Die Journalistenvereinigung Dicle Firat (DFG) hat in Amed (tr. Diyarbakir) einen Bericht über die Verletzung der Rechte von Journalist:innen in der Türkei im Jahr 2023 vorgestellt. Hakkı Boltan sprach auf der Pressekonferenz auf Kurdisch und der Ko-Vorsitzende der DFG, Serdar Altan, verlas die türkische Version. Der Bericht umfasst die Rechtsverletzungen im Jahr 2023 und betont die Bedeutung von Kampf und Solidarität.
Weltweit 120 Medienschaffende getötet
Altan erklärte, dass das Jahr 2023 ein schwarzes Bild zeichne und wies auf eine Erklärung der Internationalen Journalistenföderation (IFJ) vom 31. Dezember hin, laut der im Jahr 2023 weltweit 120 Journalist:innen und Medienschaffende getötet wurden, darunter elf Frauen. 68 Prozent der getöteten Journalist:innen und Medienschaffenden kamen im Gazastreifen ums Leben. Altan wies in diesem Zusammenhang auch auf den Fall des kurdischen Journalisten Silêman Ehmed hin. Der RojNews-Redakteur wurde am 25. Oktober 2023 in der Kurdistan-Region Irak von Sicherheitskräften der PDK festgenommen und an einen unbekannten Ort verschleppt.
25 Medienschaffende bei Erdbeben gestorben
Hinsichtlich der Lage in der Türkei sagte Altan, dass die Gewalt und Unterdrückung gegen Journalist:innen auch 2023 nicht aufhörten: „Selbst in Zeiten einer großen Krise wie dem Erdbeben wurden unsere Kolleginnen und Kollegen, die das Geschehen vor Ort verfolgten, immer wieder von Ordnungskräften daran gehindert. Gegen Dutzende Journalistinnen und Journalisten wurde wegen ihrer Berichterstattung über das Erdbeben ermittelt. Akkurater und pragmatischer Journalismus, den die Gesellschaft in Krisenzeiten braucht, wurde von der Regierung verhindert, und das Recht der Menschen auf Information wurde auf diese Weise ignoriert. Bei dieser Gelegenheit gedenken wir der 25 Medienschaffenden, die aufgrund von nicht getroffenen Vorsichtsmaßnahmen bei den Februar-Erdbeben im vergangenen Jahr ihr Leben verloren haben."
Festnahmen und Verhaftungen von Medienschaffenden
In der Türkei seien Dutzende Journalist:innen im Laufe des Jahres von Ermittlungen, Festnahmen und unrechtmäßigen Verhaftungen betroffen gewesen, so Altan weiter: „16 kurdische Journalistinnen und Journalisten, die am 8. Juni 2022 im Rahmen eines in Diyarbakır durchgeführten Ermittlungsverfahrens festgenommen und verhaftet wurden, befanden sich 13 Monate lang in Haft. Neun kurdische Journalistinnen und Journalisten, die im Zuge eines Ermittlungsverfahrens in Ankara am 25. Oktober 2022 festgenommen und bei der ersten Gerichtsverhandlung freigelassen wurden, waren ebenfalls Verfolgung ausgesetzt. Ebenso wurden Journalistinnen und Journalisten, die am 25. April und 29. April 2023 im Rahmen von zwei separaten Ermittlungen festgenommen wurden, monatelang inhaftiert. Unsere Ko-Vorsitzende Dicle Müftüoğlu ist immer noch unrechtmäßig inhaftiert. Neben all diesen Beispielen betrat die Türkei im Jahr 2023 auch Neuland bei der Verhaftung von Journalisten: Fırat Can Arslan, der zu den fünf Journalisten gehörte, die unter dem Vorwurf der ,gezielten Verfolgung von Personen, die sich am Kampf gegen den Terrorismus beteiligt haben', inhaftiert wurden, war der erste Journalist, der auf der Grundlage des TMK 6/1 von 1991 verhaftet wurde. Furkan Karabay, Redakteur von Gerçek Gündem, wurde in den letzten Tagen des Jahres unter dem Vorwurf der Diffamierung und des gezielten Angriffs auf eine am Antiterrorkampf beteiligte Person verhaftet."
