IPI fordert Freilassung von in der Türkei festgenommenen Journalist:innen

Bei einer landesweiten Operation gegen die Nachrichtenagentur MA in der Türkei sind elf Journalist:innen festgenommen worden. Das International Press Institute (IPI) solidarisiert sich mit den Medienschaffenden und fordert ihre Freilassung.

Das International Press Institute (IPI), ein weltweites Netzwerk von Redakteur:innen, Journalist:innen und Medienverantwortlichen, verurteilt die Festnahme von elf kurdischen Journalist:innen in der Türkei und fordert ihre Freilassung. „Die Türkei missbraucht regelmäßig die Anti-Terror-Gesetze, um Journalist:innen ins Visier zu nehmen, die häufig willkürlichen Anklagen und Inhaftierungen ausgesetzt sind. Die Verhaftungen fügen sich in ein Muster von schwerwiegenden Angriffen auf die Pressefreiheit in der Türkei ein. IPI fordert die türkischen Behörden auf, diese elf Journalist:innen und alle anderen Reporter:innen hinter Gittern freizulassen“, heißt es in einer Stellungnahme des Instituts zu der heutigen Festnahmewelle in neun Städten der Türkei.

Als Journalisten getarnte Verdächtige im Auftrag der PKK“

Die Ko-Vorsitzende der Journalistenvereinigung Dicle-Firat (DFG), Dicle Müftüoğlu, erklärte gegenüber IPI, dass sie von den ersten Einzelheiten der Operation durch eine Erklärung der Sicherheitskräfte erfuhr, die in WhatsApp-Pressegruppen in Ankara verbreitet wurde. In der Erklärung wurde behauptet, dass „als Journalisten getarnte Verdächtige" im Auftrag der verbotenen PKK Presseaktivitäten durchgeführt hätten. Müftüoğlu sagte, die Tatsache, dass die in den Medien verbreitete Erklärung von den Sicherheitskräften und nicht von der Staatsanwaltschaft verfasst wurde, verletze die Rechte der Angeklagten und die Unschuldsvermutung.

Zu Hass und Feindschaft aufstachelnde Nachrichten“

In einer offiziellen Erklärung teilte die Polizeidirektion in Ankara über Twitter mit, dass „elf von 14 gesuchten Verdächtige zeitgleich im Rahmen einer Anti-Terror-Operation gegen die Nachrichtenagentur Mezopotamya“ (MA) festgenommen wurden. MA unterstehe „dem Presserat der Terrororganisation PKK/KCK“ und veröffentliche Nachrichten, die „die Öffentlichkeit zu Hass und Feindschaft aufstacheln, was nach technischen Untersuchungen festgestellt wurde". In der Erklärung heißt es weiter, dass eine Reihe von digitalen Materialien, Büchern und Dokumenten beschlagnahmt wurden.

Die offizielle Erklärung wurde von einem kurzen, von den Sicherheitskräften veröffentlichten Video begleitet, auf dem mehrere Journalist:innen zu sehen sind, die gewaltsam aus ihren Häusern geholt, mit Handschellen gefesselt und mit dem Kopf auf den Boden gedrückt werden. „Diese Operationen dienen nur dazu, Journalist:innen zu kriminalisieren, um in der Öffentlichkeit den Eindruck zu erwecken, es handele sich um Terroristen", sagte Müftüoğlu unter Bezugnahme auf das Video.

Mission zur Pressefreiheit in der Türkei

Anfang dieses Monats reiste eine Delegation von IPI, Reporter ohne Grenzen (RSF) und Osservatorio Balcani e Caucaso Transeuropa (OBCT) als Teil einer Mission zur Pressefreiheit in der Türkei nach Amed (tr. Diyarbakir). Die Delegationsmitglieder trafen sich mit dem Journalistenverband DFG und lokalen Medienschaffenden, darunter Reporter:innen von MA und JinNews. Die vom IPI geleitete Delegation hörte sich die Sorgen der Journalist:innen in Bezug auf die ständigen rechtlichen Schikanen, Verhaftungen, Kontrollen und Überwachungen an, die ihrer Meinung nach darauf zurückzuführen sind, dass sie wegen ihres Journalismus und ihrer kurdischen Identität doppelt verfolgt werden. Die Delegation hielt auch eine kurze Demonstration in Solidarität mit 15 anderen Journalist:innen und einer Medienmitarbeiterin ab, die im Juni 2022 in Diyarbakır unter Terrorismusvorwürfen verhaftet wurden und weiterhin hinter Gittern sitzen.

