Verfahren zum Mord an Mehmet Sincar weiter verzögert

Das Verfahren zum tödlichen Anschlag auf den DEP-Abgeordneten Mehmet Sincar im Jahr 1993 wird weiter verschleppt. Auch nach der 15. Verhandlung liegt keine Anklagebewertung vor. Die Nebenklage kritisiert mangelnden Aufklärungswillen der Justiz.

Seit vier Jahren kein Gutachten

Im Verfahren um den Mord an dem kurdischen Politiker Mehmet Sincar hat das zuständige Gericht in Amed (tr. Diyarbakır) die 15. Verhandlung abermals vertagt. Grund sei erneut das Fehlen der Anklagebewertung durch die Staatsanwaltschaft. Die juristische Aufarbeitung zieht sich inzwischen seit über fünf Jahren ohne inhaltlichen Fortschritt hin.

Mehmet Sincar, Abgeordneter der kurdischen Demokratiepartei (DEP), war am 4. September 1993 im Alter von 39 Jahren in Êlih (Batman) auf offener Straße erschossen worden, als er eine extralegale Hinrichtung vor Ort untersuchen wollte. Der Anschlag gilt als eines der bekanntesten politischen Attentate der 1990er Jahre in der Türkei. Neben Sincar kam auch der Lokalpolitiker Metin Özdemir ums Leben, ein weiterer Abgeordneter, Nizamettin Toğuç, wurde schwer verletzt. Die Täter waren Mitglieder der paramilitärischen Organisation „Hizbullah“, die zu jener Zeit im Auftrag des tiefen Staates brutale Morde in Kurdistan verübte.

Angeklagter auf freiem Fuß

Angeklagt ist der bekannte Hizbullah-Attentäter Cihan Yıldız, der sich auf freiem Fuß befindet und zur Verhandlung per Videoschalte zugeschaltet wurde. Im Saal anwesend waren neben Sincars Witwe Cihan Sincar auch mehrere Vertreter:innen des anwaltlichen Beistands der Nebenklage – darunter Mehdi Özdemir, Yakup Güven, Mehmet Emin Gökdemir und Ferdi Çiçek – sowie Beobachter:innen der Zweigestelle des Menschenrechtsvereins IHD.

Ab 1978 arbeitete Mehmet Sincar etwa ein Jahr lang als Lehrer in Dersim. Weil er an einer Boykottaktion aufgrund des pogromartigen Massakers rechtsradikaler Islamisten und Paramilitärs an Aleviten in Maraş teilnahm, wurde er an eine Schule in der westanatolischen Stadt Afyon verbannt. Seinen Dienst antreten konnte Sincar dort aber nicht, da er von rechtsextremen Gruppen bedroht wurde. Foto: Cihan Sincar


Scharfe Kritik an Justiz und Staatsanwaltschaft

Rechtsanwalt Mehdi Özdemir übte scharfe Kritik an der Untätigkeit der Strafverfolgungsbehörden. Er erinnerte daran, dass in den 1990er Jahren tausende Menschen Opfer sogenannter außergerichtlicher Hinrichtungen durch Hizbullah und andere staatliche Strukturen wurden und Mehmet Sincar einer von ihnen sei.

„Obwohl die Hintergründe dieses politisch motivierten Mordes seit Langem bekannt sind, wurde bislang ausschließlich gegen eine Einzelperson Anklage erhoben. Diejenigen, die die Tat geplant, organisiert oder politisch gedeckt haben, bleiben unbehelligt“, erklärte Özdemir. Er forderte die unverzügliche Erstellung der Anklagebewertung sowie eine Entscheidung im Verfahren.

Auch Mehmet Emin Gökdemir kritisierte den bisherigen Verlauf: „Die Familie hat jede Verhandlung begleitet. Dennoch wurde unter Verweis auf die Komplexität der Akten mehrfach erklärt, man könne die Unterlagen nicht vollständig auswerten. Teilweise hieß es ganz offen: ‚Wir beschäftigen uns mit diesem Fall nicht weiter.‘“

Nächster Verhandlungstermin im Dezember

Weitere Anwälte forderten, die noch bestehenden Verfahrensmängel zu beheben und endlich zur inhaltlichen Bewertung der Tat zu kommen. Das Gericht folgte dennoch der Linie der bisherigen Verfahrensführung und gab der Staatsanwaltschaft erneut Zeit zur Erstellung ihrer Bewertung. Der nächste Verhandlungstermin wurde auf den 18. Dezember 2025 angesetzt.

Bewusst verschlepptes Verfahren

Mehmet Sincar war 1991 auf der Liste der SHP als Abgeordneter für den Wahlkreis Mêrdîn (Mardin) ins türkische Parlament gewählt worden und schloss sich zwei Jahre später der DEP an, die er mitbegründet hatte. Zwei Tage vor seiner Ermordung war der DEP-Kreisvorsitzende Habib Kılıç in Êlih bei einem ebenfalls mutmaßlich staatlich gedeckten Angriff getötet worden. Sincar und weitere Abgeordnete reisten daraufhin aus Ankara an, um die Vorfälle zu untersuchen. Nur Stunden später wurden sie selbst Opfer eines Anschlags.

Obwohl die Täter seit Jahren namentlich bekannt sind, ist eine umfassende juristische Aufarbeitung bis heute ausgeblieben. Aus Sicht der Angehörigen handelt es sich um ein bewusst verschlepptes Verfahren mit dem Ziel, eine Verjährung herbeizuführen und eine Strafverfolgung letztlich zu umgehen.