Die Situation der kranken Gefangenen in der Türkei ist dramatisch. Immer wieder kommen Gefangene allenfalls im Sarg aus den Gefängnissen. Zuletzt war der an Krebs erkrankte politische Gefangene Tahir Güldal am 9. Dezember, 13 Tage nach Außervollzugsetzung seiner Strafe, verstorben. Güldal war zuvor im Krankenhaus an ein Bett gekettet worden. Bei vielen Gefangenen wird die Freilassung nach dem Ende der regulären Haftzeit immer wieder verschoben. Verantwortlich dafür ist unter anderem eine Reuegesetzgebung, die Gefangenen vorschreibt, die ihnen vorgeworfenen Delikte zu verurteilen. Mit dieser Regelung werden insbesondere politische Gefangene schwer getroffen.
„Isolation ist die Ursache für die Zunahme von Krankheiten im Gefängnis“
Gülsen Yoleri, Ko-Vorsitzende des IHD-Büros von Istanbul und Initiatorin der sogenannten „F-Sitzungen“, einer Protestaktion, mit der jeden Samstag am Taksim-Platz auf die Situation der kranken Gefangenen aufmerksam gemacht wird, fordert eine dringende Lösung in Bezug auf die dramatische Situation in den Gefängnissen.
Die Liste der schwer kranken Gefangenen werde immer länger, erklärt Yoleri und weist auf die schlechten Haftbedingungen und insbesondere auf die Verschärfung der Isolation als Ursache hin. Dabei spielen die Gefängnisse vom F-Typ eine wichtige Rolle. Diese Umstellung habe auf Imrali begonnen, sagt die Menschenrechtlerin und fährt fort: „Als wir noch vor dem Bau der F-Typ-Gefängnisse als IHD die Auswirkungen des Isolationssystems auf die Gefangenen untersuchten, stellten wir fest, dass Isolation als Foltermethode in den Gefängnissen eingesetzt wird und sie sowohl physischen als auch psychischen Verfall bei den Gefangenen hervorruft. Wir haben gesehen, dass die Isolation vor allem psychosomatische Störungen hervorruft, was sich körperlich in schweren Krankheiten wie Krebs und Geschwüren niederschlägt.“
Solidarität hilft Gefangenen – Isolation soll Solidarität brechen
Yoleri warnt, dass neben der Isolation in den Gefängnissen auch Mangelernährung, unzureichende Belüftung und Hygiene, fehlender Zugang zu sauberem Wasser und Stress zum raschen Fortschreiten von Krankheiten führten. Der einzige gegenüber diesen Krankheiten positiv wirkende Faktor sei die Solidarität. So gebe es in Mehrbettzimmern weniger Krankheiten als unter Isolationsbedingungen. Die Isolation richte sich genau gegen diese Solidarität. Weiter beschreibt die IHD-Vertreterin, den Gefangenen würden immer wieder Medikamente verweigert, sie würden nicht in Krankenhäuser eingewiesen, und falls dies geschehe, fänden selbst die Untersuchungen in Handschellen statt und würden so zur Tortur für die Gefangenen.
„Isolation wird immer schlimmer“
Statt die Isolationsfolter abzuschaffen, wird sie immer weiter verschärft. Das stellt auch Yoleri fest und berichtet, dass es sich bei den neuen Gefängnistypen S und Y um verschärfte Isolationshaftanstalten handele, in denen insbesondere Gefangene mit einer erschwerten lebenslänglichen Haftstrafe untergebracht werden. Allerdings würden erschwerte lebenslängliche Strafen bereits für die freie Meinungsäußerung, die als „terroristische Straftat“ eingestuft werden könne, verhängt. Diese Gefängnisse seien daher vor allem mit politischen Gefangenen belegt.
Verdächtige Todesfälle hinter Gittern
Yoleri warnt, die Isolation greife direkt die Natur des Menschen als soziales Wesen an, und weist auf die vielen verdächtigen Todesfälle in Isolationszellen hin: „So wird eine Person zum Beispiel verhaftet und noch am selben Tag wird behauptet, sie habe Selbstmord begangen. Gerade diese Isolationsbedingungen sind der Grund dafür, dass alle diese Todesfälle als verdächtig eingestuft werden müssen. Denn es gibt keine Zeugen, und die Art und Weise, wie sich die Vorfälle ereigneten, legt einen anderen Verdacht als den des Selbstmords nahe – wie im Fall von Garibe Gezer. Sie sagte, dass sie unter Druck gesetzt und gefoltert werde, dass man sie umbringen wolle und rief um Hilfe. Die Isolation führt daher als Foltermethode zu Krankheit und Tod.“
„Verfahren zur Aussetzung des Vollzugs muss geändert werden“
Yoleri betont, dass sowohl die in Artikel 16 Vollzugsgesetz geregelte Voraussetzung eines Gutachtens des berüchtigten gerichtsmedizinischen Instituts (ATK) als auch das Verfahren zur Feststellung, ob die Person ein Sicherheitsrisiko darstelle, ein großes Hindernis für kranke Gefangene darstellten. Sie führt aus: „Selbst wenn das gerichtsmedizinische Institut die Haftunfähigkeit feststellt, werden viele kranke Gefangene aus Sicherheitsgründen nicht entlassen. Abdullah Turan ist in dieser Hinsicht eines der drastischsten Beispiele. Obwohl er vom Hals abwärts gelähmt ist und die ATK ein Gutachten erstellt hat, wonach er nicht im Gefängnis bleiben kann, wurde die Aussetzung des Vollzugs lange Zeit verhindert, weil Polizei und Staatsanwaltschaft behaupteten, er stelle eine Gefahr für die Gesellschaft dar. Es geht hier also nicht darum, dass Turan eine Gefahr für die Gesellschaft darstellt, sondern vielmehr um die offen feindselige Haltung der Polizei. Wenn eine Krankheit vorliegt und ein Attest besagt, dass der Gefangene haftunfähig ist, muss der Vollzug ausgesetzt werden, damit der Gefangene bis zur Genesung draußen bleiben kann.“
„Wir erwarten eine sofortige Korrektur, keine Verzögerungstaktik“
Yoleri erinnert daran, dass Justizminister Bekir Bozdağ (AKP) angekündigt hatte, eine neue Regelung für kranke Gefangene zu schaffen. Sie unterstreicht, dass seit drei Monaten nichts in diesem Sinne geschehen sei. Allein in den ersten elf Monaten dieses Jahres seien 61 Gefangene gestorben, etliche von ihnen unter verdächtigen Umständen. Yoleri fordert den Justizminister auf: „Halten Sie Ihr Versprechen, wir erwarten eine Korrektur und keine Verzögerungstaktik."