Der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdoğan hat mit rechtlichen Schritten gegen die Veröffentlichung von Inhalten in Medien gewarnt, die mit moralischen und nationalen Werten nicht vereinbar seien. Wie aus einem am Samstag im Amtsblatt veröffentlichten Erlass hervorgeht, würden gegen „schädliche Inhalte“ in der „schriftlichen, mündlichen und visuellen Presse“ künftig „notwendige Maßnahmen“ ergriffen. Konkret benannt wurden diese nicht. Ziel sei es, eine „zerstörerische Wirkung“ auf die Gesellschaft, auch auf Kinder und Jugendliche, zu minimieren.
Mit der neuen Richtlinie steht zu befürchten, dass die Zensur von Presse und Medien, die sich ohnehin wie ein roter Faden durch die Herrschaft der seit 2002 regierenden AKP, weiter verschärft wird. Vor allem die kritische Berichterstattung ist in der Türkei ein Minenfeld. Mindestens 95 Prozent der Medien sind gleichgeschaltet. Besonders hart trifft die Repression des Regimes die kurdische Presse, die eine Avantgarderolle für freie und oppositionelle Medien in der Türkei spielt.
So wunderte es nicht, das mit Xwebûn und Yeni Yaşam zwei Blätter in der Tradition der freien Medien just nach Erscheinen des Amtsblatts aus dem digitalen Verkehr gezogen wurden. Seit Samstagfrüh ist der Zugriff auf die Webseiten beider Zeitungen gesperrt, die Internetpräsenz ist damit landesweit nicht mehr abrufbar – auf Betreiben der türkischen Informationstechnologiebehörde (BTK). Grundlage ist das umstrittene Gesetz 5651 für Internetüberwachung und Netzsperren. Die Regelung trat 2007 mit dem Ziel in Kraft, die Persönlichkeitsrechte zu schützen – so die türkische Regierung. Das Gesetz ermöglicht den Behörden eine weitgehende Zensur des Internets: Webseiten können mit, aber auch ohne gerichtliche Anordnung gesperrt werden. Laut dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) verletzt das türkische Internetgesetz den Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention, der das Recht auf Meinungsfreiheit regelt. Für die Regierung von Recep Tayyip Erdogan stellte dies aber kein Hindernis dar, das Gesetz immer wieder zu verschärfen.
Xwebûn – Zeitung für Kurdistan
Mit dem Titel „Xwebûn“, was so viel wie Selbstsein bedeutet, bringt eine Gruppe engagierter Journalist:innen, Autor:innen und Sprachpfleger:innen seit Ende 2019 eine überregionale kurdische Zeitung heraus. Das wöchentlich im Zeitungsformat in den kurdischen Dialekten Kurmancî und Kirmanckî (Zazakî) erscheinende Blatt widmet sich dem Erhalt der kurdischen Sprache. Die hauptsächlich türkischsprachige Tageszeitung Yeni Yaşam (Neues Leben), die aller Repression zum Trotz schwerpunktmäßig über den Krieg in Kurdistan berichtet, gilt als aktuelles Nachfolgemedium der verbotenen Özgür Gündem, der ersten unabhängigen prokurdischen Zeitung in der Türkei. Es handelt sich nicht um die erste Zensurmaßnahme der staatlichen Behörden gegen die Arbeit dieser Zeitungen. Eine schriftliche Begründung für die Blockade der Webseiten liegt bisher nicht vor.
Justizminister zurückgetreten
Am Samstag trat außerdem der seit 2017 amtierende Justizminister des Landes, Abdülhamit Gül, zurück. Erdoğan ersetzte Gül durch Bekir Bozdağ aus seiner Regierungspartei. Bozdağ, der zwischen 2013 und 2017 Justizminister war, dankte Erdogan auf Twitter für das Amt. Auch die nationale Statistikbehörde bekam mit Erhan Çetinkaya, früherer Vizechef der türkischen Bankenaufsicht, einen neuen Leiter, wie aus dem Amtsblatt hervorging. Zuvor hatte Sait Erdal Dinçer das Amt ein Jahr lang inne. Dieser war Anfang Januar in die Kritik geraten, nachdem seine Behörde einen Anstieg der Inflationsrate um gut 36 Prozent im Vorjahresvergleich bekannt gegeben hatte. Es handelte sich um den höchsten Wert seit mehr als 19 Jahren. Bereits im November 2021 hatte die Inflationsrate rund 21 Prozent erreicht.