Einheit

Das zweite Podium moderierte die DEM-Abgeordnete Beritan Güneş. Der Schwerpunkt lag auf der kurdischen Einheit, wobei die Beiträge und der Verlauf deutlich zeigten, dass die Teilnehmerinnen hierunter eine Einheit in Vielfalt verstehen.

Zunächst erinnerte die Politikerin Gültan Kışanak, Aktivistin der Bewegung freier Frauen (TJA), ehemalige Oberbürgermeisterin von Amed und ehemalige politische Gefangene an die unmenschlichen Praktiken im Diyarbakır-Gefängnis Nr. 5 und sagte: „Wir haben gekämpft, um unsere Existenz und Identität zu verteidigen. Als Frauen kämpften wir um den Schutz unserer Ehre.

Im Militärgefängnis gab es unter dem Personal keine einzige Frau. Die Fenster der Zellen, in denen wir eingesperrt waren, hatten keine Vorhänge, und es war verboten, sie zu schließen. An den Wänden befanden sich Gitterstäbe. Wir kämpften um unsere Ehre und unsere Existenz unter der ständigen Überwachung durch Soldaten, 24 Stunden am Tag. Sie alle kennen Sakine Cansız. Sie war unsere Genossin, die widerstandsfähigste Frau im Gefängnis von Amed. Die kurdische Frauenbewegung nahm in diesem Widerstand Gestalt an.“

Kışanak fuhr fort: „Wir haben den Weg für Frauen in der Politik geebnet, indem wir nicht nur gegen die staatliche Unterdrückung, sondern auch gegen die männliche Denkweise gekämpft haben. Wären Frauen nicht so sehr von der Politik ausgeschlossen worden, wäre die Welt heute vielleicht ein besserer Ort. Vielleicht wären unsere Probleme nicht so gravierend. Wir Frauen müssen gemeinsam an einer Lösung arbeiten.

Die nationale Einheit ist der Grundstein für diesen Lösungsprozess. Wenn es uns gelingt, nationale Einheit zu erreichen, können wir diesen Prozess erfolgreich vorantreiben. Wir Frauen müssen dabei eine Rolle spielen. Abdullah Öcalan hat seinen Teil dazu beigetragen, indem er zu Frieden und einer demokratischen Gesellschaft aufgerufen hat. Jetzt ist es an der Zeit, dass wir gemeinsam daran arbeiten, dies in die Tat umzusetzen.“

Auch Nasîk Tewfîq, Abgeordnete der kurdisch-islamischen Einheitspartei Yekgirtûya Îslamî, betonte, dass die Kurd:innen in den vier Teilen Kurdistans sich gegenseitig unterstützen müssten, um erfolgreich zu sein. Sie sagte: „Wenn wir die Chancen, die sich durch die Veränderungen im Nahen Osten ergeben, nicht nutzen, wird unsere Last noch schwerer werden.“

Als nächste Teilnehmerin sprach Münire Osman, Abgeordnete der südkurdischen Goran-Bewegung, und näherte sich fragend dem Thema an: „Im Nahen Osten finden sehr wichtige Entwicklungen statt. Wie werden wir bei diesen Entwicklungen eine Rolle spielen, wie werden wir die Chancen bewerten, wie werden wir unsere Rechte in den vier Teilen Kurdistans sichern?

Diese Entwicklungen im Nahen Osten bieten sehr wichtige Chancen. Ich hoffe, dass die Kurd:innen ihre Rechte und Freiheiten erlangen werden. Wir müssen die nationale Einheit verteidigen. Wir müssen unsere Rechte auf Freiheit verteidigen.“

Riham Hico von der Bewegung freier ezidischer Frauen (TAJÊ) nahm über Zoom an der Konferenz teil und trug ihre Perspektiven bei: „Die Ezid:innen messen dem begonnenen Friedensprozess große Bedeutung bei. Sie wollen eine Rolle in diesem Prozess spielen. Allerdings gibt es Hindernisse und Probleme. Es gibt ein Embargo gegen die Ezid:innen. Auch mit dem heutigen Tag hat ein Friedensprozess, ein Lösungsprozess, begonnen. Allerdings hindert das Embargo gegen Şengal uns daran, unsere Arbeit richtig auszuführen. In dieser Hinsicht sind wir nicht in der Lage, die Rolle, die Rêber Abdullah Öcalan den Ezid:innen zugedacht hat, adäquat zu erfüllen. Die Hindernisse müssen beseitigt werden.“

Auch die zweite Sitzung endete mit einer Frage-Antwort-Runde.

Planung für den zweiten Tag

Nach dem perspektivreichen Austausch am gestrigen Tag soll es heute bei der ersten Konferenz kurdischer Parlamentarierinnen noch interaktiver werden. Bis zum Mittag sollen in zwei Phasen Workshops zu einer breiten Auswahl an Themen stattfinden. Den Abschluss soll dann eine gemeinsame Erklärung und ein Gruppenfoto aller Konferenzteilnehmerinnen krönen.

Das Vorbereitungskomitee hat die Workshops jeweils nach bekannten kurdischen Revolutionärinnen aus den vier Teilen Kurdistans, die im Kampf um Freiheit ihr Leben verloren haben, benannt, um ihrer zu gedenken und ihr Erbe sichtbar zu machen.

Workshop-Programm

Sakine Cansız Workshop (Zoom): „Organisatorische Herausforderungen und Lösungsvorschläge für Parlamentarierinnen bei der Förderung demokratischer Politik gegenüber der von Männern dominierten Politik“

Leyla Qasim Workshop: „Die Rolle der Parlamentarierinnen und politische Vorschläge zur nationalen Einheit“

Hevrîn Xelef Workshop: „Kollektiver Kampf gegen Gewalt und Diskriminierung zur Verteidigung der Frauen“

Mîna Qazî Workshop: „Der Beitrag der politischen Repräsentation von Frauen in pluralistischen Kulturen zum sozialen Frieden und zur Demokratisierung der Politik“