Martin Schirdewan, Ko-Vorsitzender der Fraktion der Linken im Europaparlament, hält sich derzeit mit einer Delegation beim Demokratischen Autonomierat von Şengal (MXDŞ) in Şengal auf. Sie wollen sich vor Ort selbst ein Bild der aktuellen Situation und Herausforderungen der ezidischen Bevölkerung machen und nach konkreten Möglichkeiten der Unterstützung suchen. Gegenüber ANF teilt der Politiker neben den Anliegen der Delegation auch seinen ersten Eindruck der Menschen und der Lage mit.
Es braucht einen erfolgreichen Wiederaufbau
Der Europaabgeordnete verbindet mit dem Besuch klare Ziele. Insbesondere im Nachgang des Genozids hält er es für wichtig, die Aufmerksamkeit der internationalen Gemeinschaft auf die „teils hochkomplizierten“ Lebensumstände der ezidischen Bevölkerung zu lenken. Er wünscht sich, „dass die internationale Gemeinschaft sich nicht abwendet, sondern ganz im Gegenteil, sich dafür stark macht, dass zum Beispiel ein erfolgreicher Wiederaufbau stattfinden kann, dass die Ezidinnen und Eziden sicher wieder in ihre Heimat zurückkehren können. Das hoffe ich sehr.“ Konkret möchte er während der Delegation Möglichkeiten finden, zu helfen.
„Das ist ein sehr beeindruckender Ort“
Bereits kurz nach seiner Ankunft berichtet Schirdewan, dass er hochinteressante Gespräche geführt habe. Einer der ersten Besuche führte ihn auf den Gefallenenfriedhof. Ein Ort, der ihn tief berührte: „Das ist ein sehr beeindruckender Ort, wo – wie ich finde – Vergangenheit, aber auch Gegenwart und Zukunft ineinander übergehen. Diejenigen, die das Meiste was sie geben konnten, gegeben haben, nämlich ihr Leben, haben dafür gesorgt, dass wir hier am heutigen Tag über die Zukunft reden können. Und das bedeutet mir unheimlich viel. Ich hoffe sehr, dass auch andere Abgeordnete des Europäischen Parlaments in Zukunft ihren Weg hier nach Şengal finden werden.“
Konkrete Unterstützung jenseits von Symbolik
Schirdewan gab an, dass die Links-Fraktion des EU-Parlaments in Zukunft größere Delegationen nach Şengal senden möchte. Er merkte jedoch auch an, dass es wichtig sei, dass mehr Menschen sich auf diese Reise begeben.
Die Anerkennung des IS-Genozids durch den Deutschen Bundestag bezeichnete der Europaabgeordnete als wichtiges Signal und Symbol. Letztendlich ginge es jedoch darum, dass die neue Bundesregierung sich im Rahmen der internationalen Gemeinschaft konkret dafür einsetze, dass einerseits die Aufmerksamkeit wieder auf die Region gelenkt werde und andererseits Mittel für einen erfolgreichen Wiederaufbau nach Şengal gelenkt werden. Dies sei jenseits aller Symbolik das Wichtigste, um die Lebensbedingungen der Menschen vor Ort wirklich zu verbessern.
Die Ezid:innen werden weiterhin unterdrückt
Seine Anreise sei durch Verzögerungen und Kompliziertheit geprägt gewesen. Doch der Politiker betrachtet dies auch als einen ersten und richtigen Eindruck der Situation. Konkret benannte er die Bedingungen, unter denen Ezid:innen dort leben als „unterdrückend“. „Ich halte das für grundfalsch. Ich finde das muss aufs Schärfste kritisiert werden. Auch die Art und Weise, auf die an den Checkpoints Politik gemacht wird.“
Warmherziger Empfang
Gleichzeitig berichtete er auf gefühlsbetonte Weise jedoch auch von ganz anderen Begegnungen: „Auf der anderen Seite bin ich aber auf Menschen getroffen, deren Herzlichkeit, deren Freundlichkeit, deren Gastfreundschaft, sehr beeindruckend ist und ich fühle mich sehr wohl. Ich habe sofort ein freundschaftliches Gefühl zu den Menschen hier erstellen können und ich glaube, das ist auch andersrum der Fall.“
Schirdewan stellte abschließend klar, dass er nicht nur vor Ort sein und „sich freuen“ wolle, sondern sein Ziel sei „wirklich auch Politik daraus entstehen“ zu lassen.
Die Delegation, die von Martin Schirdewan angeführt wird, wird begleitet von Philip Degenhardt von der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Faik Yağızay von der europäischen DEM-Vertretung, der Journalistin Sarah Glynn und der parlamentarischen Assistentin Nora Friese-Wendenburg aus dem Büro Schirdewans.