Zensurgesetz
Altan betonte, dass eines der umstrittensten Gesetze des Jahres 2022, das Desinformationsgesetz Nr. 7418, als Zensurgesetz missbraucht wurde und Sinan Aygül der erste Journalist war, der aufgrund dieser Neuregelung verhaftet wurde. Der Journalist Tolga Şardan, der Redakteur Dinçer Gökçe und der Reporter Cengiz Erdinç wurden festgenommen und Şardan aufgrund dieses Gesetzes verhaftet. „Im ersten Jahr nach Inkrafttreten des Gesetzes wurden mindestens 26 Journalistinnen und Journalisten festgenommen, verhaftet und vor Gericht gestellt. Insgesamt wurden 29 Fälle registriert. Wenn wir all diese Vorfälle betrachten, stellen wir fest, dass Journalisten im Jahr 2023 die meiste Zeit ihrer Arbeitszeit vor Gericht verbrachten. 280 Journalistinnen und Journalisten standen in einem Jahr mindestens 821 Mal vor einem Richter“, so Serdar Altan.
Angriffe auf Medienschaffende und Informationsfreiheit
Altan erklärte, dass Journalist:innen im Jahr 2023 dutzende Male an der Verfolgung von Nachrichten gehindert und angegriffen wurden: „Sinan Aygül, der als Journalist im Bezirk Tatvan in Bitlis arbeitet und über mutmaßliche Unregelmäßigkeiten in der Gemeinde schreibt, wurde von einem Polizisten und einem Gemeindeangestellten angegriffen, der als Leibwächter für den Bürgermeister von Tatvan, Emin Geylani, arbeitet. Wie aus unseren Daten hervorgeht, wurden im Laufe des Jahres viele Websites abgeschaltet und der Zugang zu Tausenden von Nachrichten und virtuellen Medieninhalten gesperrt."
57 Medienschaffende in türkischen Gefängnissen
Der von der DFG erstellte Bericht über Rechtsverletzungen im Jahr 2023 enthält unter anderem folgende Angaben: „36 Journalist:innen wurden angegriffen, 43 Wohnungen von Journalist:innen wurden durchsucht, 119 Journalist:innen wurden festgenommen, 36 Journalist:innen wurden verhaftet. Im Laufe des Jahres wurden 64 Journalist:innen misshandelt, 38 Journalist:innen wurden bedroht und zur Agententätigkeit gedrängt, 110 Journalist:innen wurden an der Verfolgung von Vorfällen für ihre Berichterstattung gehindert, 37 Journalist:innen wurden in der Haft Opfer von Übergriffen.“
Im Zusammenhang mit Verletzungen der Meinungsfreiheit und des Rechts auf freie Meinungsäußerung von Journalist:innen wurden folgende Daten mitgeteilt „Gegen 75 Journalist:innen wurde ermittelt. Während 66 Journalist:innen strafrechtlich verfolgt wurden, wurden 44 Journalist:innen verurteilt. Insgesamt wurden Journalist:innen zu 48 Jahren, neun Monaten und 14 Tagen Gefängnis und 147.486 TL Geldstrafe verurteilt. Während 280 Journalist:innen vor Gericht standen, erschienen sie 821 Mal vor dem Richter. Die Zahl der inhaftierten Journalist:innen mit Stand vom 4. Januar 2024 beträgt 57. 58 Journalist:innen wurden entlassen, die Rundfunkaufsichtsbehörde RTÜK verhängte 84 Strafen gegen 68 Sendungen, und gegen 112 Nachrichten wurde ein Sendeverbot verhängt. 83 Websites wurden geschlossen, 7.106 Nachrichten wurden gesperrt und 3.761 Inhalte in sozialen Medien wurden verboten."