Sorge um Lebensgrundlagen: Neue Bohrungen auf Weideflächen in Licê

In Licê sorgt ein neues Bohrprojekt auf Weideflächen für Protest. Anwohnende befürchten den Verlust ihrer Lebensgrundlage und sprechen von Einschüchterung durch Unternehmen und Militär.

„Wir wollen nicht vertrieben werden“

In mehreren Landkreisen der nordkurdischen Provinz Amed (tr. Diyarbakır) – darunter Hezro (Hazro), Farqîn (Silvan), Licê (Lice) und Pasûr (Kulp) – laufen seit rund fünf Jahren großflächige Öl- und Gaserkundungen durch den staatlichen Energiekonzern TPAO sowie dessen Tochterunternehmen TPIC. Nun sorgen neue Bohraktivitäten in Weidegebieten bei Licê für wachsende Kritik in der lokalen Bevölkerung.

Bohrungen rücken in Siedlungsnähe vor

Aktuell betroffen ist das Dorf Bilyasa Jor (Yukarı Çalılı). Laut Aussagen von Anwohnenden hat das Unternehmen in einem nahegelegenen Containerlager Quartier bezogen und führt dort täglich Einsätze durch. Die Bohrarbeiten verlagerten sich zuletzt von Waldgebieten zunehmend auf landwirtschaftlich genutzte Flächen, die für die lokale Tierhaltung unverzichtbar sind.


Ahmet Fidan, ein Dorfbewohner, berichtet, dass er in den frühen Morgenstunden durch Maschinenlärm geweckt wurde. „Als ich aus dem Haus trat, sah ich mehrere Bohrgeräte entlang des Hanges. Bereits erste Schächte mit bis zu 1,5 Meter Tiefe waren ausgehoben“, so Fidan. Die Mitarbeiter der Unternehmen hätten ihm gegenüber erklärt, sowohl nach Erdöl als auch nach Mineralien zu suchen.

Vorwurf: Einschüchterung und fehlende Beteiligung

Fidan kritisierte das Vorgehen als intransparent und übergriffig: „Sie sagten uns: ‚Das türkische Militär steht hinter uns, ihr könnt uns nicht aufhalten. Wenn ihr etwas dagegen habt, verklagt uns.‘“ Für die Bewohner:innen sei das betroffene Gelände die einzige Weidefläche für ihre Nutztiere. Mit einer Umzäunung des Geländes, so Fidan, „wäre das Ende der lokalen Tierhaltung besiegelt – und wir müssten unser Dorf verlassen“.

 

Umweltverbände und Anwaltskammer schlagen Alarm

Bereits im April hatten die Anwaltskammer von Diyarbakır und mehrere zivilgesellschaftliche Organisationen auf die massive Zerstörung durch die Explorationsprojekte hingewiesen. Ihren Angaben zufolge wurden allein in den letzten fünf Jahren über 200 Bohrfelder im Raum Amed angelegt – vielfach in landwirtschaftlich oder ökologisch sensiblen Zonen. Der Verlust an nutzbaren Agrar- und Weideflächen belaufe sich laut Schätzungen auf rund 35.000 Hektar.

Auch im Rahmen des „Çıralı-2B“-Projekts des Energieministeriums sind weitere seismische Untersuchungen und Tiefbohrungen in der Region geplant. Neben Öl werden auch Erzvorkommen erkundet. Dazu wurde bereits großflächig Wald gerodet, etwa um Zufahrten zu neuen Bohrstandorten zu schaffen.

„Wir wollen nicht aus unserer Heimat vertrieben werden“

Fidan und andere Dorfbewohner:innen kündigten an, juristische Schritte gegen die Bohrungen in ihrem Gebiet einzuleiten. Ziel sei es, die wirtschaftliche Grundlage und den sozialen Zusammenhalt der Region zu bewahren. „Wir wurden hier geboren, wir wollen hier leben. Dieses Land wurde bereits genug ausgebeutet – jetzt ist es Zeit, Nein zu sagen.“