Samstagsmütter fordern Gerechtigkeit für Abdullah Canan

Der aus Gever stammende Abdullah Canan stellte im Januar 1996 Anzeige gegen einen ranghohen türkischen Militär wegen Menschenrechtsverletzungen an der kurdischen Bevölkerung. Wenige Tage später wurde seine von Kugeln durchsiebte Leiche gefunden.

Die Istanbuler Initiative der Samstagmütter hat sich in der 982. Woche ihrer Mahnwache gegen das Verschwindenlassen in staatlichem Gewahrsam dem Fall von Abdullah Canan angenommen und Gerechtigkeit gefordert. Der kurdische Geschäftsmann verließ am 17. Januar 1996 sein Haus in Gever (tr. Yüksekova), um in die Provinzhauptstadt Colemêrg (Hakkari) zu fahren. Auf dem Weg dorthin wurde sein Fahrzeug von Soldaten der türkischen Armee angehalten.

Die Militärs zerrten den damals 43-jährigen Canan aus seinem PKW und brachten ihn zur Kommandantur der Gebirgsjägerbrigaden, schilderte die Vorsitzende der Istanbuler Zweigstelle des Menschenrechtsvereins IHD, Gülseren Yoleri, den Fall. Vier Tage später, es war der 21. Januar 1996, wurde die mit Folterspuren übersäte Leiche von Abdullah Canan von Dorfbewohnern in einem Kanal aufgefunden. Der Körper des siebenfachen Vaters wies sieben Einschusslöcher auf, alle Kugeln waren aus dem Nahabstand abgefeuert worden. Seine Hände und Füße waren mit Klebeband gefesselt, der Mund zugeklebt.

Wenige Tage vor seiner Entführung legte Abdullah Canan bei der Staatsanwaltschaft in Gever eine Beschwerde gegen den Stabsoffizier Mehmet Emin Yurdakul ein. Der Bataillonskommandeur der türkischen Gebirgsjägerbrigaden war berüchtigt für schwere Menschenrechtsverbrechen an der kurdischen Zivilbevölkerung. Yurdakul beorderte Abdullah Canan sowie zwei weitere Personen in sein Offiziersbüro und forderte sie auf, die Beschwerden gegen ihn zurückzunehmen. Canan lehnte ab und wurde vor den Augen der beiden Zeugen mit dem Tod bedroht.

EGMR verurteilt Türkei

Die Hinterbliebenen strengten zwar nach dem Tod von Abdullah Canan einen Prozess in der Türkei an. Doch trotz Aussagen von ehemaligen Wehrpflichtigen, die vor Gericht glaubwürdig schilderten, dass der Kurde von Yurdakul und anderen Militärs gefoltert wurde, sprach die türkische Justiz die Täter frei. Die Familie zog daraufhin vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), der die Türkei 2007 verurteilte und den Hinterbliebenen von Canan Schmerzensgeld zusprach. Ihr Rechtsanwalt war Tahir Elçi, Vorsitzender der Anwaltskammer von Diyarbakır (ku. Amed), der 2015 selbst von staatlichen Kräften ermordet wurde.

Die am längsten andauernde Aktion des zivilen Ungehorsams 

Die Samstagsmütter fordern seit über 28 Jahren Aufklärung über ihre in staatlichem Gewahrsam verschwundenen Angehörigen. Es ist die am längsten andauernde Aktion des zivilen Ungehorsams in der Türkei, die am 27. Mai 1995 mit der Sitzaktion der Familie des durch Folter ermordeten Lehrers Hasan Ocak begann. Geschätzt 17.000 Menschen, darunter Journalist:innen, Politiker:innen und Menschenrechtsaktivist:innen, „verschwanden“ in den achtziger und neunziger Jahren in der Türkei, vor allem in den kurdischen Regionen. Oftmals wurden ihre Leichen in geheime Massengräber auf Militärstützpunkten, aber auch auf Müllkippen oder in Brunnenschächte geworfen. Weder Polizei noch Justiz haben Maßnahmen zur Aufklärung ergriffen.