Der Journalistenverein Dicle Firat (DFG) stellte seinen Bericht über Rechtsverletzungen an Journalist:innen im Jahr 2021 vor. Die Zahlen stellen der Meinungsfreiheit in der Türkei ein verheerendes Zeugnis aus. So befinden sich 62 Journalist:innen in Haft, gegen 746 laufen Gerichtsverfahren und mehr als 1400 Nachrichten im Internet wurden blockiert.
Die Vorstellung des DFG-Jahresberichts fällt mit dem zweijährigen Gründungsjubiläum des Vereins zusammen. Auf einer Pressekonferenz in Amed (tr. Diyarbakir) erklärte die Ko-Vorsitzende Dicle Müftüoğlu: „Als der DFG vor zwei Jahren diesen Weg einschlug, war es unsere oberste Priorität, eine freiere und lebenswertere Welt zu schaffen. Damit dies geschehen kann, muss ein demokratisches Umfeld geschaffen werden, in dem ein demokratisches Leben einschließlich Gedanken- und Meinungsfreiheit herrscht. Die grundlegendste Voraussetzung dafür ist zweifellos die Pressefreiheit.“
„Dutzende Journalist:innen begingen das neue Jahr im Gefängnis“
Müftüoğlu weiter: „Die unterdrückten Völker und vor allem die Kurd:innen haben mit großer Hoffnung auf Freiheit das Jahr 2021 begonnen und ihren Widerstand ausgeweitet. Die Regierung verschärfte demgegenüber ihre Repression und versuchte, den Widerstand zu eliminieren. Während der 19-jährigen Herrschaft der AKP-Regierung sind die Angriffe auf die Gedanken- und Meinungsfreiheit immer härter geworden. Wir können sagen, dass 2021 ein schwieriges Jahr für Journalist:innen war. Weltweit haben Regierungen, um das Recht auf Information zu blockieren, die Repression gegen Medienschaffende verstärkt. Durch Verhaftungen sollte die Wahrheit vertuscht werden. Das Repressionsregime in der Türkei hat sich um ein Vielfaches verschlimmert. Für Dutzende Journalistinnen und Journalisten hat das neue Jahr im Gefängnis begonnen.“
„Alles wird gegen Journalist:innen eingesetzt“
Zur Kriminalisierung von Journalist:innen erklärt die Vereinsvorsitzende: „Journalist:innen werden verfolgt, ihnen werden Mikrofone, Kameras und Fotoapparate weggenommen und sie stehen unzähligen Hindernissen gegenüber. Es wird alles versucht, um die Journalist:innen aus ihrem Arbeitsfeld zu drängen. Kein Journalist, der die von der Regierung gesetzte Linie überschreitet, kann in Ruhe arbeiten. Das Vorgehen der Regierung, die Repression und die Einschränkung der Pressefreiheit zeigen uns, dass die Türkei de facto ein Gefängnis für Journalist:innen ist. Das gilt auch für diejenigen, die nicht im Gefängnis sitzen. Denn Journalist:innen haben nicht die Möglichkeit, ihre Arbeit frei auszuüben. Sie werden als Sündenböcke dargestellt, weil sie nicht auf Regierungslinie publizieren.“
Zensur und Blockade von Internetseiten
Müftüoğlu thematisierte auf der Pressekonferenz auch die Zensur und Blockade von kritischen Internetseiten und erklärte: „Die Oberste Behörde für Radio und Fernsehen (RTÜK) ist zur Hauptinstitution der Zensur geworden. Sie war im Jahr 2021 der Alptraum aller Medien. Im Laufe des Jahres wurden viele Veröffentlichungen der Publikationen, die wir als regierungskritisch bezeichnen können, sanktioniert. Es wurde versucht, sie durch die RTÜK zum Schweigen zu bringen. Mithilfe der Behörden wurden Anzeigenverbote gegen Zeitungen verhängt. So wurde versucht, die Medien jenseits des Regierungsdiskurses ökonomisch auszuschalten.“
„Wir werden weiter das sagen, von dessen Richtigkeit wir überzeugt sind“
Müftüoğlu weiter: „Wir stellen uns ein Land vor, in dem Journalist:innen ihre Arbeit frei ausüben können, in dem die Gedanken- und Meinungsfreiheit nicht eingeschränkt ist. Leider sind diejenigen, die das Land regieren, weit davon entfernt. Leider ist es nicht möglich, in einem Umfeld, in dem sich das repressive Regime auf alle Teile der Gesellschaft ausbreitet, von journalistischer Freiheit zu sprechen. Trotz alledem möchten wir wiederholen, dass wir als Journalist:innen, die die freie Presse verteidigen und versuchen, ein demokratischeres Leben aufzubauen, weiterhin das, von dem wir wissen, das es wahr ist, sagen und berichten werden.“
Rechtsverletzungen, Angriffe, Morde, Folter
Der DFG-Vorsitzende Serdar Altan berichtete auf der Pressekonferenz über die Rechtsverletzungen im vergangenen Jahr. Demnach wurden 2021 55 Journalist:innen angegriffen, zwei wurden dabei getötet, neun überfallen. 61 Journalist:innen wurden festgenommen, sechs wurden inhaftiert, 23 gefoltert oder misshandelt. Elf wurden bedroht oder sollten dazu gezwungen werden, als Spitzel tätig zu sein. In 102 Fällen wurde die Berichterstattung behindert und in 17 Fällen waren inhaftierte Journalist:innen von Rechtsverletzungen betroffen.
Gerichtsverfahren gegen 746 Journalist:innen
Darüber hinaus wurden gegen 54 Journalist:innen Ermittlungsverfahren wegen ihrer Berichterstattung eingeleitet und 47 Journalist:innen zu insgesamt 133 Jahren, acht Monaten und 21 Tagen Haft verurteilt. 746 Journalist:innen sollen in 336 Verfahren verurteilt werden. 62 Journalist:innen befinden sich in Haft.
1460 Nachrichten blockiert
Weiterhin wurden gegen zwölf Publikationen 59 Strafen verhängt, vier Zeitungen wurde für 115 Tage verboten, Anzeigen zu schalten, und es wurden 112 Verbreitungsverbote ausgesprochen.
Weiterhin wurden dem Bericht zufolge 64 Internetseiten geschlossen, 1460 Nachrichten und 160 Social-Media-Accounts blockiert.
In dem Bericht heißt es, dass es sich hierbei nur um die registrierten Zahlen handele und die Realzahlen vermutlich weit höher liegen.