Irak erlebt schwerste Wasserkrise seit 80 Jahren

Die Wasserreserven im Irak sind auf dem tiefsten Stand seit 80 Jahren. Neben der Klimakrise machen auch die Nachbarländer Druck. Die Regierung warnt vor einem nationalen Sicherheitsrisiko.

Regierung warnt vor Engpässen und fordert internationale Unterstützung

Der Irak steht nach Angaben des Wasserministeriums vor der schwersten Wasserkrise seit acht Jahrzehnten. Grund sind dramatisch gesunkene Wasserreserven, die anhaltende Dürre, ausbleibende Niederschläge sowie die Flussregulierungen durch Nachbarländer. Laut Khaled Shamal, Sprecher des irakischen Wasserressourcenministeriums, hat das Land derzeit nur rund zehn Milliarden Kubikmeter Wasserreserven – fast die Hälfte des Bedarfs zu Beginn der landwirtschaftlichen Sommersaison.

„Wir haben seit 80 Jahren keine so niedrigen Reserven mehr erlebt“, sagte Shamal am Rande der 5. Internationalen Wasser-Konferenz in Bagdad. Schon 2024 sei die Lage kritisch gewesen – nun sei sie noch alarmierender. Ursprünglich seien zum Saisonstart mindestens 18 Milliarden Kubikmeter notwendig.

Mehrjährige Dürre und ausbleibende Flusszuflüsse

Die aktuelle Wasserknappheit ist Folge eines Zusammenspiels mehrerer Faktoren: Fünf aufeinanderfolgende Jahre mit Dürre, hohe Temperaturen, geringe Schneeschmelze sowie der Rückgang der Zuflüsse durch den Bau von Staudämmen in der Türkei und in Iran haben den Pegel der Flüsse Euphrat und Tigris dramatisch sinken lassen. Der Irak erhält derzeit weniger als 40 Prozent seines eigentlich zustehenden Wasseranteils aus den beiden lebenswichtigen Flüssen.

Hintergrund: Wasserabkommen und regionale Spannungen
Tigris und Euphrat als Lebensadern: Beide Flüsse entspringen in der Türkei und fließen durch Syrien und den Irak, bevor sie in den Persischen Golf münden. Rund 98 Prozent des irakischen Oberflächenwassers stammen aus Nachbarstaaten – der Irak ist also stark abhängig von deren Wasserpolitik.
Keine rechtsverbindlichen Verträge: Zwischen dem Irak und der Türkei bestehen bislang keine völkerrechtlich verbindlichen Wasserverträge, sondern lediglich bilaterale Absichtserklärungen und technische Kooperationsabkommen. 2024 unterzeichneten beide Länder ein zehnjähriges Rahmenabkommen, das gemeinsame Investitionen und bessere Wasserbewirtschaftung vorsieht – jedoch ohne konkrete Mengenregelungen.
Türkische Staudämme reduzieren Flusszuflüsse: Durch Großprojekte wie den GAP-Staudammkomplex (Südostanatolien-Projekt) kontrolliert die Türkei den Wasserfluss von Euphrat und Tigris. Ankara sieht Wasser als nationales Gut, während der Irak auf eine faire Aufteilung nach internationalem Wasserrecht pocht.
Iran blockiert Nebenflüsse: Auch Iran hat in den vergangenen Jahren zahlreiche Staudämme an Flüssen gebaut, die das irakische Kurdistan speisen – darunter am Karun, dem wichtigsten Nebenfluss des Schatt al-Arab.Diese Maßnahmen haben die Wasserzufuhr in die südlichen Regionen des Irak erheblich eingeschränkt.
Internationale Einstufung: Die UNO zählt den Irak zu den fünf Ländern weltweit, die am stärksten von den Folgen des Klimawandels betroffen sind. Das World Resources Institute warnt vor einem baldigen „Tag Null“, sollte die Nutzung nicht deutlich gesenkt und die Diplomatie nicht intensiviert werden.


Shamal zufolge hat auch die Schneeschmelze im letzten Winter kaum Zuflüsse gebracht – ein zusätzlich belastender Faktor für die strategischen Wasserspeicher. Dies zwingt die Regierung, die landwirtschaftliche Nutzung drastisch einzuschränken und sich auf die Versorgung mit Trinkwasser für die 46 Millionen Einwohner:innen zu konzentrieren.

Landwirtschaft auf Sparflamme

Das Landwirtschaftsministerium kündigte an, für diesen Sommer nur noch etwa 1,5 Millionen Dunam (rund 375.000 Hektar) fruchtbares Land zu bewirtschaften – vor allem bestehende Obst- und Baumbestände sollen erhalten bleiben. Im Vorjahr waren es noch 2,5 Millionen Dunam.

Moderne Bewässerungstechnologien und Effizienzmaßnahmen sollen den Wasserverbrauch reduzieren. Doch Fachleute bezweifeln, dass diese Initiativen kurzfristig ausreichen, um die Folgen des Wassermangels abzufedern.

Kritik an regionaler Wasserpolitik

Die irakische Regierung macht auch die Wasserpolitik der Nachbarländer für die Krise verantwortlich. Trotz sicherheitspolitischer Annäherung zwischen Ankara und Bagdad – etwa durch das gemeinsame Infrastrukturprojekt „Entwicklungsstraße“ – ist es bisher nicht gelungen, eine verbindliche Einigung zur Wasserverteilung zu erzielen. Auch diplomatische Bemühungen gegenüber der Führung in Iran, die in den vergangenen Jahren Staudämme an Nebenflüssen des Schatt al-Arab errichtet hat, blieben bisher wirkungslos.

Im Jahr 2024 hatten der Irak und die Türkei zwar ein Rahmenabkommen zur Wassernutzung unterzeichnet, konkrete Fortschritte bei der Durchsetzung wurden jedoch bislang nicht erzielt. Ankara ist laut irakischen Angaben verpflichtet, pro Sekunde mindestens 500 Kubikmeter Wasser freizugeben – tatsächlich erreichen den Irak nur 260 Kubikmeter.

Nationale Initiative angekündigt

Als Reaktion auf die Eskalation kündigte Premierminister Mohammed Shia al-Sudani auf der Wasser-Konferenz eine nationale Initiative zum Schutz von Tigris und Euphrat an. Diese soll internationale Unterstützung mobilisieren, bilaterale Gespräche mit der Türkei, Syrien und Iran intensivieren und den Wasserzugang als sicherheitspolitische Priorität etablieren. „Wasser ist eine Frage der nationalen Sicherheit“, betonte auch Shamal. „Unser Überleben, unsere Landwirtschaft und Stabilität hängen davon ab.“

Internationale Warnungen

Internationale Organisationen schlagen bereits seit Längerem Alarm: Das World Resources Institute zählt den Irak zu den 25 Ländern mit extrem hohem Wasserrisiko. Über 80 Prozent der verfügbaren Wasservorräte werden genutzt – bei kurzfristiger Dürre droht der völlige Kollaps. In vielen Regionen mussten Landwirte ihr Ackerland bereits aufgeben. Der Wassermangel zwingt den Irak, sich neu aufzustellen – politisch, diplomatisch und ökologisch.