„Was ich schreibe, beschreibt nur, was ich nicht schreiben kann“

„Was ich schreibe, beschreibt nur, was ich nicht schreiben kann“ - So formuliert es die seit zehn Jahren in der Türkei inhaftierte Journalistin Sibel Mustafaoğlu in einem Brief an ihre Kolleg:innen vom Journalistenverein DFG.

Der Briefverkehr zwischen dem Journalistenvereins Dicle-Firat (DFG) und inhaftierten Kolleg:innen in der Türkei wird von der Vollzugsleitung im Frauengefängnis Şakran zensiert. Das geht aus einem Schreiben der seit zehn Jahren gefangenen Journalistin Sibel Mustafaoğlu an den Verein hervor. „Euer Brief an mich wurde beschlagnahmt, weil damit laut Beschluss ,die Kommunikation unter Organisationsmitgliedern gewährleistet und die Anstaltssicherheit gefährdet' wird“, schreibt Sibel Mustafaoğlu, „Daher weiß ich nicht, was Ihr geschrieben habt. Damit Ihr Bescheid wisst, wollte ich Euch trotzdem kurz antworten.“

Trotz allem lachen“

In dem vom 27. Oktober datierten Brief der Journalistin heißt es weiter: „Ich schreibe Euch diese Zeilen aus der Quarantäne. Ich sitze in einem stickigen, luftleeren und feuchten Raum. Früher habe ich mich zum Schreiben immer vor das Fenster gesetzt, auch wenn es nur zwei Sätze waren. Von dem Fenster aus ist ein kleines Stück Himmel zu sehen. Das sagte mir immer, dass das Leben überall lebenswert ist. Inzwischen hat das auch seinen Witz verloren. Weil der Innenhof mit Gittern abgedeckt und zu einem Käfig gemacht worden ist, habe ich meine zehnjährige Gewohnheit aufgegeben und ziehe es jetzt vor, so weit wie möglich entfernt vom Fenster zu sitzen. Früher habe ich den Vögeln Brot zugeworfen. Sie haben sich von meinem Brot ernährt und Nester gebaut. Wenn die Küken das erste Mal das Nest verlassen haben, sind sie zu mir geflogen. Seit es den Käfig gibt, meiden sie diesen Kerker. Für sie war dieser Ort, an dem wir uns aufhalten, durchaus lebenswert. Inzwischen begehren sie offenbar auf gegen die hiesige Lebensfeindlichkeit. Diese Welt, die sie so leicht verlassen können, ist leider unser erzwungener Aufenthaltsort und trotz allem hallt unser Lachen von den Wänden wider. Und es hinterlässt Spuren an allen Stellen, an denen es vorbeikommt...

Im Gefängnis ist Lachen so, wie die Tür zur Gerechtigkeit zu erreichen. Lautes Gelächter bedeutet, durch diese Tür zu gehen. Wer trotz allem lacht, entdeckt den wirklichen Sinn. Wisst Ihr, was es bedeutet, das nicht zu können? Risse wie die Wände bekommen, rosten wie die Eisentüren, alt werden wie das Bett und Luftholen, ohne das Heft, das du versteckt hältst, verlassen zu können... Für uns ist die Devise, lebendig zu bleiben und nicht zu rosten.“

Damit der Brief durch die Zensur kommt

Sibel Mustafaoğlu schreibt weiter, dass sie von ihren Haftbedingungen nicht berichtet, damit ihr Brief durch die Zensur kommt. Selbst ein Schreiben an das zuständige Ministerium sei nicht weitergeleitet worden. „Ich vermute, dass Ihr einen Bericht über die Haftbedingungen von Medienschaffenden erstellen und dafür Informationen haben wollt. Wie gesagt, ich bzw. wir leben unter schweren Bedingungen und wir haben nicht die Möglichkeit, in einem Brief nach draußen davon zu berichten. Wie Halil Cibran gesagt hat: Was ich schreibe, beschreibt nur, was ich nicht schreiben kann.“ Der Brief endet mit dem Gruß: „Bleibt hoffnungsvoll und widerständig.“

DFG: Skandalöse Willkür

Die DFG-Vorsitzende Dicle Müftüoğlu kritisiert die Beschlagnahme des Briefes durch die Vollzugsverwaltung als „willkürlichen Beschluss“. „Wir haben Briefe an viele Gefängnisse geschickt und auf die meisten eine Antwort erhalten. Wie dieser Brief im Frauengefängnis Şakran zu einem Verdachtsfall gemacht werden kann, ist uns ein Rätsel. Ganz offensichtlich handelt es sich um eine willkürliche Haltung der dortigen Leitung. Der Beschluss ist ein Skandal“, so Dicle Müftüoğlu vom Journalistenverein Dicle-Firat.