Die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Bärbel Kofler (SPD), hat mit Blick auf die Gerichtsverhandlung im Istanbuler Özgür-Gündem-Hauptverfahren am kommenden Mittwoch gegen die renommierte Menschenrechtsanwältin Eren Keskin die Achtung der Grundrechte angemahnt. „Ich wiederhole meinen Appell an die türkische Justiz, Eren Keskin und ihren Mitangeklagten faire, rechtstaatliche Verfahren zu gewähren – so, wie es den internationalen Verpflichtungen der Türkei entspricht“, sagte Kofler am Freitag.
Presse- und Meinungsfreiheit seien das Rückgrat einer demokratischen, pluralistischen Gesellschaft, so Kofler. In der Türkei würden „leider“ schon seit Langem Entscheidungen gefällt, welche die Zivilgesellschaft einschüchtern und kritische Stimmen zum Verstummen bringen wollen. „Umso wichtiger ist es, dass wir das Verfahren gegen Frau Keskin genau beobachten. Der Einsatz von Frau Keskin für ihre Mitmenschen und ihr Mut, Menschenrechtsfragen ungeachtet des persönlichen Risikos immer wieder zu thematisieren, verdienen unsere Anerkennung.”
Eren Keskin war 2016 im Rahmen der Kampagne „Bereitschaftsjournalismus” Chefredakteurin der inzwischen per Notstandsdekret verbotenen Zeitung „Özgür Gündem“. Sie hatte dieses Amt in symbolischer Weise und aus Solidarität mit der in Bedrängnis geratenen pro-kurdischen Zeitung übernommen. Die Özgür Gündem war eine der wenigen Zeitungen in der Türkei, die ausführlich über die Folgen des Krieges der AKP-Regierung in den kurdischen Gebieten berichtete. In Zusammenhang mit dieser Tätigkeit und weiteren politischen Meinungsäußerungen wurden gegen Keskin über 140 Verfahren eingeleitet. Weitere Gerichtsverfahren gegen die 61-Jährige sind bereits erstinstanzlich entschieden und stehen zur Entscheidung vor verschiedenen Berufungsgerichten an. Im Falle einer rechtskräftigen Verurteilung durch ein Berufungsgericht drohen ihr Haftstrafen von bis zu 17 Jahren und zwei Monaten.
Eine Kundgebung für inhaftierte Journalistinnen und Journalisten in Istanbul, an der sich auch Eren Keskin (M.) beteiligt hatte. Norman Paech, Aysel Tuğluk und Ertuğrul Kürkçü unterstützten die Aktion. (Archivaufnahme aus dem Jahr 2012) © Bulent Kilic
Der Özgür-Gündem-Prozess
Vorwürfe im Özgür-Gündem-Hauptverfahren sind die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung mit einem Strafmaß von bis zu 15 Jahren sowie Terrorpropaganda und Störung der Einheit und territorialen Integrität der Türkei. Weiterhin mitangeklagt sind Zana Bilir Kaya, İnan Kızılkaya und Kemal Sancılı; Filiz Koçali, Aslı Erdoğan, Necmiye Alpay und Bilge Aykut wurden bereits freigesprochen.
Zur Person Eren Keskin
Eren Keskin arbeitet seit 1984 als Rechtsanwältin und ist aktives Mitglied des Menschenrechtsvereins der Türkei (IHD) seit dessen Gründung 1986. Mehrere Jahre war sie Vorsitzende des IHD in Istanbul und stellvertretende Vorsitzende auf Landesebene. Heute ist sie Ko-Vorsitzende auf Landesebene. Als Strafverteidigerin war und ist sie vor allem mit politischen Fällen befasst. Sie setzt sich engagiert für Opfer sexualisierter Gewalt sowie für die Rechte verfolgter Angehöriger von Minderheiten ein, insbesondere für Kurden, Armenier, Flüchtlinge sowie homosexuelle und transgeschlechtliche Menschen. 1997 gründete sie zusammen mit anderen Rechtsanwältinnen ein Projekt zur juristischen Unterstützung von Frauen, die in der Haft vergewaltigt oder anderen Formen sexueller Folter unterworfen wurden, das Rechtshilfebüro gegen sexuelle Misshandlungen und Vergewaltigungen in Haft.
2001 erhielt Eren Keskin für ihr Engagement den Menschenrechtspreis der deutschen Sektion von Amnesty International. Zudem ist sie Trägerin zahlreicher internationaler Preise, unter anderem des Aachener Friedenspreises (2004), des Hrant Dink Awards (2017) und des Helsinki Civil Society Awards (2018).