Gerechtigkeitswache für kranke Gefangene im Polizeikessel

Auf einer Kundgebung in Istanbul haben Angehörige kranker Gefangener zum wiederholten Mal die Freilassung ihrer inhaftierten Familienmitglieder gefordert. Die Polizei nahm die Mahnwache in einen Kessel und untersagte die Verlesung einer Erklärung.

Auf einer Kundgebung in Istanbul haben Angehörige kranker Gefangener die Freilassung ihrer inhaftierten Familienmitglieder gefordert. Die Vollzugsanstalten des Landes seien unter der Regierung der AKP zu „Orten der Isolation, Folter und des Todes verkommen“, hieß es mit Blick auf die dramatischen Zahlen der Todesfälle in Haft. Nach Angaben des Menschenrechtsvereins IHD sind seit Jahresbeginn mindestens 43 Menschen in einem türkischen Gefängnis zu Tode gekommen – meist aufgrund schwerer Vorerkrankungen oder durch verdächtige Umstände.

Die Zusammenkunft fand auf Kartal-Platz im gleichnamigen Bezirk statt und wurde von politischen und zivilgesellschaftlichen Organisationen wie der HDP und DPB, der Frauenbewegung TJA sowie der Gefangenensolidarität unterstützt. Anwesend war auch die HDP-Abgeordnete Serpil Kemalbay. Sie kritisierte die Polizei, die mit einem Großaufgebot vor Ort war und die Kundgebung mit Verweis auf ein vom Landratsamt ausgesprochenes Demonstrationsverbot untersagte. „Diese Menschen sind hier, weil sie Lösungen für die Situation der kranken Gefangenen wollen. Es darf nicht sein, dass ihnen jede Stelle im öffentlichen Raum verweigert wird. Wie sollen sie sonst ihre Sorgen und Forderungen an die zuständigen Stellen und Organisationen vermitteln, wenn nicht auf der Straße?“

Es war die inzwischen 22. „Gerechtigkeitswache“ der Angehörigeninitiative, die erstmals im März vor dem Istanbuler Justizpalast zusammengekommen war, um ihr Anliegen in die Öffentlichkeit zu tragen: Die Freilassung schwer Erkrankter und wegen fehlendem Reuebekenntnis trotz Vollendung ihrer Strafen weiterhin Inhaftierter. Mehrmals wurde die friedliche Aktion von der Polizei unter Anwendung teils massiver Gewalt aufgelöst, zuletzt vergangenen Samstag. Die Beteiligten – überwiegend Mütter, die teils seit Jahren auf die lebensgefährlichen Zustände in türkischen Gefängnissen aufmerksam machen und um das Leben ihrer inhaftierten Kinder kämpfen – sind entschlossen, ihre Aktion trotz Repression fortzusetzen.

Allein in der vergangenen Woche sind drei Inhaftierte in der Türkei gestorben. Der letzte Fall liegt erst zwei Tage zurück und ereignete sich in einem Hochsicherheitsgefängnis in der kurdischen Provinz Riha (tr. Urfa): Bazo Yılmaz, früherer Bürgermeister der kurdischen Gemeinde Gogan, war seit Ende 2016 inhaftiert. 2018 wurde er aufgrund seiner Mitgliedschaft im Graswurzelbündnis „Demokratischer Gesellschaftskongress” (KCD) als vermeintlicher „Terrorist“ zu neun Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Der 67-Jährige war durch die Haftbedingungen schwer an COPD erkrankt und dauerhaft an ein Sauerstoffgerät angeschlossen. Somit konnte er sich praktisch nicht mehr selbst versorgen. Dennoch wurde er trotz diverser Anträge nicht entlassen. An seinem Todestag hätte er eigentlich zwecks einer erneuten Haftfähigkeitsprüfung in das Institut für Rechtsmedizin gebracht werden sollen. Dazu kam es dann aber nicht mehr.