Samstagsmütter: Wo ist Ismail Bahçeci?

Ismail Bahçeci ist verschwunden, nachdem er vor 29 Jahren in Istanbul in Gewahrsam genommen wurde. Er studierte Journalismus und war Vorsitzender der Föderation der Studierendenvereine der Türkei. Die Initiative der Samstagmütter fordert Aufklärung.

Die Istanbuler Initiative der Samstagmütter hat in der 978. Woche ihrer Mahnwache gegen das Verschwindenlassen in staatlichem Gewahrsam den Fall von Ismail Bahçeci thematisiert. Der 24-Jährige war im letzten Jahr seines Journalistik-Studiums an der Istanbuler Marmara-Universität, als er am 24. Dezember 1994 in der Bosporus-Metropole festgenommen wurde. Danach wurde er nie wieder gesehen. Seine Familie geht davon aus, dass er von der Polizei ermordet wurde.

Ismail Bahçeci war Vorsitzender der Föderation der Studierendenvereine der Türkei. Der Verband setzte sich landesweit gegen das zentralistisch gelenkte Bildungssystem ein und kämpfte für Selbstverwaltung und Autonomie an Universitäten. „Aufgrund seines Handels und wegen seiner politischen Anschauungen wurde Ismail etliche Male festgenommen und auch gefoltert“, erklärte die Aktivistin Aysel Ocak von der Kommission für Verschwundene des Menschenrechtsvereins IHD zu dem Fall Bahçeci. Seit 1993 wurde nach ihm landesweit gefahndet und die Polizei durchsuchte mehrmals die elterliche Wohnung im Istanbuler Bezirk Avcılar. Deshalb tauchte der Student unter.

Die Hochschulautonomie war zwar 1961 in der Türkei verfassungsmäßig verankert worden. Doch im Zuge politischer Unruhen putschte sich das türkische Militär mehrmals an die Macht und übernahm die Regierungsangelegenheiten. Für Studierende bedeutete dies, dass die staatlichen Kontrollen in den Universitäten verstärkt wurden. 1981 wurde die Hochschulautonomie in der Türkei endgültig per Gesetz aufgehoben, um eine Entpolitisierung der Universitäten zu erzwingen. Seitdem liegt die Zuständigkeit für das gesamte Hochschulwesen beim Hochschulkontrollgremium YÖK, der Lehrplan, Personal und Organisation bestimmt – und seit seiner Machtübernahme bei Staatschef Recep Tayyip Erdoğan.


„Am 24. Dezember 1994 erhielten Ismails Eltern einen Anruf von einer Person, die sich als Freund ihres Sohnes ausgab. Es hieß, Ismail sei festgenommen worden und befinde sich in der politischen Abteilung der Istanbuler Polizei. Vater Şehmus Bahçeci wandte sich umgehend an das Präsidium in Gayrettepe und die Oberstaatsanwaltschaft am Staatssicherheitsgericht Istanbul, aber die Behörden leugneten Ismails Festnahme. Bis zu diesem Zeitpunkt war die Polizei fast jede zweite Woche in der Familienwohnung aufgetaucht, um nach Ismail zu suchen. Nach seinem Verschwinden kamen sie nie wieder.“

„Dieser Kampf wird weitergehen, bis mein Bruder gefunden wird“

Ismails Bruder Umut Bahçeci erklärte ergänzend, dass ein Student nach seiner Festnahme im Januar 1995 in Ankara öffentlich machte, ihm sei bei einem Polizeiverhör gedroht worden, „wie im Fall von Ismail Bahçeci verschwundengelassen zu werden“. Trotzdem hätten die Behörden auf ihrer These beharrt, der 24-Jährige sei nicht in Gewahrsam genommen worden. „Wir haben die Suche nach Ismail nie aufgegeben. Dieser Kampf wird weitergehen, bis mein Bruder gefunden wird“, sagte Umut Bahçeci.

Verantwortlich für Ismails Verschwindenlassen: Mehmet Ağar

Als Hauptverantwortlichen für das Verschwindenlassen von Ismail Bahçeci sehen die Samstagsmütter den früheren Justiz- und Innenminister Mehmet Ağar, der die Verflechtung von Politik, Polizei und Mafia in der Türkei geradezu symbolisiert und als Leiter des „tiefen Staates“ gilt. Zum Zeitpunkt von der Festnahme des Studenten war Ağar Leiter der Generaldirektion der Polizei. Er setzte rechtsgerichtete Mafiastrukturen als Handlanger ein, um linke Studierende, kurdische Politiker und Geschäftsleute sowie andere unbequeme Personen zu töten, und ließ Obduktionsberichte fälschen, indem als Todesursache extralegal Getöteter Selbstmord angegeben wurde. Als er ab 1995 zuerst als Justiz- und später als Innenminister im Kabinett der Ministerpräsidentin Tansu Çiller, die noch wenige Wochen vor Ismail Bahçecis Verschwinden drei Redaktionsräume der pro-kurdischen Zeitung „Özgür Ülke“ in Istanbul, Ankara und Amed bombardieren ließ, diente, baute Ağar den Machtapparat des tiefen Staates, in dem Militär, Geheimdienste, Politik, Justiz, Verwaltung, Rechtsextremismus und organisierte Kriminalität Hand in Hand arbeiteten, weiter aus.