Samstagsmütter fragen nach Mustafa Sayğı

Seit 31 Jahren ist Mustafa Sayğı verschwunden. Der Kurde wurde 1994 nahe Pirsûs von der türkischen Gendarmerie festgenommen. Seither wurde er nicht mehr lebend gesehen.

1994 festgenommen und verschwunden

Auf dem Galatasaray-Platz im Istanbuler Stadtteil Beyoğlu haben Angehörige von Verschwundenen sowie Menschenrechtsaktivist:innen zum 1056. Mal Gerechtigkeit für Opfer des gewaltsamen Verschwindenlassens gefordert. Im Mittelpunkt der Mahnwache der Samstagsmütter stand in dieser Woche das Schicksal von Mustafa Sayğı, der vor 31 Jahren in Pirsûs (tr. Suruç) in Gewahrsam der türkischen Militärpolizei verschwunden ist.

1994 festgenommen und verschwunden

Jiyan Kaya, Sekretärin der Istanbuler Sektion des Menschenrechtsvereins IHD, verlas den Fallbericht zu Mustafa Sayğı: Der damals 30-Jährige war am 3. Juni 1994 mit dem Motorrad auf dem Weg von seinem Heimatort ins Zentrum von Pirsûs gewesen, als er in einem Dorf von Soldaten des 5. Kommandobataillons, das damals temporär in einem Gebäude der staatlichen Wasserbehörde untergebracht war, angehalten und festgenommen wurde.

Zwei Tage lang habe die Familie keinen Kontakt mehr zu Sayğı gehabt. Zeug:innen berichteten damals, sie hätten gesehen, wie Sayğı von Soldaten abgeführt wurde. Ein Dorfbewohner bestätigte laut Kaya gegenüber Sayğıs Mutter: „Mustafa wurde mit uns gemeinsam kontrolliert, wir durften weiterfahren – er nicht.“

Widersprüchliche Behördenaussagen

Die Familie hatte sich unmittelbar an das zuständige Militärposten gewandt. Dort sei ihnen zunächst mitgeteilt worden, Sayğı befinde sich zur Befragung bei der Kreiskommandantur der Gendarmerie. Doch später erklärten die Behörden, es habe keine Festnahme gegeben. Die Staatsanwaltschaft wurde eingeschaltet, doch auch die Provinzkommandantur der Militärpolizei bestritt jegliche Ingewahrsamnahme.

Im Dezember 2009 wurden bei einer Raubgrabung in der Nähe von Pirsûs ein Motorradwrack und Knochenreste gefunden. Die Überreste wurden der Staatsanwaltschaft übergeben, jedoch erklärte das Forensische Institut später, es handele sich um tierische Knochen. Die Ermittlungen wurden daraufhin erneut eingestellt.

Europäischer Gerichtshof rügt Türkei

Die Familie Sayğı wandte sich daraufhin an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg. 2015 stellte das Gericht fest, dass die Türkei gegen Artikel 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention – das Recht auf Leben – verstoßen habe. Dennoch blieb die genaue Aufklärung des Falls bis heute aus.

„Wir geben nicht auf“

„31 Jahre sind vergangen. Während für die Familie Sayğı die Zeit stehen geblieben ist, verweist der Staat auf die Verjährung“, sagte Jiyan Kaya zum Abschluss. „Aber wir geben nicht auf. Wir werden weiterhin Gerechtigkeit für Mustafa Sayğı und alle anderen Verschwundenen fordern – unabhängig davon, wie viel Zeit vergeht.“

Die Aktion endete mit dem Niederlegen von Nelken auf dem Pflaster des Galatasaray-Platzes.