Einzigartiger Naturraum soll Staudamm weichen
In der nordkurdischen Provinz Amed (tr. Diyarbakır) zeigt sich die dramatische Zerrissenheit eines einzigartigen Naturraums: Während im Geliyê Godernê die ersten Frühlingsblumen blühen und Vogelstimmen zu hören sind, schreitet gleichzeitig die Zerstörung durch den Bau des Silvan-Staudamms unaufhaltsam voran. Neue Aufnahmen aus dem Tal, das an der Schnittstelle der Landkreise Farqîn-Pasûr-Hezro (Silvan, Kulp, Hazro) liegt, dokumentieren eindrücklich diese Gleichzeitigkeit von Leben und Verlust.
Der im Rahmen des Südostanatolien-Projekts (GAP) errichtete Silvan-Staudamm wurde 2009 in Angriff genommen und soll in den kommenden Jahren vollständig in Betrieb gehen. Mit dem Aufstauen des Wassers werden nicht nur rund 50 Dörfer überflutet, sondern auch ein historisch und ökologisch bedeutsames Tal für immer verschwinden.
Ein Tal mit Jahrtausende alter Geschichte
Das Godernê-Tal ist ein Ort mit einer langen, bis in die neolithische Zeit zurückreichenden Geschichte. Es beherbergt Höhlen, alte Wasserläufe, Felskirchen, die Ruinen von Festungen und Palästen der kurdischen Merwanî-Dynastie (Marwaniden) sowie Felsengräber in den Regionen Hevika, Kanika und Kelê. Diese Relikte sind nicht nur archäologisch relevant, sondern Teil des kollektiven Gedächtnisses der Region.
Auch ökologisch ist das Tal von großer Bedeutung: Neben endemischen Pflanzenarten wie wildem Rhabarber, gemeinem Bocksdorn und Wildmalve leben hier viele bedrohte Tierarten. Das Gebiet liegt auf wichtigen Vogelzugrouten und dient zahlreichen Arten als Rast- und Brutplatz. All das ist durch den steigenden Wasserstand des Staudamms in akuter Gefahr.
Ökologische und soziale Folgen
Die Bauarbeiten am Staudamm haben bereits heute massive ökologische Schäden angerichtet: Tausende Bäume wurden gefällt, Felder und Wege zerstört, der Zugang zu landwirtschaftlichen Flächen eingeschränkt. Die historische Steinbrücke wurde beschädigt, Sprengungen führten zu Rissen in den umliegenden Strukturen. Im Bereich der Brücke wurde inzwischen sogar Beton am Talhang vergossen – das Landschaftsbild hat sich dadurch tiefgreifend verändert.
Und doch blüht das Geliyê Godernê in Teilen auf. Mit dem Frühlingsbeginn färben sich viele Wiesen grün, Wildblumen bedecken den Boden – ein letzter Ausdruck von Widerstandskraft vor dem Untergang. Besuchende aus der Region zeigten sich erschüttert über die sichtbare Zerstörung und protestierten gegen die anhaltenden Eingriffe in die Natur.
Ein Natur- und Kulturerbe im Verschwinden
Der Bau des Silvan-Staudamms reiht sich ein in eine Reihe von Infrastrukturprojekten des türkischen Staates, die in Nordkurdistan unter dem Deckmantel der Entwicklung durchgeführt werden – oft ohne Rücksicht auf kulturelles Erbe oder ökologische Tragweite. Während die offiziellen Stellen wirtschaftlichen Fortschritt versprechen, warnen Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen seit Jahren vor der irreversiblen Zerstörung von Landschaft, Lebensraum und Geschichte.