Andok: Die Strategie der HDP ist richtig

„In den kurdischen Regionen die Zwangsverwalter und im Westen die AKP stürzen“ – so lautet die Doppelstrategie der HDP für die Kommunalwahlen Ende März. Xebat Andok (KCK) erklärt im ANF-Gespräch, warum diese Strategie die richtige ist.

Am 31. März finden in der Türkei Kommunalwahlen statt. Erdoğans AKP und die ultranationalistische MHP werden unter dem Namen „Volksallianz“ in einigen kritischen Metropolen gemeinsam antreten. In der Oppositionsfront hingegen haben sich die CHP und die Iyi Parti unter dem Namen „Bündnis der Nation“ zusammengeschlossen.

Die Demokratische Partei der Völker (Halkların Demokratik Partisi, HDP) wird mit einer Doppelstrategie in die Wahlen ziehen: ‚In den kurdischen Regionen die Zwangsverwalter und im Westen die AKP stürzen‘. Xebat Andok, Mitglied im Exekutivrat der Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK) beantwortete im Gespräch mit ANF Fragen zur Bedeutung der Wahlen, zur Haltung der „Opposition“ und der Wahlstrategie der HDP. Andok erklärte, dass die beiden zentralen Motive der HDP - alle von Treuhändern besetzten Stadtverwaltungen in Kurdistan zurückzuerobern und die AKP-MHP in der Türkei zurückzudrängen - richtig seien und sagte: „Das Geraubte zurückzuholen, das rassenfanatische Regime aus Kurdistan zu werfen und in der Türkei - aber auch in Orten in Kurdistan, in denen keine Mehrheit gewonnen werden kann - der faschistischen Regierung eine Niederlage beizubringen und sich auf jede mögliche Weise für den Sturz der Regierung zu engagieren, ist eine richtige Strategie.“ Andok wies auch darauf hin, dass der Zusammenhalt zwischen MHP und AKP nicht ewig sein werde und sich gegen die Natur beider Parteien richte. Er unterstrich: „Die Regierung, der das Wasser bis zum Hals steht, wird sich solange sie existiert im Krieg gegen die Bevölkerung befinden und zum Faschismus greifen. Es gibt keinen anderen Weg, als den rassenfanatischen, faschistischen AKP-MHP-Block zu besiegen“.

Am 31. März finden Regionalwahlen statt. Wie sind die Bedingungen für die Wahlen in einem Klima, in dem Krieg und Repression herrschen? Inwiefern ist in diesem Kontext überhaupt eine Wahl möglich?

Ja, wenn wir die Situation betrachten, dann sieht das Klima eher nach Krieg als nach Wahlen aus. Anders ist es auch nicht möglich, denn die Regierung befindet sich im Krieg mit der Gesellschaft. Weil es sich um eine faschistische Regierung handelt, die jeden, der nicht wie sie denkt, um jeden Preis unterwerfen will, ist jeder Moment wie im Krieg. Daher ist es natürlich nicht möglich, unter solch faschistischen Bedingungen eine normale Wahl durchzuführen.

Normale Wahlen benötigen gleiche Ausgangsbedingungen, die Möglichkeit, in Frieden Wahlkampf zu führen, in Freiheit zu arbeiten, seine Meinung zu sagen und sich zu organisieren. In der Türkei, in der bisher keine Normalisierung stattgefunden hat, waren Wahlen immer schon problematisch, aber vor allem unter der Herrschaft der AKP-MHP-Regierung sind es eigentlich gar keine Wahlen mehr.

