Die Gefängnisse in der Türkei sind zu einem Zentrum der Folter geworden, insbesondere für revolutionäre und kurdische Gefangene. Neben den in allen Haftanstalten herrschenden Isolationsbedingungen und der willkürlichen Einschränkung von Rechten durch die Verwaltung nimmt die Misshandlung von Gefangenen durch Wärter und Soldaten von Tag zu Tag zu.
Darüber hinaus hat sich in den letzten Jahren die Praxis durchgesetzt, politische Gefangene nach Vollendung ihrer regulären Strafe nicht freizulassen. Die Gesetzgebung definiert dieses Vorgehen, das vor allem bei kranken Gefangenen als Druckmittel eingesetzt wird, wie folgt: „Begeht der Verurteilte zwischen dem Zeitpunkt der bedingten Entlassung und der Überwachungszeit eine vorsätzliche Straftat, die eine Freiheitsstrafe nach sich zieht, so wird die Entlassung des Verurteilten ausgesetzt. Es reicht aus, dass die zweite Straftat innerhalb des Überwachungszeitraums begangen wird." Da der Begriff „Straftat" hier jedoch nicht definiert ist und es in der Verantwortung der Gefängnisverwaltung liegt, Strafen zu verhängen, werden Gefangene willkürlich bestraft. Bei der Aussetzung der Entlassung nutzen die Vollzugsverwaltungen jeden Schritt der Gefangenen als Vorwand, um sie zu bestrafen.
Verwaltungsausschüsse entscheiden über Vollzugsdauer
Für diese Praxis wurden Ende 2020 von der Regierung „Verwaltungsbeobachtungsausschüsse“ mit der Propaganda eingeführt, dass sie „die Chancen auf eine vorzeitige Entlassung erhöhen". Die Ausschüsse sind jedoch zu einer Institution geworden, die dazu dient, die Freilassung politischer Gefangener zu verzögern. Nachdem die Ausschüsse ihre Arbeit aufgenommen hatten, wurden sowohl die bedingte Entlassung als auch der Übergang zu offenem Vollzug schwieriger.
Die Ausschüsse sind in den Rechtsvorschriften wie folgt definiert: Der Verwaltungs- und Beobachtungsausschuss wird vom Anstaltsleiter geleitet und besteht aus dem zweiten Direktor, der für die Beobachtung und Klassifizierung zuständig ist, dem Verwaltungsbeamten, dem Gefängnisarzt, dem Psychiater, dem Psychologen, dem Sozialarbeiter, dem Lehrer, dem Leiter des Vollzugs und dem Schutzbeauftragten sowie einem vom Anstaltsleiter aus dem technischen Personal ausgewählten Beamten."
In demselben Gesetz ist der Entscheidungsmechanismus der Ausschüsse wie folgt definiert: „Das Verwaltungs- und Beobachtungsgremium entscheidet über den Verurteilten auf der Grundlage der Beobachtungs- und Entwicklungsbewertungsberichte, des Risikobewertungsberichts und aller Informationen und Dokumente in den Vollzugsakten. Im Rahmen dieser Bewertung können die Gremien den Verurteilten auf Antrag oder von Amts wegen befragen."
Gründe: Zu viele Bücher gelesen, zu viel Wasser verbraucht, zu viel gelacht
Im Jahr 2021 wurde die Entlassung von über sechzig politischen Gefangenen durch diese Ausschüsse verhindert. Die Begründungen, die das Gremium dafür anführt, sind bizarr:
Keine Gewissensbisse
Gespräch mit einem Imam verweigert
Keine gute Führung
Nichteinhaltung der Gefängnisregeln
Kein sparsamer Umgang mit Wasser
Nichtteilnahme an den Gefängnisaktivitäten
Viele Bücher gelesen
Mangelnde Unterstützung des Personals bei Durchsuchungen
Bei Besuch gelacht
Singen von Hymnen
Kurdisches Volkslied gesungen
Keine Distanzierung von „der Organisation“
Ein Familienmitglied ist verhaftet worden
Einer politischen Gefangenen, die nie verheiratet war, wurde die Haftentlassung mit der Begründung verweigert, dass sie ihren Mann getötet habe und ihrer Familie schaden könne. Bei einem weiteren Gefangenen, der Töchter im Alter von sechs und neun Jahren hat, lautete die Begründung: „Ihre Kinder sind an Aktivitäten der Organisation beteiligt."
Die Aussetzung der Entlassung durch die Beobachtungsausschüsse ist inzwischen so weit verbreitet, dass es schwierig ist, überhaupt Daten zu erhalten. Nach den vorliegenden Zahlen sind bisher mindestens 217 politische Gefangene betroffen. Einige dieser Gefangenen wurden später freigelassen, andere sind bis heute nicht freigelassen worden.
Bizarre Fallbeispiele
Bei einigen der Gefangenen, deren Entlassung ausgesetzt wurde, handelt es sich um folgende:
Cevahir Vurucu - Lachen während eines Gesprächs mit einem Besuch
Ferit Orak - Übermäßiger Wasserverbrauch
Şevket Bilici - Fehlende Reue
Acht politische Gefangene in Diyarbakır Typ T Nr. 1 - Fehlende Reue
Songül Bagadır, Kandıra Typ L - Fehlende Reue
Ercan İşcan, Giresun Espiye Typ L - Unterlassene Hilfeleistung bei Durchsuchungen
Murat Aktaş, Kandıra Typ F Nr. 1 - Verhängte Disziplinarstrafen
Fahriye Ceylan, Alanya Typ L - Fehlende Reue
Zwölf Frauen in Bayburt Typ M – Verweigerung des militärischen Zählappells
Fast alle politischen Gefangenen im Frauengefängnis Sincan
Metin Güven, Yozgat Typ T - Fehlende Reue
Aliye Süer, Frauengefängnis Diyarbakır - Singen
Zwölf Gefangene in Bolu - Übermäßiger Wasserverbrauch und fehlende Reue
Resul Baltacı, Düzce Çilimli Typ T - Fehlende Reue
Hatice Çakmak, Frauengefängnis Typ L in Alanya - Verhängte Bunkerstrafen
Kadir Karabak, Tekirdağ Typ F Nr. 2 - Politische Aktivität minderjähriger Töchter
Rojda Erez, Frauengefängnis Sincan - „Du hast deinen Mann getötet und wirst deiner Familie schaden"
Hanım Yıldırım, Frauengefängnis Sincan - Bruder soll Gülen-Anhänger sein
Sabri Yakut, Hakan Zertürk, Bilal Balbeş, Faruk Aydemir, Erzurum Dumlu Nr. 1 und 2 - Fehlende Reue
Şemsettin Tekin, Sevgi İlboğa, Oltu Typ T - Fehlende Reue
Mehmet Cengel, Hochsicherheitsgefängnis Van - Fehlende Reue
Dilan Oynaş, Frauengefängnis Sincan - Verhängte Disziplinarstrafen
Xense Bulut („Friedensmutter“), Frauengefängnis Izmir Şakran - Fehlende Reue
Azise Yağız, Tarsus Typ T - Schlechtes Benehmen
Damla Erdem, Sevda Turgal, Frauengefängnis Şakran - Fehlende Reue
İlyas Peldek, Abdulhaluk Özerk, Samsun Bafra Typ F - Ungehorsam gegenüber den Regeln
Abdurrahim Çetinkaya, Şakran L Typ Nr. 3 - Verhängte Disziplinarstrafen