Mazlum Dağ und Abdurrahman Er (auch bekannt unter dem Namen Muhammed Beşiksiz) werden beschuldigt, am 17. Juli 2019 den türkischen Vizekonsul und Geheimdienstverantwortlichen Osman Köse sowie zwei weitere Personen in einem Luxusrestaurant in Hewlêr (Erbil), der Hauptstadt der südkurdischen Autonomieregion, erschossen zu haben. Im Februar wurden Dağ und Er vom 2. Strafgericht in Hewlêr in einem Schauprozess zum Tode verurteilt. Direkt im Anschluss an die Verhandlung waren die beiden Aktivisten in einer Gefängniszelle von IS-Dschihadisten untergebracht worden. Am 22. September wurden die Todesurteile vom Kassationsgericht bestätigt.
Laut Gesetzgebung in der südkurdischen Autonomieregion muss die Hinrichtungsverfügung vom Präsidenten unterzeichnet werden, bevor das Urteil vollstreckt werden kann. Die Koordination der Gemeinschaft der Frauen Kurdistans (Komalên Jinên Kurdistanê, KJK) forderte jüngst den Präsidenten der Autonomieregion Nêçîrvan Barzanî auf, die für die Vollstreckung der Todesstrafe notwendige Unterschrift zu verweigern. Laut der KJK ist das Urteil vom türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan gefällt worden. Dieser erwarte jetzt von der südkurdischen PDK-Regierung, dass diese seinen Willen durchsetze. Derweil haben die Eltern von Mazlum Dağ und Abdurrahman Er in Südkurdistan Gespräche mit politischen Parteien und Einzelpersonen wie Schriftstellern und Intellektuellen geführt, um für die Kampagne gegen die Todesstrafe zu werben. Zuvor hatten sie in einem offenen Brief von Barzanî gefordert, die Hinrichtungsverfügung nicht zu unterschreiben.
Die Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK) hat ebenfalls zum Kampf gegen die Todesstrafe aufgerufen und macht das Thema zum Teil ihrer im September ausgerufenen Offensive „Schluss mit Isolation, Faschismus und Besatzung – Zeit für Freiheit“. In ihrem Aufruf weist die KCK darauf hin dass Osman Köse vom türkischen Staat mit der Planung und Durchführung von Anschlägen auf Persönlichkeiten der kurdischen Befreiungsbewegung beauftragt gewesen ist.
Der Verein NAV-Berlin (Navenda Kurdistaniyên Azad e.V.) hat bis Anfang Dezember Unterschriften gegen die Todesstrafe gesammelt und wird diese jetzt an internationale Menschenrechtsorganisationen, die Außenminister der EU-Länder und politische Parteien in Deutschland weiterleiten. Das teilten die Vereinsvorsitzenden Asli Çiçek und Ismail Parmaksiz am Freitag mit.
In Bern wurde im Oktober eine Solidaritätsinitiative gegründet. Mitglieder des Komitees sind bekannte Exilpolitiker*innen und Angehörige, darunter Demir Çelik, Firat Anli, Yurdusev Özsökmenler, Abdullah Demirbaş, Mine Çetinkaya, Ali Matur, Nejdet Atalay, Gernas Koçer, Necmettin Er und Lami Özgen. Für ihre Kampagne haben sie einen Brief an den Präsidenten der kurdischen Autonomieregion im Irak verfasst und rufen dazu auf, diesen per Email an [email protected] und [email protected] weiterzuleiten. Gefordert wird nicht nur die Aufhebung der Todesstrafe gegen die beiden jungen Kurden, sondern die generelle Abschaffung der Todesstrafe in Südkurdistan.
Brief an Nêçîrvan Barzanî
Sehr geehrter Herr Nêçîrvan Barzanî,
Die Kurd*innen sind ein altes Volk, welches mit der schmerzhaften Geschichte einer von Krisen geprägten Geographie belastet ist. Sie versuchen, eine Zukunft aufzubauen, ohne auf die menschlichen Werte und ihre eigenen Lebensideale zu verzichten. Es ist ein grundlegender Charakter der Kurd*innen - obwohl sie viel Leid, Ungerechtigkeit und Unterdrückung erlebt haben - den Kampf für Demokratie und Moral ununterbrochen fortzusetzen.
Am 17. Juli 2019 ereignete sich in Erbil, der Hauptstadt der irakischen Region Kurdistan, ein tödlicher Vorfall. Kurz nach diesem Vorfall wurden zahlreiche Personen, darunter Abdurrahman Er und Mazlum Dağ, festgenommen und später inhaftiert.
