Amed: Junger Mann verbrennt sich aus Protest selbst

Der 25-jährige Mehmet Akar hat sich aus Protest gegen die Isolation des kurdischen Repräsentanten Abdullah Öcalan selbst verbrannt. Er erlag im Krankenhaus in Amed seinen schweren Verbrennungen.

Am Montagabend hat sich ein junger Mann in Amed-Sûr (tr. Diyarbakır-Sur) selbst verbrannt. Nun wurde bekannt, dass es sich um Mehmet Akar handelte. Der 25-Jährige erlag im Krankenhaus seinen schweren Verbrennungen. In seinem Abschiedsbrief macht er deutlich, dass er sich aus Protest gegen die Isolation von Abdullah Öcalan auf der türkischen Gefängnisinsel Imrali selbst angezündet hat.


Mehmet Akar hat die Kriegführung des türkischen Staates an eigenem Leib erlebt. Seine Familie hatte 2019 behauptet, er wäre „in die Berge“ entführt worden, und beteiligte sich an der vom türkischen Geheimdienst organisierten „Mahnwache“ vor dem Gebäude der Demokratischen Partei der Völker (HDP) in Amed. Einige Tage später meldete sich Mehmet Akar selbst zu Wort und erklärte, dass er nicht entführt wurde. Vielmehr habe er sein Elternhaus verlassen, weil er gegen seinen Willen verheiratet werden sollte. Er sei nicht in die Berge gegangen. Später erklärte er außerdem, dass seine Mutter vom MIT manipuliert worden sei.

Abschiedsbrief von Akar: „Bijî Serok Apo“

In seinem Abschiedsbrief heißt es: „Hallo Freunde. Ich möchte die Aktion von Heval Bubo begrüßen. Es gibt keine Nachricht von Rêber Apo [Abdullah Öcalan]. Weder seine Familie noch seine Anwälte dürfen ihn sehen. Die Anträge werden ohne Begründung abgelehnt. Wir sind besorgt um den Gesundheitszustand von Rêber Apo.

Aus Protest dagegen werde ich meinen Körper um 21.21 Uhr in Amed Keçi-Burç in Brand setzen. Möge das Licht des Feuers, das meinen Körper entzündet, Imrali erleuchten. Ich hoffe, dass diese Aktion zur physischen Freiheit von Rêber Apo führen wird. Bijî Serok Apo!“

Zweite Selbstverbrennung binnen weniger Tage

Der Selbstverbrennung von Mehmet Akar ging die Aktion von Veysi (Bubo) Taş in Mêrdîn voraus. Am 12. Januar 2023 verbrannte sich der 65-Jährige im Industriegebiet der Stadt Ertûqî (tr. Artuklu) aus Protest gegen die Totalisolation des kurdischen Repräsentanten Abdullah Öcalan. Nach einer vergeblichen Behandlung im Krankenhaus wurde Taş von seiner Familie beigesetzt. Die Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK) erklärte zu der Aktion: „Veysi Taş hat eine große Aktion durchgeführt und unser Volk, unsere internationalen Freundinnen und Freunde und die demokratischen Kräfte dazu aufgerufen, ihren Kampf zu verstärken und ihn zum Erfolg zu führen, bis die Gesundheit, die Sicherheit und die Freiheit von Rêber Apo gewährleistet sind.“ Die KCK forderte gleichzeitig, dass sich eine solche Aktion nicht wiederholen dürfe. Die kurdische Freiheitsbewegung hat immer wieder appelliert, keine Selbstverbrennungen durchzuführen.

Akars Familie eine der ersten Familien bei Geheimdienstaktion

Hacire Akar, die Mutter von Mehmet Akar, gilt als eine der ersten Teilnehmer:innen an der vom türkischen Geheimdienst orchestrierten „Mahnwache“ vor dem HDP-Gebäude in Amed. Sie suchte am 22. August 2019 die Polizeidirektion in Amed auf und stellte eine Vermisstenanzeige mit der Begründung, ihr Sohn sei „in die Berge entführt“ worden. Nach ihrem Antrag begab sie sich zum Gebäude der HDP-Provinzorganisation Amed, schlug dort Scheiben ein und begann einen Sitzprotest. Sie behauptete, ihr Sohn habe das Parteigebäude betreten und sei nicht wieder herausgekommen. Sie beschuldigte HDP-Mitglieder, ihren Sohn von dort in die Berge entführt zu haben. Die Anadolu Agency (AA) und andere regierungsnahe Medien hatten ebenfalls berichtet, dass Mehmet Akar „in die Berge entführt“ worden sei. Es wurde jedoch bekannt, dass Mehmet Akar zur Heirat gezwungen werden sollte.

