Die Lage der Pressefreiheit in der Türkei ist schon lange schlecht. Die Repression richtet sich in erster Linie gegen kurdische und andere oppositionelle Medien. Insbesondere seit die Friedensgespräche mit der PKK vor fünf Jahren einseitig von Recep Tayyip Erdoğan beendet wurden und die türkische Regierung wieder einen andauernden martialischen Krieg gegen die kurdische Bevölkerung führt, haben Journalistinnen und Journalisten massiv unter den autoritären Zügen von Präsident Erdoğan zu leiden. Der sogenannte Putschversuch vom Sommer 2016 hatte diese Entwicklung noch einmal dramatisch beschleunigt.
Das die Welle der Repressionen gegen die Pressefreiheit bald wieder abebben wird, ist nicht wahrscheinlich. Denn nahezu täglich schwellt sie weiter an. Das düstere Bild fasst auch „Press in Arrest” (Presse hinter Gittern) in einem aktuellen Bericht für den Monat September zusammen. Bei der im vergangenen April gegründeten Organisation handelt es sich um ein Dokumentationszentrum, das Verletzungen der Pressefreiheit und Missstände im Bereich der Medien erfasst und Prozesse gegen Medienschaffende begleitet. Wie aus dem Bericht hervorgeht, haben im Vormonat 38 Prozesse in der Türkei gegen mindestens 64 Journalistinnen und Journalisten stattgefunden. „Für sieben Medienschaffende wurden lebenslängliche Freiheitsstrafen gefordert, insgesamt verlangen die Justizbehörden 970 Jahre und zehn Monate Haft für die Angeklagten. Außerdem stehen Geldstrafen in Höhe von 340.000 TL (umgerechnet etwa 37.200 Euro) im Raum”, heißt es weiter.
Kein Zugang in Verhandlungssäle für Prozessbeobachter
„Nahezu täglich wird die Presse- und Meinungsfreiheit von Medienschaffenden um damit der gesamten Gesellschaft in Verhörräumen der Polizei oder Staatsanwaltschaft, in Gefängnissen sowie den Korridoren von Justizgebäuden und Gerichtssälen verletzt. Journalist*innen sind gezwungen, sich in den Gefängnissen, in denen sie inhaftiert sind, per Videoschaltungen in den Gerichtssaal zu verteidigen. In einigen Verfahren müssen sie sich gegenüber laufend ausgetauschten Staatsanwälten und Richtern äußern“, unterstreicht Press in Arrest. In den Gerichtssälen wimmelte es nur von Polizisten und Sicherheitspersonal, die den Angeklagten die Ausübung ihrer Grundrechte weiter erschwerten. Unter dem Vorwand, wegen der Corona-Pandemie die Hygieneabstände zu wahren, würde Medienschaffenden und Prozessbeobachter*innen der Zugang zu den Verhandlungen verwehrt. „All diese Zustände verletzen das Recht auf ein faires Verfahren“, stellt die Organisation fest.
Austausch von Richtern und Staatsanwälten
Aus der Bilanz geht hervor, dass in insgesamt dreizehn von 38 Verfahren entweder die Richter, Staatsanwälte oder sogar beide ausgetauscht worden waren. Letzteres traf beispielsweise im Verfahren gegen Aziz Oruç zu, gegen den in der nordkurdischen Provinz Agirî (türk. Ağrı) verhandelt wird. Dem 36-jährigen Journalisten, der bis zu seiner Verhaftung im vergangenen Jahr in der südkurdischen Metropole Silêmanî für die Nachrichtenagentur RojNews arbeitete, wird „Mitgliedschaft in einer Terrororganisation“ und „Terrorpropaganda“ vorgeworfen. Bei einer Verurteilung drohen ihm bis zu 15 Jahre Haft.
Bei den Verfahren im September ging es inhaltlich um angebliche Verstöße gegen die Anti-Terror-Gesetzgebung, gegen das Geheimdienstgesetz, Verstöße gegen Gesetze betreffend das Bankgeheimnis sowie gegen das Versammlungs- und Demonstrationsgesetz. Fünf Journalist*innen wurden insgesamt zu 21 Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt, mindestens elf ihrer Kolleg*innen wurden entweder festgenommen, zum Verhör vorgeladen oder angezeigt.
Mindestens 59 Medienschaffende im Gefängnis
Nach Angaben von Press in Arrest befinden sich aktuell mindestens 59 Journalistinnen und Journalisten in der Türkei im Gefängnis. Der Journalistenverein Dicle-Firat (Dicle Fırat Gazeteciler Derneği) allerdings hatte in einem Bericht zur Pressefreiheit Anfang September von fast doppelt so vielen inhaftierten Medienschaffenden gesprochen.