„Tag des arbeitenden Journalisten“ in der Türkei

Der 10. Januar gilt in der Türkei seit 1961 als „Tag des arbeitenden Journalisten“. Den meisten Medienschaffenden in dem autoritär geführten Land ist jedoch nicht zum Feiern zumute. Systematische Zensur und Repression sind allgegenwärtig.

Der 10. Januar gilt in der Türkei als „Tag des arbeitenden Journalisten“. An diesem Tag feiert der Berufszweig das Arbeitsrecht für Medienschaffende, das im Jahr 1961 in Kraft trat und seither ihre Rechte und Interessen schützen soll. Den meisten Journalistinnen und Journalisten in dem von Recep Tayyip Erdoğan autoritär geführten Land ist jedoch nicht zum Feiern zumute, denn systematische Zensur und Repression sind allgegenwärtig. Mindestens 96 Prozent der Medienlandschaft steht durch geschäftliche Abhängigkeiten unter der vollständigen Kontrolle der Regierung oder regierungshöriger Medienkartelle. Etwa zwölftausend Journalistinnen und Journalisten sind derzeit arbeitslos. Mindestens 62 Medienschaffende sitzen nach Angaben des in Amed (tr. Diyarbakir) beheimateten Journalistenvereins Dicle Firat (DFG) im Gefängnis, sechs von ihnen sind Frauen. Ihnen werden schwere Straftaten wie Terrormitgliedschaft oder Umsturz der Regierung vorgeworfen. Hunderte ihrer Kolleginnen und Kollegen sind in den letzten Jahren ins Ausland geflüchtet, um demselben Schicksal zu entlaufen.

„Die Atmosphäre für Medienschaffende in diesem Land ist erstickend. Es herrscht ein Klima der Unterdrückung“, sagt Ayşe Güney, Sprecherin der Journalistinnen-Plattform Mezopotamya (MKGP), anlässlich des 10. Januar in Amed. Gerade deshalb werde dieser Tag nicht als Anlass zum Feiern genommen, sondern als „Kampftag für die Organisierung gegen Unterdrückung“ begriffen. „Unterdrückung, Bedrohungen, Verhaftungen, Zensur, Arbeitslosigkeit; was Angehörige unserer Berufsgruppe Tag für Tag erleben, ist eine neue Qualität der Repression“, führt Güney, die zudem als Redakteurin der feministischen Nachrichtenagentur JinNews arbeitet, weiter aus. „Insbesondere in Ländern, die sich vollständig von der Demokratie entfernt haben und von einem monistischen, totalitären Regime regiert werden, zeichnet sich mit jedem Tag ein noch beängstigenderes Bild. Die Türkei steht an der Spitze der Liste dieser Länder.“ Es werde versucht, die freie Berichterstattung vollständig aus dem Weg zu räumen.

Ayşe Güney (m.) bei der Vorstellung des Berichts zur Lage von Frauen im Journalismus. Mit dabei: Die Journalistinnen Roza Metina (l.) und Dicle Müftüoğlu

Noch nie habe es in der Türkei zudem so viele arbeitslose Journalistinnen und Journalisten gegeben wie momentan, sagt Güney. Vielerorts müssten Medienschaffende ohne soziale Absicherung unter harten Bedingungen arbeiten. Für Frauen in dem Beruf sei die Situation noch gravierender. „Sie werden schlechter bezahlt als ihre männlichen Kollegen und liegen bedingt durch patriarchale Geschlechterverhältnisse sowie Hierarchie- und Machtbeziehungen in der Männergesellschaft an der Spitze der Entlassungen in der Branche.“ Auch seien es Frauen im Journalismus, die am häufigsten bei der Ausübung ihres Berufs Opfer von Repression werden. „Ob im Büro oder auf der Straße – weibliche Medienschaffende werden systematisch ins Visier genommen, an den Pranger gestellt, kriminalisiert und der Gewalt von Sicherheitskräften ausgesetzt.

Zwölf Journalistinnen in 2021 verurteilt

„2021 sind neunzehn unserer Kolleginnen festgenommen worden, 49 weitere wurden von der Polizei an ihrer Arbeit gehindert. Mindestens neunzehn Journalistinnen mussten polizeiliche Gewalt erfahren, fünf wurden bedroht und zwei weitere sind zur Spitzeltätigkeit gedrängt worden. Zwei unserer inhaftierten Kolleginnen wurden im Gefängnis entwürdigenden Maßnahmen unterzogen. Gegen neun Journalistinnen laufen Ermittlungsverfahren wegen ihrer Berichterstattung, in dreizehn weiteren Fällen wurde bereits Anklage erhoben. Zwölf Kolleginnen wurden zu insgesamt siebzehn Jahren, acht Monaten und elf Tagen Freiheitsstrafe verurteilt, eine weitere erhielt eine Geldstrafe in Höhe von 7.080 TL. Eine Kollegin sitzt im Hausarrest, drei weiteren wurde der Presseausweis entzogen. Die Webseite der Agentur JinNews ist ganze 21-mal blockiert worden. Auch die Bilanz über patriarchale Gewalt und Femizid des Portals Bianet wurde gesperrt“, erklärt Ayşe Güney. Es sei für frei arbeitende Kolleginnen und Kollegen daher angebracht, sich mit den Medienschaffenden in der Türkei solidarisch zu zeigen und ihre Stimme für sie zu erheben.