Istanbul: Polizeiangriff auf Mahnwache von Gefangenenangehörigen

In Istanbul ist abermals eine Kundgebung für kranke politische Gefangene von der Polizei angegriffen und aufgelöst worden. Elf Beteiligte wurden festgenommen. Unter ihnen sind auch Mütter, die um das Leben ihrer inhaftierten Kinder kämpfen.

Die Istanbuler Polizei hat abermals eine Kundgebung für kranke politische Gefangener angegriffen und aufgelöst. Mindestens elf Beteiligte wurden teils gewaltsam festgenommen, unter ihnen auch Mütter, die um das Leben ihrer inhaftierten Kinder kämpfen. Zu der „Gerechtigkeitswache“ hatte eine Angehörigeninitiative aufgerufen, die seit rund neun Monaten jede Woche auf die Straße geht, um die Freilassung schwer Erkrankter und wegen fehlendem Reuebekenntnis trotz Vollendung ihrer Strafen weiterhin Inhaftierter einzufordern. Bei den Beteiligten handelt es sich überwiegend um Gefangenenangehörige, die auf die lebensgefährlichen Zustände in den Haftanstalten in der Türkei aufmerksam machen und ein Ende der Rechtsverletzungen fordern. Ihre Aktionen werden regelmäßig von der Polizei aufgelöst.

Die heutige Mahnwache sollte vor dem Justizpalast Çağlayan stattfinden. Unterstützung für das Anliegen der Gefangenenangehörigen gab es auch dieses Mal wieder von den Provinz- und Bezirksvorständen der HDP und der Zivilgesellschaft, darunter Aktive der Gefangenensolidarität. Die Polizei sperrte den Platz vor dem Gerichtsgebäude weiträumig ab und kesselte die Kundgebung ein. Zur Begründung wurde ein von den örtlichen Behörden erteiltes „Demonstrationsverbot“ herangezogen. Der HDP-Abgeordnete Musa Piroğlu protestierte gegen das Vorgehen und monierte, dass faktisch jeder Protest im Zusammenhang mit dem „Unrecht hinter türkischen Gittern“ durch willkürlich erlassene Verbote unterdrückt werde. „In den Gefängnissen dieses Landes herrschen aber menschenunwürdige Zustände. Irgendjemand muss dieses Problem angehen und zur Sprache bringen. Dafür sind wir hier.“

Eine Aktivistin der Initiative appellierte aus der einkesselten Kundgebung heraus: „Ist es ein Verbrechen, wenn wir Gerechtigkeit suchen? Wir sind hierhergekommen, um für Gerechtigkeit zu sorgen. Und wenn dies ein Verbrechen ist, werden wir dieses Verbrechen immer begehen.“ Die Polizei griff daraufhin in die Menge der Gefangenenangehörigen ein und fischte Zeynep Calıhan, Kumru Akgül, Emine Arslan, Şahin Kızılkaya, Feryat Sakallı, Sebahattin Halli, Şafi Erol, Evin Genç, Adalet Ünlü, Emrullah Şenyüz und Zemine Gökçe heraus. Sie erwartet nun eine Anzeige wegen Verstoß gegen eine Behördliche Anordnung.

Musa Piroğlu protestierte gegen die Polizeigewalt und die Festnahmen. Überall im Land würden Menschen auf den Straßen von der Polizei geschlagen und festgenommen, nur weil sie sich gegen Unrecht einsetzten. „Die Mütter und Angehörigen von Gefangenen werden ständig festgenommen und daran gehindert, die Probleme in den Gefängnissen laut an die Öffentlichkeit zu bringen. Die Stimmen kranker Gefangener zum Schweigen zu bringen und ihre Mütter zu schlagen ist ein Angriff auf das Gewissen dieses Landes. Solange wir schweigen und die Situation hinnehmen, wird es schlimmer werden.“

„Es ist unsere Verantwortung“

„Wenn kranke Gefangene hinter Gittern umgebracht werden, wenn es diese Unterdrückung gibt, wenn die Menschen vor aller Augen ermordet werden, dann sind wir jetzt dafür verantwortlich. Die Menschen, die schweigen, sind dafür verantwortlich. Dieser Aufruf richtet sich an das Volk. Solange wir diese Mütter hier allein lassen, wird es so weitergehen. Solange wir über die Todesfälle in den Gefängnissen schweigen, werden wir auch auf der Straße sterben. Wir rufen alle auf, ihre Stimme gegen diese Unterdrückung und Tyrannei zu erheben und den kranken Gefangenen beizustehen.“