Nach den heutigen Festnahmen erklärt IPI: „Wir stehen in Solidarität mit all unseren Kolleg:innen und erneuern unsere Forderung an die Türkei, alle Journalist:innen unverzüglich freizulassen.

Die festgenommenen Journalist:innen

Bei den Festgenommenen handelt es sich um die Chefredakteurin der Nachrichtenagentur Mezopotamya (MA), Diren Yurtsever, die MA-Korrespondent:innen Deniz Nazlım, Selman Güzelyüz, Zemo Ağgöz, Berivan Altan, Hakan Yalçın, Emrullah Acar und Ceylan Şahinli sowie die JinNews-Korrespondentinnen Habibe Eren und Öznur Değer. Mehmet Günhan, ein ehemaliger Praktikant von MA, wurde in seiner Wohnung in Manisa festgenommen. Alle Beschuldigten sind oder waren in der Verangenheit für das MA-Büro in Ankara tätig.

Die Journalistin Zemo Ağgöz befindet sich im Mutterschutz und konnte ihr 45 Tage altes Baby erst fünf Stunden nach der Festnahme stillen, als der Säugling nach anwaltlicher Intervention auf die Polizeiwache gebracht werden konnte.

Geheimhaltungsverfügung und Anwaltsverbot

In dem Verfahren wurde eine Geheimhaltungsverfügung verhängt, die konkreten Vorwürfe sind unklar. Die Festgenommenen haben keinen Zugang zu einem Rechtsbeistand. Der Kontakt zu Rechtsanwält:innen wurde für 24 Stunden untersagt, begründet wurde die Anordnung mit dem schweren „Charakter der Straftat". Nach Angaben der Polizeidirektion Ankara wird nach drei weiteren Journalist:innen gefahndet. Die Festnahmen wurden von der Generalstaatsanwaltschaft Ankara angeordnet. Alle Festgenommenen sollen in die polizeiliche Antiterrorabteilung in der Hauptstadt gebracht werden.

Durchsuchung im MA-Büro in Ankara

Die zeitgleichen Festnahmen waren von Übergriffen und Drohungen begleitet. Die Redaktion der Nachrichtenagentur Mezopotamya in Ankara wurde sechs Stunden lang durchsucht. Beschlagnahmt wurden fünf Computer, zwei Festplatten, ein Mikrofon, ein Telefon, Kalender, Bücher, Zeitungen, Zeitschriften, ein Zeitungsarchiv der vergangenen dreißig Jahre sowie Bilder von in den 1990er Jahren ermordeten Journalist:innen. Ein Bild der kurdischen Journalistin und Jineolojî-Forscherin Nagihan Akarsel, die am 4. Oktober vom türkischen Geheimdienst MIT in Silêmanî ermordet worden war, wurde von der Polizei zerrissen.

Sturmgewehre auf Journalist:innen gerichtet

Spezialeinheiten der Polizei schlugen mit Rammböcken die Türen der Wohnungen der Journalist:innen ein und richteten Sturmgewehre auf sie. Der Journalistin Berivan Altan und ihren bei ihr festgenommenen Kolleginnen wurden die Hände auf den Rücken gefesselt und sie mussten längere Zeit auf dem Bauch liegend warten. Wie zu erfahren war, setzten sich die Polizeibeamten auf die Journalistinnen, sie wurden auf den Boden gedrückt, beschimpft und beleidigt. Ein Polizeibeamter bedrohte Berivan Altan mit den Worten: „Ich weiß, was ich mit Ihnen machen werde, Sie werden es sehen, wenn wir hier weggehen.“ Andere wurden beleidigt und unter Waffenandrohung gefragt, ob sie Türken seien.