Die AKP und Erdoğan sind in höchster Bedrängnis. Die Partei erlebt einen Auflösungsprozess, der mit den Kommunalwahlen vom 31. März beschleunigt wurde. Durch die Strategie der wirklichen Oppositionspartei HDP hat die AKP hohe Verluste erlitten. Anschließend erklärte der AKP-Politiker Ali Babacan seinen Parteiaustritt und kündigte die Gründung einer neuen Partei an. Babacan ist ehemaliger Außenminister und bewegt sich zusammen mit dem ehemaligen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoğlu und dem ehemaligen Staatspräsidenten Abdullah Gül. Innerhalb der AKP brodelt es.
Das Ende der AKP und die Lüge vom Sieg über die Kurden
Erdoğans Syrien-Politik verfolgt das Ziel eines Kalifats, in dem die Kurden keinerlei Rechte haben. Idlib ist zur größten Niederlage seiner Außenpolitik geworden. Bisher wollte er der Öffentlichkeit weismachen, dass seine Syrien-Politik noch irgendwo Bestand hat. Um die Niederlage in Idlib zu vertuschen, flüchtete er in die ständige Beteuerung, Rojava vollständig zu besetzen. Er ließ Truppen an der Grenze auffahren und stieß eine Drohung nach der anderen aus. Es zeigte sich jedoch, dass sein Plan nicht so einfach umzusetzen ist. Die Syrien-Politik, die für innenpolitische Zwecke benutzt wurde, ist mit Idlib vollständig gescheitert. Dadurch ist Erdoğans Politik auf dem Nullpunkt angelangt.
Neben Rojava und Idlib ist die geplante Besatzung der Guerillagebiete in Südkurdistan ein dritter und vielleicht der wichtigste Punkt, der misslungen ist. Im Mai begann die Invasion in Xakurkê, im August in Heftanin. Am 30. August erklärte Erdoğan, der August sei ein Monat voller Siege und in kurzer Zeit werde es weitere Siegesbotschaften geben. Damit signalisierte er den Beginn der Operation „Kralle 3“. Zwei Tage später verkündete Verteidigungsminister Hulusi Akar den Beginn der Besatzungsoperation. Bereits am ersten Tag der Angriffe kam jedoch eine große Anzahl Soldaten bei Gegenangriffen der Guerilla ums Leben. Noch vor Ablauf der ersten Woche holte die Guerilla zum zweiten großen Schlag aus. Die Operation „Kralle 3“, mit der der große Sieg errungen werden sollte, kam keinen Kilometer weit. Aus diesem Grund wurden nach den erfolgreichen Guerillaaktionen weder der Name „Kralle 3“ noch das Wort „Sieg“ mehr in den Mund genommen. Um dieses Scheitern zu vertuschen, wurden schließlich gewählte Politikerinnen und Politiker im Inland ins Visier genommen.
Politischer Anschlag auf kurdische Rathäuser
Die Spezialkriegsmannschaft der AKP führte einen politischen Putsch in den Rathäusern der Provinzhauptstädte Amed (Diyarbakir), Mêrdîn (Mardin) und Wan (Van) durch, um den eigenen Absturz aufzuhalten. Damit sollte die öffentliche Aufmerksamkeit auf ein anderes Thema gelenkt und die eigene Schwäche getarnt werden. Die Menschen in den betroffenen Städten, die kurdische Bevölkerung sowie demokratische, revolutionäre und sogar sozialdemokratische Kreise in der Türkei reagierten jedoch mit entschiedenem Widerspruch gegen die Missachtung des Wählerwillens. Auf den Straßen wurde protestiert und fast alle zivilgesellschaftlichen Einrichtungen in der Türkei verurteilten das Vorgehen. Als der Protest an der CHP-Basis immer lauter wurde, musste auch der Parteivorsitzende Kemal Kılıçdaroğlu reagieren.
Auch die USA und die EU protestierten, wenngleich auch nur schwach. Alles zusammen brachte die AKP in noch größere Bedrängnis.
MIT-Szenario geht nicht auf
Die AKP, die mit der MHP eine faschistische Diktatur errichtet hat, hat sich bisher immer aus der Sackgasse zu befreien versucht, indem sie gegen die Kurden vorgegangen ist. Erneut will sie jetzt die öffentliche Aufmerksamkeit auf ein anderes Thema lenken. Das versuchte sie über die gleichgeschalteten Mainstream-Medien. Als sich die öffentliche Meinung nicht ausreichend manipulieren ließ, trat der türkische Geheimdienst MIT auf den Plan.
Wenn der MIT die Aufmerksamkeit von einem Thema ablenken will, lässt er manchmal eine Bombe explodieren. Manchmal bringt er schmutzige politische Intrigen ins Spiel, um die Tagesordnung zu ändern.
Seit einigen Tagen sind einige Familien dazu gebracht worden, einen Sitzstreik vor der HDP-Zentrale in Amed durchzuführen. Vor diesen Familien tauchte Mitte August eine Frau namens Hacire Akar vor dem Gebäude auf und behauptete, ihr Sohn Mehmet Akar sei von der HDP zur Guerilla in die Berge verschleppt worden. Einige Tage später meldete sich Mehmet Akar selbst zu Wort und erklärte, dass er nicht entführt wurde. Vielmehr habe er sein Elternhaus verlassen, weil er gegen seinen Willen verheiratet werden sollte. Er sei nicht in die Berge gebracht worden. Später erklärte er außerdem, dass seine Mutter vom MIT manipuliert worden sei.
Dass es sich um eine Machenschaft der AKP und des MIT handelt, wird auch an den Unterstützern der Familien deutlich, die vor die HDP-Zentrale geschickt worden sind. Den Familien wurde von der Polizei Essen gebracht. Als das öffentlich wurde, teilte Okan Tosun als Vorsitzender des Vereins ANDA mit, die Hilfe werde von seinem Verein geleistet. Recherchen über Tosun ergeben jedoch, dass er zweiter Vorsitzender der MIT-Abteilung für „Sonderaufgaben“ ist. Er ist bekannt als eine der Personen, die in Syrien und Südkurdistan tätig sind.
Wer Tosun ist, schildern am besten seine Arbeitskollegen vom MIT. In dem veröffentlichten Teil der Aussagen von zwei MIT-Funktionären, die von der kurdischen Befreiungsbewegung 2018 in der Nähe von Silêmanî festgenommen wurden, finden sich Berichte über seine Identität und seine Tätigkeiten.
Inszenierung zur Vorbereitung eines Verbots der HDP
Ein ähnliches Szenario fand auch in der Amtszeit von Gültan Kışanak und Fırat Anlı als Oberbürgermeister*innen von Amed statt. Damals fanden sich einige Familien mit einem ähnlichen Anliegen vor dem Rathaus ein. Kurze Zeit später wurde das Rathaus von einem Zwangsverwalter usurpiert. Dass die Familien jetzt zur HDP-Zentrale geschickt werden, lässt die Vermutung aufkommen, dass es sich diesmal um eine schmutzige Inszenierung zur Vorbereitung eines Verbots der HDP handelt.
Zweck der Angelegenheit ist somit einerseits ein Komplott für ein Parteiverbot. Auf der anderen Seite sollen die Kreise eingeschüchtert werden, die nach der Absetzung der gewählten Bürgermeister*innen begonnen haben, sich zusammen mit der HDP zu bewegen. Die AKP-Mauer der Angst ist jedoch inzwischen eingestürzt.