Die Polizei in Istanbul ist zum wiederholten Mal gewaltsam gegen die „Gerechtigkeitswache“ von Angehörigen kranker politischer Gefangener vorgegangen. Mindestens zehn Personen wurden aus der Zusammenkunft am Hafenplatz im asiatischen Stadtteil Kadıköy gefischt und mit auf dem Rücken gefesselten Händen in einen Einsatzwagen verfrachtet. Unter ihnen befinden sich auch dieses Mal wieder die Gefangenenangehörigen Fince Akman, Cemile Çiftçi und Cemile Karakaş. Die drei Frauen waren in den letzten Monaten immer wieder aufgrund ihrer Teilnahme an der Mahnwache festgenommen und von der Polizei angezeigt worden.
Seit dem Frühjahr halten Angehörige von politischen Gefangenen an belebten Plätzen in der Bosporus-Metropole ihre „Gerechtigkeitswache“ ab, um die Freilassung schwer Erkrankter und wegen fehlendem Reuebekenntnis trotz Vollendung ihrer Strafen weiterhin Inhaftierter zu fordern. Bei den Beteiligten handelt es sich überwiegend um Mütter, die um das Leben ihrer inhaftierten Kinder kämpfen. Seit die Initiative im April ins Leben gerufen wurde, ist nahezu jede Mahnwache von der Polizei angegriffen oder aufgelöst worden. Als Begründung wird immer wieder ein vom Landratsamt angeordnetes Demonstrationsverbot herangezogen, das offensichtlich nur für Veranstaltungen und Proteste aus dem linken und kurdischen Spektrum gilt.
Die HDP-Abgeordnete Dilşat Canbaz verurteilte das Vorgehen der Istanbuler Polizei. „Die Gefängnisse dieses Landes haben sich zu Zentren des Todes verwandelt. Immer und immer wieder wiederholt sich das Leid, das verursacht wird durch das Sterben hinter Gittern. Diese Mütter bringen es nicht übers Herz wegzusehen und das von der Regierung billigend in Kauf genommene Sterben ihrer Kinder geschehen zu lassen. Dafür werden sie Woche für Woche von der Polizei angegriffen und festgenommen. Das muss aufhören. So lassen sich Probleme nicht lösen.“ An die Öffentlichkeit appellierte Canbaz, sich solidarisch mit den Familien der Gefangenen zu zeigen.
Gülüm: Konkretes Beispiel für die Anwendung von Feindstrafrecht
Züleyha Gülüm, auch eine Abgeordnete der HDP, unterstützte die Mahnwache ebenfalls und stellte sich schützend vor die taktischen Einsatzschilde der Polizei. Den Umgang der türkischen Behörden mit den Müttern der Gefangenen bezeichnete die Politikerin als „große Ungerechtigkeit“, die verweigerte Entlassung kranker Inhaftierter sei ein „konkretes Beispiel für die Anwendung von Feindstrafrecht“. „Mindestens 49 Gefangene sind seit Beginn des Jahres bereits gestorben, mehr als 1.500 weitere sind krank und müssten eigentlich entlassen werden“, sagte Gülüm. „Wir fordern die Regierung auf, alle kranken Inhaftierten zu entlassen. Wir werden den Kampf für ihre Freiheit nicht beenden, ehe dies geschehen ist.“