Cemal Amed: Vom revolutionären Zyklus zur neuen Phase

Der PKK-Kongress markiert den Übergang von einer bewaffneten Organisation zu einem postrevolutionären, zivilgesellschaftlich orientierten Projekt. Im Zentrum steht eine Ausrichtung, die Frauenbefreiung, Demokratie und Friedensvisionen verbindet.

Der 12. PKK-Kongress als Wendepunkt in der kurdischen Bewegung

Mit dem 12. Kongress der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), abgehalten Anfang Mai in den Medya-Verteidigungsgebieten, markiert die Organisation eine tiefgreifende Zäsur ihrer politischen Entwicklung. Wie Delegierter Cemal Amed in seiner Auswertung betonte, sei mit dem Kongress nicht nur ein organisatorischer Abschluss erfolgt, sondern vor allem der Einstieg in eine neue Epoche des politischen Kampfes, die über die bisherige paradigmatische Form hinausweist: „Mit dem Ende des 52-jährigen PKK-Zyklus beginnt ein neuer Abschnitt des kollektiven politischen Engagements, der auf eine post-hierarchische, post-militarisierte und dezentral vernetzte Praxis zielt.“

Transformation statt Machterhalt: Das „Nicht-Verhärten“ als Prinzip

Im Zentrum der neuen Phase steht laut Amed die politische Philosophie Abdullah Öcalans, der am 27. Februar einen neuen gesellschaftspolitischen Aufruf formulierte. Dieser wird als Katalysator für eine „regionale Transformation“ gedeutet, die sowohl auf nationaler als auch transnationaler Ebene Alternativen zur autoritären Staatlichkeit entwerfen soll.


Amed unterstrich die ideologische Tiefe dieses Übergangs: Öcalans Konzept der „permanenten Freiheit“ — also die Ablehnung von dogmatischer Verfestigung, Hierarchisierung und Machtakkumulation — bilde den normativen Kern des neuen Kampfabschnitts. „Die Idee Rêber Apos einer nicht-staatlichen, fluiden Organisierung ist kein Rückzug, sondern eine Erweiterung der politischen Praxis in Richtung einer universalistischen Befreiungsperspektive.“

Frauenbefreiung als tragendes Fundament der neuen Phase

Ein zentrales Element der Neuorientierung ist die konsequente Verankerung der Frauenbefreiung im Zentrum des politischen Denkens und Handelns. Wie Amed betont, sei die „Frauenbefreiung“ nicht lediglich ein Nebenschauplatz, sondern „die tragende Säule des neuen revolutionären Verständnisses“. „Die von Abdullah Öcalan entwickelte Linie der Frauenbefreiung ist kein ideologisches Zusatzmodul, sondern der eigentliche Motor des gesellschaftlichen Wandels in Kurdistan und darüber hinaus.“

In diesem Sinne sei die Verankerung von weiblicher Energie, von nicht-patriarchaler Organisierung und anti-militaristischer Subjektbildung ein strategischer Kern des neuen Abschnitts. Die Praxis der kurdischen Frauenbewegung sei Ausdruck dieser tiefgreifenden Neuausrichtung.

Amed nennt diese politische Wendung einen bewussten Bruch mit traditionellen Befreiungsbewegungen, die oft Frauenfragen der militärischen oder ideologischen Hauptlinie unterordneten. Die neue Phase stelle dagegen eine konsequente Feminisierung des Befreiungskonzepts dar: „Die Transformation zu einer demokratischen Moderne gelingt nur, wenn Frauen nicht Objekt, sondern Subjekt der politischen Geschichte sind.“

Ein neuer Deutungsrahmen für regionale Befreiung

Amed betont, dass der neue Kurs nicht nur auf Kurdistan beschränkt sei, sondern auf eine umfassende Veränderung der politischen Dynamik in der Region ziele. Angesichts der geopolitischen Umbrüche eröffne sich ein „Fenster für einen neuen Typ von Politik“: „Das Ende der alten Bündnisse und die Krise autoritärer Staatlichkeit rufen nach einer demokratischen Alternative, die von unten getragen ist – und die PKK versucht, diesen Raum jetzt mit Inhalt zu füllen.“

Die 27. Februar-Erklärung Öcalans wird von Amed als Wendepunkt gelesen: ein Aufruf zur Entmilitarisierung, zur Öffnung, zur Einbettung der kurdischen Frage in eine globale Friedensordnung. Der Kongress stelle daher nicht nur eine „innere Neujustierung“ dar, sondern auch den Versuch, das kurdische Narrativ mit einer globalen Perspektive zu verbinden. „Die Entscheidung zur Beendigung der bisherigen PKK-Organisationsform ist Ausdruck einer historischen Lesart, die über nationale Grenzen hinausreicht und eine neue Stufe der Menschheitsbefreiung anstrebt.“

Erinnerungskultur und Zukunftsverantwortung

Besondere Bedeutung erhielt auf dem Kongress auch das Gedenken an Gefallene Ali Haytan Kaytan und Rıza Altun, die laut Cemal Amed exemplarisch für die 52-jährige Geschichte des Widerstands stehen. Die Würdigung der Vergangenheit gehe dabei Hand in Hand mit der Verpflichtung zur Weiterentwicklung der Bewegung unter neuen Bedingungen.

Amed schloss mit einem Appell an die politische Verantwortung: „Dieses neue Kapitel ist nicht nur historisches Vermächtnis, sondern auch Auftrag. Es liegt nun an uns, diesen Weg in praktisches politisches Handeln zu überführen – als Beitrag zu einer zukünftigen regionalen, ja globalen Zivilgesellschaft.“