Am 23. August 2019 wandte sich Mehmet Akar an die Nachrichtenagentur Mezopotamya und erklärte, er sei nicht entführt worden, sondern sei gegangen, weil er gezwungen werden sollte, seine Nichte zu heiraten. Akar berichtete, dass er sich in der Wohnung seiner Schwester Ceylan Mutaş im Bezirk Rêzan (Bağlar) aufhielt, als er von seinem Vater Aziz Akar und seinem älteren Bruder Mustafa Akar gewaltsam festgehalten und zur Familienwohnung in Soğanlı gebracht wurde. „Weil ich mich weigerte, zwangsverheiratet zu werden, kamen sie, als ich schlief, zum Haus meiner Schwester und brachten mich mit Gewalt ins Dorf. Sie beleidigten mich, nahmen mein Telefon, meine Brieftasche, mein Handy und mein Geld. Sie haben mich nicht aus dem Haus gelassen. Ich habe auch nichts gegessen“, erklärte Mehmet Akar damals. Zur Teilnahme seiner Familie an der „Mahnwache“ sagte Akar: „Niemand hat mich entführt, es hat nichts mit der HDP zu tun. Es ist grundfalsch, dass meine Familie dort ist. Ich habe meiner Familie gesagt: ‚Ich habe nichts mit euch zu tun‘, ich bin nirgendwo hingegangen, ich bin hier. Ich werde definitiv nicht zu ihnen gehen. Sie sollten niemanden beschuldigen, ich bin aus eigenem Antrieb von zu Hause weggegangen. Niemand hat mich angewiesen und niemand hat mich irgendwohin geschickt. Ich bin nirgendwo hingegangen, ich bin hier. Es ist auch falsch, dass meine Familie den Sitzprotest dort fortsetzt. Das hat nichts mit der HDP zu tun. Ich bin von niemandem abhängig. Ich bin allein von zu Hause weggegangen, meine Familie sollte niemandem die Schuld geben. Ich werde mich nicht mit meiner Familie treffen, ich kann mein Leben selbst bestimmen. Ich akzeptiere keine Zwangsheirat durch meine Familie."

Die „Mahnwache“

Trotz dieser öffentlich gewordenen Manipulation durch die Polizei führen andere Familien ihren Sitzstreik vor der HDP-Zentrale fort. Die HDP hat von Anfang an erklärt, dass dieser Protest vom Staat inszeniert worden ist. Wie sich herausgestellt hat, werden Eltern, die ihre Kinder als vermisst melden oder von denen bekannt ist, dass sie bei der Guerilla sind, von den türkischen Sicherheitskräften unter Druck gesetzt, an dem Protest teilzunehmen. Gleichzeitig werden ihnen Zahlungen und weitere Vorteile versprochen, wenn sie sich vor das HDP-Gebäude stellen. Dort kommt es aus der „Mahnwache“ immer wieder zu Angriffen auf Besucher:innen der HDP-Zentrale. Diese Angriffe finden unter den Augen der Polizei statt. Jede Gegenwehr bietet den Vorwand zu Polizeigewalt.

Stellvertretender Innenminister nahm an Zwangseheschließung teil

Nach dem Bericht wurde Mehmet Akar festgenommen und acht Tage lang auf der Polizeidirektion Diyarbakır festgehalten. Anschließend wurde er mit einer elektronischen Fußfessel in den Hausarrest entlassen. Die Familie nutzte seine Situation aus und verheiratete ihn am 19. Oktober 2019 gegen seinen Willen. An der Hochzeit nahmen auch der stellvertretende Innenminister Muhterem Ince und der ehemalige Gouverneur von Diyarbakır, Hasan Basri Güzeloğlu, der ehemalige Gouverneur des Bezirks Sur, Abdullah Çiftçi, und der ehemalige AKP-Landesvorsitzende Süleyman Serdar Budak teil. Regierungsbeamte behaupteten damals auch, Mehmet Akar einen Job gegeben zu haben. Aber es wurde bekannt, dass Akar seinen Lebensunterhalt als Taxifahrer verdiente.