Italienischer Gewerkschafter
Im Rahmen der internationalen Kampagne „Ich möchte Abdullah Öcalan treffen“, organisiert vom Europäischen Forum für Freiheit und Frieden (EFFP), ist eine 39-köpfige Delegation aus Parlamentarier:innen, Jurist:innen, Wissenschaftler:innen, Gewerkschafter:innen und Journalist:innen in die Türkei gereist. Ziel der Initiative ist es, auf die seit 26 Jahren andauernde Isolation des kurdischen Vordenkers Abdullah Öcalan im Hochsicherheitsgefängnis auf der Insel Imrali aufmerksam zu machen.
Mit dabei ist auch Renato Franzitta, internationaler Sprecher der italienischen Gewerkschaftskonföderation COBAS und Vertreter der Stadt Palermo, die Öcalan 2015 die Ehrenbürgerwürde verliehen hat. Im Gespräch mit ANF äußerte Franzitta sich zu seinen Beweggründen, Teil der Delegation zu sein. Er betonte, dass Öcalans Konzept des demokratischen Konföderalismus „die einzige praktische Alternative zum kapitalistischen, liberalen und patriarchalen System“ sei.
Demokratischer Konföderalismus als Antwort auf die Kapitalismuskrise
Franzitta zeigte sich insbesondere von Öcalans Fokus auf Frauenbefreiung, basisdemokratische Selbstverwaltung und die Idee eines konfessionell-neutralen, gemeinschaftsorientierten Zusammenlebens tief beeindruckt. „Sein Gesellschaftsmodell bietet einen Weg aus der sozialen, ökologischen und politischen Krise der Gegenwart – nicht nur für Kurd:innen, sondern global“, so der Gewerkschafter. Die Rojava-Revolution sei ein lebendiger Beweis für die Umsetzbarkeit dieser Ideen.
Kritik an italienischer Regierung und Rückblick auf Kobanê
Franzitta erinnerte auch an die Rolle der italienischen Regierung im internationalen Komplott gegen Öcalan im Jahr 1999. Dass Öcalan damals trotz Unterstützung aus der Zivilgesellschaft das Land verlassen musste, bezeichnete er als „politischen Verrat“. Als Reaktion darauf habe Palermo später die Ehrenbürgerwürde an den PKK-Begründer verliehen – ein symbolischer Akt der Solidarität.
Während der Belagerung von Kobanê durch die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) reiste Franzitta mit einer Delegation nach Pirsûs (tr. Suruç), um den Grenzübergang zu beobachten. Türkische Soldaten hätten den Zutritt zur syrischen Seite verweigert – in einem Fall sei ihm sogar eine Waffe ins Gesicht gehalten worden. „Es war eine erschütternde Erfahrung“, so Franzitta. Erst später habe er Kobanê zu einer Konferenz besuchen können.
Rojava als Modell gegen religiösen Extremismus
Der italienische Aktivist sieht im Rojava-Modell eine reale Antwort auf „die doppelte Bedrohung durch Dschihadismus und autoritären Nationalismus“. Dass Kurd:innen, Araber:innen, Armenier:innen und Turkmen:innen gemeinsam ein säkulares, basisdemokratisches Gemeinwesen aufbauen, zeige das Potenzial des Konzepts für den gesamten Nahen Osten. Öcalans Betonung der Rolle der Frau sei dabei zentral: „Eine befreite Gesellschaft beginnt mit der Befreiung der Frau. Das ist keine symbolische, sondern eine strukturelle Wahrheit.“
Appell: Freilassung politischer Gefangener als Voraussetzung für echten Frieden
Abschließend unterstrich Franzitta, dass ein glaubwürdiger Friedensprozess nur mit der Freilassung Abdullah Öcalans und aller politischen Gefangenen in der Türkei möglich sei. „Die kurdische Bewegung zeigt guten Willen, doch von der türkischen Regierung sehen wir bisher keine substanzielle Reaktion“, sagte er. Die Freilassung von Persönlichkeiten wie Selahattin Demirtaş, Figen Yüksekdağ und anderen sei eine Voraussetzung, um von einem „ehrlichen Friedensprozess“ überhaupt sprechen zu können.