Özgür Gündem: Urteile gegen symbolische Chefredakteure bestätigt

Ein Berufungsgericht in Istanbul hat die Haftstrafen wegen Verbreitung von „Terrorpropaganda“ gegen sieben symbolische Chefredakteur*innen der inzwischen verbotenen prokurdischen Tageszeitung Özgür Gündem bestätigt.

Das regionale Berufungsgericht in Istanbul hat die Haftstrafen gegen mehrere symbolische Chefredakteur*innen der verbotenen prokurdischen Tageszeitung Özgür Gündem wegen „Verbreitung von Terrorpropaganda“ bestätigt. Damit ist die Verurteilung von Celalettin Can, Hüseyin Aykol, Ertuğrul Mavioğlu, Fehim Işık, Celal Başlangıç, Öncü Akgül und Dilşah Kocakaya für rechtens erklärt worden.

Hintergrund des Verfahrens ist die Teilnahme der Betroffenen an der Solidaritätskampagne „Bereitschaftsjournalismus“. In ihrem Einsatz für die Pressefreiheit in der Türkei übernahmen sie 2016 für jeweils einen Tag symbolisch den Posten der Chefredakteurin bzw. des Chefredakteurs der Özgür Gündem, die noch im selben Jahr per staatlichem Notstandsdekret verboten wurde. Die Zeitung war eine der wenigen in der Türkei, die ausführlich über die Folgen des Krieges der AKP-Regierung in den kurdischen Siedlungsgebieten berichtete.

In erster Instanz waren die Journalist*innen im April 2019 zu jeweils 15 Monaten Haft verurteilt worden – bis auf Hüseyin Aykol. Der 68-jährige erhielt eine Freiheitsstrafe in Höhe von drei Jahren und neun Monaten. Das Gericht befand, dass die Angeklagten zum Ziel gehabt hätten, mit ihrer Tätigkeit für Özgür Gündem „Gewalt durch die PKK zu legitimieren und/oder deren gewalttätige Handlungen und Methoden zu fördern“. Somit hätten sie „Propaganda für eine terroristische Organisation“ betrieben. Die Verteidigung sprach von einer fingierten Anklageschrift und willkürlicher juristischer Schikane gegen die Pressefreiheit. Das Urteil des Berufungsgerichts war mit Spannung erwartet worden, weil es als richtungsweisend für Prozesse gegen andere symbolische Chefredakteur*innen der Özgür Gündem gilt.

Bereitschaftsjournalismus bei Özgür Gündem

Die Solidaritätskampagne „Bereitschaftsjournalismus“ war am 3. Mai 2016 ins Leben gerufen worden und dauerte bis zum 7. August desselben Jahres an. Insgesamt 56 Medienschaffende, Intellektuelle und Künstler*innen beteiligten sich daran. Gegen 49 von ihnen wurden Ermittlungen eingeleitet, elf Verfahren (gegen İhsan Eliaçık, Melda Onur, Sebahat Tuncel, Ahmet Abakay, Eşber Yağmurdereli, Hasip Kaplan, Işın Eliçin, Kemal Can, Mustafa Sönmez, Uğur Karadaş, Nurcan Baysal) sind eingestellt worden. Gegen 38 Kampagnenteilnehmende wurde auf Grundlage des sogenannten Terrorbekämpfungsgesetzes Nr. 3713 Anklage erhoben, 34 erstinstanzliche Urteile liegen bislang vor. Im Fall der Schauspielerin Deniz Türkali hinderte allerdings die Verfolgungsverjährung die Strafverfolgungsbehörden an weiteren Ermittlungen. Das Strafverfahren musste eingestellt werden. Einige der Betroffenen sind jedoch auch im Özgür-Gündem-Hauptverfahren angeklagt, darunter die Menschenrechtsanwältin und IHD-Vorsitzende Eren Keskin.

Kampagne Bereitschaftsjournalismus, ganz rechts im blauen Shirt ANF-Rojava-Korrespondent Ersin Çaksu

Türkei – größtes Gefängnis für Journalisten

Die Türkei gehört weltweit zu den repressivsten Staaten gegenüber Medienschaffenden. Der in Amed ansässige Journalistenverein Tigris-Euphrat (Dicle Fırat Gazeteciler Derneği, kurz: DFG) wies jüngst in seinem monatlichen Bericht zum Zustand der Pressefreiheit in der Türkei darauf hin, dass sich mit Stand vom 4. September 95 Medienschaffende in türkischen Gefängnissen befinden.