Der Journalistenverein Dicle-Firat (Dicle Fırat Gazeteciler Derneği, DFG) hat einen Bericht über die Rechtsverletzungen im Bereich der Pressefreiheit in der Türkei für den Monat November veröffentlicht. Darin hält die Initiative fest, dass Journalistinnen und Journalisten in dem von der autoritären Regierung in Ankara geführten Land nach wie vor zur Zielscheibe beispielloser Repressalien werden und es faktisch keinen Raum für Meinungsfreiheit mehr gibt. Der Verein spricht von Maßnahmen „jenseits gültigen Rechts“, mit denen kritische Medienschaffende geknebelt werden. Dazu zählen nicht nur die gängigen Einschüchterungsmethoden wie grundlose Festnahmen und Verhaftungen, sondern auch willkürliche Anklagen, Übergriffe und Drohungen.
Nach einer Zählung von DFG sitzen derzeit mindestens 91 Journalistinnen und Journalisten in der Türkei im Gefängnis. Zwar ist das ein deutlicher Rückgang zum Höchststand von 170 im Jahr 2017, allerdings sind hunderte weitere Medienschaffende gerichtlicher Verfolgung ausgesetzt. Allein im November wurden nach DFG-Recherchen acht Journalist*innen festgenommen und zwei weitere verhaftet. Gegen vier Pressevertreter*innen sind polizeiliche Ermittlungen eingeleitet worden, zwölf sind mit neuen Gerichtsverfahren konfrontiert. Im Fall von 47 Journalistinnen und Journalisten wurden bereits angestrengte Prozesse fortgesetzt, fünf weitere sind zu einer Gesamtstrafe von zwanzig Jahren und drei Monaten Haft verurteilt worden. Zwei Fernsehsender sind von der türkischen Rundfunkbehörde RTÜK mit Strafen belegt worden, die Webseiten von dreißig Nachrichtenportalen wurden per Gerichtsbeschluss von der Informationstechnologiebehörde (BTK) gesperrt.
Druck ebbt nicht ab, er hat nur seine Form geändert
„Im Monat November gab es nicht nur eine Vielzahl von Festnahmen und Verhaftungen, Verurteilungen, tätlichen Übergriffen, Drohungen oder Hausdurchsuchungen – Journalistinnen und Journalisten sind etlichen Einschüchterungsmethoden ausgesetzt worden. Obwohl bereits 26 Jahre seit den Bombenanschlägen auf die Redaktionsräume der Zeitung Özgür Ülke in Istanbul und Ankara vergangen sind, hat sich die Lage der Pressefreiheit hierzulande nicht verändert. Der Druck auf unabhängigen Journalismus ebbt nicht ab, er hat nur seine Form geändert“, heißt es in dem Bericht.
Besorgt um Lage von kritischen Medien in Wan
Besonders besorgt zeigt sich der Journalistenverein zur Lage von Medienschaffenden in der nordkurdischen Provinz Wan (türk. Van). Nachdem die kurdischen Dorfbewohner Osman Şiban und der mittlerweile verstorbene Servet Turgut im September aus einem Militärhubschrauber geworfen worden waren, veröffentlichte die Nachrichtenagentur Mezopotamya (MA) Berichte über das Verbrechen. Aufgrund dieser kritischen und investigativen Berichterstattung wurden am 9. Oktober die MA-Korrespondenten Adnan Bilen und Cemil Uğur, die JinNews-Korrespondentin Şehbiran Abi und die Journalistin Nazan Sala festgenommen und anschließend inhaftiert. Ende November wurde dann auch der MA-Korrespondenten Dindar Karataş verhaftet. Gegenstand des Verfahrens ist seine Berichterstattung im Fall des Mordes an dem Zivilisten Murat Kaya. Der Kurde aus dem Dorf Mûşîyan (Soğukpınar) in der Provinz Agirî (Ağrı) war am 6. Dezember 2019 nach einem Gefecht zwischen der Guerilla und dem türkischen Militär von einem Soldaten angeschossen worden. Einen Tag später erlag Kaya in einem Krankenhaus seinen Verletzungen. Den Vorfall aufgedeckt hatte Dindar Karataş. Die Ermittlungsakte gegen ihn setzt sich aus Mitschriften, die offenbar aus illegal abgehörten Telefonaten zusammengestellt worden sind, sowie Auswertungen von Handy-Daten und Protokollen über ermittlungsbehördliche Handlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft zusammen.
DFG: Alle inhaftierten Journalisten freilassen
„Zusammengefasst können wir festhalten, dass die Türkei auch weiterhin weltweit das größte Gefängnis für Journalistinnen und Journalisten darstellt“, resümiert Dicle-Firat in der November-Bilanz. Der Journalistenverein fordert die sofortige Freilassung aller inhaftierter Medienschaffender.