„Isolation ist das größte Problem der Türkei“
Der Präsident der Anwaltskammer Wan, Sinan Özaraz, appelliert aufgrund der Isolation in den Gefängnissen in der Türkei dringend an die Öffentlichkeit. Kranke Gefangene würden ihrem Schicksal überlassen.
Der Präsident der Anwaltskammer Wan, Sinan Özaraz, appelliert aufgrund der Isolation in den Gefängnissen in der Türkei dringend an die Öffentlichkeit. Kranke Gefangene würden ihrem Schicksal überlassen.
Die Gefängnisse in Kurdistan und der Türkei sind täglich Schauplatz schwerer Menschenrechtsverletzungen an Gefangenen. Während seit 29 Monaten kein Lebenszeichen vom totalisolierten kurdischen Repräsentanten Abdullah Öcalan nach außen dringt, breitet sich das Isolationssystem von Imrali auf die Gefängnisse im ganzen Land aus. Kranke Gefangene sterben, die Entlassung von Menschen nach 30 Jahren Haft wird unter fadenscheinigen Vorwänden verweigert. Der Präsident der Anwaltskammer von Wan, Sinan Özaraz, sprach mit der Nachrichtenagentur Mezopotamya über die Situation in den Haftanstalten.
„Universelle Rechte werden gebrochen“
Özaraz betonte, dass universelle Rechtsgrundsätze eigentlich für Haftanstalten gälten: „Es gibt viele solcher Rechte, wie das Recht, nicht gefoltert und misshandelt zu werden, das Recht auf Gesundheit, Kommunikation, Besuch und das Verbot der Isolation. Betrachten wir die Gefängnisse in der Türkei, sehen wir, dass viele dieser Rechte verletzt werden. Diese Situation entwickelt sich zu systematischen Rechtsverletzungen.“
Sinan Özaraz ist Präsident der Anwaltskammer Wan
Özaraz erklärte, dass die Anwaltskammer Wan auf Antrag von Gefangenen und ihren Angehörigen Befragungen in Gefängnissen durchführt und die Ergebnisse als Bericht vorstellen werde.
Gerichtsmedizin als Folterinstrument
Özaraz wies darauf hin, dass Folter und Misshandlung durch nationale und internationale Konventionen verboten seien, und sagte: „Der Vollzug im Gefängnis muss diesen Grundprinzipien entsprechen. Aber wenn wir uns die Berichte ansehen, stellen wir fest, dass diese Rechte verletzt werden. Es gibt viele Probleme beim Zugang zur Gesundheitsversorgung. Es wird berichtet, dass Gefangene keine Antwort auf ihre Anträge auf Zugang zu medizinischer Versorgung erhalten, dass ihre Anträge verzögert werden oder dass sie beim Transport unmenschlicher Behandlung ausgesetzt sind. Ihnen wird eine Untersuchung des Mundraums aufgezwungen. So etwas hat keinen Platz im Gesetz. Es gibt auch kranke Gefangene. Es gibt Menschen, die im Gefängnis nicht überleben können. Diese Menschen dürften eigentlich nicht in Haft gehalten werden, aber es gibt viele solcher Gefangenen in der Türkei. Unser Problem sind die Hindernisse, die durch die Gutachten des gerichtsmedizinischen Instituts (ATK) geschaffen werden. Während eine Person im staatlichen Krankenhaus die Haftunfähigkeit bescheinig wird, gibt das ATK demselben Patienten ein Gutachten, das besagt, dass er im Gefängnis bleiben kann. Das verstößt gegen das Recht auf Leben der kranken Gefangenen."
„Die Gefangenen werden dem Tod überlassen“
Özaraz erklärte, dass die Vollzugsvorschriften Diskriminierung verbieten, aber politische Gefangene doppelt bestraft würden, da sie im Falle schwerer Krankheit einfach nicht entlassen werden. Er warnte: „Die Zahl der Todesfälle in den Gefängnissen ist stark angestiegen. Das liegt an der Vorgehensweise des ATK. Deshalb werden die Menschen nicht entlassen. Sie werden erst entlassen, wenn sie im Sterben liegen oder wenn sie es auf die Agenda der Türkei schaffen. Es gibt viele Menschen, die nicht auf der Agenda stehen. Diese Menschen werden leider dem Tod überlassen. Es wurde behauptet, dass eine Regelung getroffen werden würde, aber es wurden keine Schritte unternommen."
Der Anwaltskammerpräsident weist auf die Doppelmoral der aktuellen Vollzugsreform hin: „Die einzige Regelung, die darin getroffen wurde, bezieht sich auf allgemeine Straftaten, aber diejenigen, die wegen politischer- und Meinungsdelikte einsitzen, wurden davon ausgenommen. Diese Regelung hat sich für viele zur Amnestie entwickelt, und Täter sehen darin einen Freibrief, Verbrechen zu begehen.“
Briefe werden nicht ausgehändigt
Durch Isolation solle die Verbindung zwischen Gefangenen und der Gesellschaft durchtrennt werden, sagte Özaraz und fuhr fort: „Es gibt Verstöße wie die Blockade von ganzen Verlagen, Fernsehsendern und Zeitungen. Briefe, die in kurdischer Sprache geschrieben werden oder in kurdischer Sprache eingehen, werden mit der Begründung ‚kein Dolmetscher‘ nicht abgeschickt oder zugestellt. Wir wissen jedoch, dass gegen einige Inhaftierte wegen des Inhalts von Briefen, für die es angeblich keinen Dolmetscher gab, Ermittlungen eingeleitet wurden. Es ist klar, es gibt Dolmetscher, aber die Briefe werden willkürlich zurückgehalten. Selbst wenn es keinen Dolmetscher gäbe, müsste eben einer gestellt werden.“
„Isolation ist das größte Problem“
Özaraz betonte, dass eines der größten Probleme in der Türkei das Isolationssystem sei: „Die Isolation ist in allen Gefängnissen systematisch geworden. Vor allem politische Gefangene werden in Isolationshaft gehalten, obwohl sie keine Disziplinarstrafe erhalten haben. Dies wirkt sich auch auf die Gesundheit aus, denn Gesundheit ist nicht nur etwas Körperliches, sondern hat auch eine soziale und psychische Dimension. In dieser Hinsicht handelt es sich um eine schwerwiegende Rechtsverletzung, die leider mittlerweile in allen Gefängnissen der Türkei verbreitet ist.“