Sie wurden am 11. Februar 2020 vor Gericht gestellt. Infolge eines kurzen Prozesses vor dem 2. Strafgerichtshof in Erbil erhielten Abdurrahman Er und Mazlum Dağ die Todesstrafe. Danach ging der Fall an das Berufungsgericht. Am 22. September 2020 wurden die Todesurteile vom Berufungsgericht der irakischen Regionalregierung Kurdistans bestätigt. Danach ist für die Hinrichtung rechtlich die Zustimmung des Regionalpräsidenten Kurdistans erforderlich. Derzeit befinden sich Abdurrahman Er und Mazlum Dağ in Erbil im Gefängnis und warten auf die Entscheidung des Regionalpräsidenten Kurdistans.
In den Gesetzen vom Irak und von Südkurdistan ist die Todesstrafe weiterhin verankert und bisher wurden im Irak und in Südkurdistan viele Todesurteile vollstreckt. Es ist wahrscheinlich, dass ein Hinrichtungsbefehl für Abdurrahman Er und Mazlum Dağ ausgestellt wird. Die Familien und ihre Nächsten verspüren also zurecht Angst. Der schnelle Abschluss des Verfahrens erhöht diese Besorgnis.
Die Todesstrafe wurde in modernen Strafgesetzbüchern und demokratischen Ländern weitgehend aus dem Gesetz gestrichen. Die Vereinten Nationen und die EU haben Entscheidungen getroffen und verbindliche Vorschriften zur Abschaffung der Todesstrafe erlassen.
Natürlich war es nicht leicht dies zu erreichen. Es wurden in diesem Bereich große Kämpfe geführt. So wurden weltweit von Anwält*innen, Menschenrechtsverteidiger*innen und humanitären Institutionen massive Kampagnen gegen die Todesstrafe durchgeführt. Das Thema steht immer noch auf der Tagesordnung von MenschenrechtsverteidigerInnen und humanitären Institutionen.
Wir sind auch gegen die Todesstrafe.
Leider haben wir in Bezug auf Hinrichtungen in der kurdischen Geschichte schmerzhafte Erinnerungen. Tausende Kurd*innen wurden hingerichtet, darunter Scheyh Said, Seyid Rıza, Qazi Muhammed und Leyla Qasım. Der Schmerz dieses tiefen Traumas ist sehr frisch. Kurdische Jugendliche und Frauen werden nach wie vor im iranischen Kurdistan hingerichtet. Wir sollten alle unsere Stimmen gegen diesen unmenschlichen und schwarzen Fleck in der Geschichte erheben.
Wir sind der Überzeugung, dass eine Hinrichtung nicht die Lösung ist, und wir glauben, dass diese Menschen nicht getötet werden sollten. Die Todesstrafe sollte aus Gesetzen gestrichen werden. In diesem Sinne stehen wir in diesem konkreten Fall mit den Familien von Abdurrahman Er und Mazlum Dağ und fordern, dass keine Vollstreckung der Todesstrafe durchgeführt wird. In diesem Zusammenhang haben wir, als ersten Schritt, gemeinsam mit den Familien das „Solidaritätskomitee mit Abdurrahman Er und Mazlum Dağ gegen den Tod“ gegründet.
Als Komitee starten wir eine Kampagne gegen die Todesstrafe. Wir fordern Menschenrechtsverteidiger*innen, Anwält*innen, Demokrat*innen, humanitäre Institutionen und alle Menschen, die in diesem Bereich einen Beitrag leisten, zur Solidarität auf.
In diesem Zusammenhang sprechen wir zunächst den Präsidenten der Region Kurdistan, Herrn Nêçîrvan Barzanî, an und fordern: Unterschreiben Sie dieses Todesurteil nicht, verhindern Sie diese Hinrichtung! Zu diesem Zeitpunkt sind Sie in der Lage, die Vollstreckung des Urteils zu verhindern. Wenn Sie an dieser Stelle einen Schritt wagen und die Entscheidung des Todesurteils nicht unterzeichnen, können Sie das Eintreten einer nicht wieder gut zu machenden Situation verhindern.
Wir glauben daran, dass Sie diese Grausamkeit aus humanitären Gründen und unter Berücksichtigung der Bedingungen des aktuellen Prozesses nicht zulassen werden.
Hochachtungsvoll, Solidaritätskomitee mit Abdurrahman Er und Mazlum Dağ gegen die Todesstrafe
Kurzfassung für Unterstützer*innen
Die Kurzfassung, die an Barzanî weitergeleitet werden soll, lautet:
Auch ich nehme an der Briefkampagne teil, die von der „Initiative der Solidarität mit der Abdurahman Er und Mazlum Dağ gegen die Todesstrafe“ initiiert wurde. Zunächst fordere ich Sie auf, die Ausführung dieser Hinrichtung zu stoppen und eine mögliche Ausführung der Todesstrafe zu beenden.