Türkei: 63 Medienschaffende im Gefängnis

Mindestens 63 Medienschaffende sitzen derzeit in der Türkei im Gefängnis. Der kurdische Verein DFG spricht von einer „routinierten Form der Unterdrückung und Diskriminierung“ von Journalist:innen und schlägt Alarm.

Mindestens 63 Medienschaffende sitzen derzeit in der Türkei im Gefängnis. Das teilt der in Amed (tr. Diyarbakir) beheimatete kurdische Journalistenverein Dicle Fırat (DFG) mit. Die Organisation spricht in ihrer monatlichen Bilanz zu Repressionen und Rechtsverletzungen im Bereich der Presse- und Meinungsfreiheit von einer „routinierten Form der Unterdrückung und Diskriminierung“ von Medien und im Journalismus tätigen Personen und schlägt Alarm: Mit gezielter „juristischer Schikane“ mache die Regierung in Ankara die Arbeit der Medienschaffenden praktisch unmöglich.

„Die Festnahme von Journalistinnen und Journalisten und die Behinderung der medialen Berichterstattung gehört in der Türkei inzwischen zur Routine“, kritisiert DFG. Mehr denn je werde die Pressefreiheit missachtet. Mal würde sie mit Füßen getreten, mal durch gefährliche Rhetorik, mal im wahrsten Sinne des Wortes. Durch gewaltsame Übergriffe, Ermittlungsverfahren, Anklagen und langjährige Freiheitsstrafen sollen Medienschaffende „funktionsunfähig“ gemacht werden. Als gern genutztes Repressionsinstrument zur Unterdrückung greife die Regierung wieder inflationär zur Methode der Nachrichtensperre und Blockierung ganzer Webseiten.

Über 200 Nachrichtenbeiträge im August gesperrt

DFG in dem Bericht fest, dass im August 211 Nachrichtenbeiträge sowie sechs Webseiten von Agenturen und anderen Medienportalen gesperrt wurden. Bei einer der betroffenen Einrichtungen handelt es sich um die feministische Frauennachrichtenagentur JinNews. Solche Beschlüsse werden von Gerichten auf Grundlage des umstrittenen Gesetzes 5651 für Internetüberwachung und Netzsperren getroffen. Neben der Regulierungsbehörde für den privaten Rundfunk hat sich die 2018 gegründete Präsidiale Direktion für Kommunikation als einer der entschlossensten Verfolger des Journalismus hervorgetan. Das Hauptaugenmerk der Direktion unter Leitung von Kommunikationsdirektor Fahrettin Altun richtet sich auf Medienschaffende und Institutionen, die kritisch über Präsident Recep Tayyip Erdoğan und die Machenschaften seiner Partei AKP berichten.

Zensur-Behörde Kommunikationsbüro

DFG bezeichnet das Kommunikationsbüro des Staatspräsidenten treffend als „Zensur-Behörde“, die zum „Schutz der nationalen Sicherheit und öffentlichen Ordnung“ eine Überwachungsrolle zur Unterdrückung der Gesellschaft wahrnehme. Nach Recherchen von DFG sind im Vormonat fünf Medienschaffende festgenommen worden, gegen acht Journalist:innen hat es tätliche Angriffe gegeben. Gegen ebenfalls acht Journalist:innen wird derzeit aufgrund ihrer Arbeit ermittelt, drei weitere sehen sich bereits Gerichtsverfahren ausgesetzt. Zwei Medienschaffende wurden zu insgesamt zehn Jahren, fünf Monaten und 22 Tagen Freiheitsstrafe verurteilt.

150.000 URLs blockiert

Laut Angaben der vom türkischen Verein für Meinungsfreiheit betriebenen Seite Engelli Web sind mit Stand von Dezember 2020 insgesamt 467.111 Webseiten in der Türkei blockiert. Auch der Abruf von 150.000 URLs, 7.500 Twitter-Konten, rund 50.000 Beiträgen des Kurznachrichtendienstes, 12.000 Videos auf YouTube, 8.000 Facebook-Einträgen sowie 6.800 Posts bei Instagram ist aufgrund von Gerichtsbeschlüssen und Anordnungen anderer Behörden nicht möglich. Engelli Web ist eine Seite, die sich mit verbotenen Webseiten befasst. Der Betreiberverein weist darauf hin, dass diese Sperren ebenfalls mit Verstößen gegen das Gesetz Nummer 5651 begründet werden. Die Regelung trat 2007 mit dem Ziel in Kraft, die Persönlichkeitsrechte zu schützen – so die türkische Regierung. Das Gesetz ermöglicht den Behörden eine weitgehende Zensur des Internets: Webseiten können mit, aber auch ohne gerichtliche Anordnung gesperrt werden. Laut dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) verletzt das türkische Internetgesetz den Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention, der das Recht auf Meinungsfreiheit regelt. Für die Regierung von Recep Tayyip Erdoğan stellte dies aber kein Hindernis dar, das Gesetz sogar zu verschärfen.