Nach dem großen Erfolg der HDP am 7. Juni 2015, mit dem die AKP ihre Alleinherrschaft verlor, hat die AKP-MHP-Regierung einen Putsch durchgeführt. Sie hat die Wahlergebnisse vom 7. Juni nicht anerkannt. Die Wahlergebnisse vom 1. November 2015 sind vor diesem Hintergrund zustande gekommen. Der Zustand, in den das Land seither versinkt, liegt offen vor aller Augen. Seit diesem Tag waren alle Wahlen oder Referenden eigentlich Teil der Putschpraxis. Man versuchte, die gewünschten Ergebnisse mit Gewalt, Druck, Betrug, Zwang und Unruhe herbeizuführen. Wenn wir uns die ganzen Wahlergebnisse seitdem anschauen, dann sind sie alle hochumstritten. Jeder weiß genau, dass sich die Regierung mit Betrug, Gewalt, Druck und Drohungen an der Macht hält. Wenn man bei diesen Wahlen die falschen Anmeldungen, Löschungen der Wahlregister und die Hortung von Stimmzetteln sowie die Betrugsversuche betrachtet, dann haben sie bereits jetzt ein Ausmaß erreicht, das man bei vorrangegangenen Wahlen vergeblich sucht. Daher ist es kaum möglich, das Bevorstehende als Wahl zu bezeichnen.

Wenn dem so ist, warum nehmen dann die oppositionellen Parteien an den Wahlen teil. Wäre ein Boykott nicht angebrachter?

Sie könnten die Wahl boykottieren, aber dazu braucht es eine echte Opposition. Gesetzt den Fall, alle Parteien hätten gesagt, dass unter diesen repressiven Bedingungen keine sinnvollen Wahlen möglich sind und sich von den Wahlen zurückgezogen; dann wäre das Ergebnis von Wahlen, an denen nur die AKP und MHP teilnehmen, nichtig. Aber leider sind die Oppositionsparteien in der Türkei nur dem Namen nach oppositionell. Sie bezeichnen sich so, da sie für gewöhnlich eher weniger Stimmen bekommen. Doch das, was Parteien oppositionell macht, sind ihre Programme und ihre Aktionen. Das sehen wir bei keiner anderen „Oppositionspartei“ als bei der HDP. Allen anderen liegt die monistische Mentalität des nationalstaatlichen Paradigmas zu Grunde. Das hindert sie daran, als Oppositionsparteien zu agieren, sie bewegen sich vollkommen in einer staatsfixierten Logik. So herrscht unter den Oppositionsparteien keine Einheit und sie fühlen sich dazu verpflichtet, an diesen Wahlen, die eigentlich gar keine sind, teilzunehmen.

Warum messen AKP und MHP dann diesen Kommunalwahlen eine existenzielle Bedeutung zu? Sind sie wirklich so wichtig?

Die AKP-MHP-Regierung steckt tatsächlich in einer existenziellen Krise. Beide Parteien fürchten um ihre Macht. Im Grunde haben sie bereits am 7. Juni verloren und befinden sich seitdem nur durch Gewalt an der Macht. Diese beiden - insbesondere die AKP - sind Parteien, die dafür geschaffen sind, an der Macht zu bleiben. Eine AKP in der Opposition ist nicht einmal in der Lage, einen Gesetzentwurf zu schreiben. Sie weiß am besten, was ihr widerfährt, wenn sie von der Macht stürzt. Die AKP sagt das ja auch ganz offen. Der AKP-Bürgermeister von Afşin [Stadt und Landkreis in der Provinz Maraş, kurdisch: Gurgum] hat erklärt, man werde ihnen ins Genick schießen, sollte die AKP unter 52 Prozent fallen. Der MHP-Chef Devlet Bahçeli sagte, dass aktuelle Regime wäre umstritten, wenn man die drei Großstädte Ankara, İstanbul und İzmir verliert. Er sagte auch, dass wenn die Kurden die geraubten Stadtverwaltungen in Kurdistan zurückholen, dies ihrer Forderung nach demokratischer Autonomie entspreche. All das würde eine Überlebensfrage darstellen. Ja, so ist die Lage und das sind ihre großen Ängste. Es ist richtig, das stellt eine Überlebensfrage für ein Land unter der AKP-MHP-Herrschaft dar, aber eine Überlebensgarantie für ein Land ohne sie. Deshalb ist die Überlebensfrage eigentlich die Angst um ihre eigene Existenz. Diese Wahlen haben für die AKP/MHP eine sehr große Bedeutung.

In ihrem Krieg gegen die Gesellschaft wollen sie, dass bei diesen Wahlen mit Gewalt, Betrug und Repression ein Ergebnis herauskommt, das dem Schutz ihrer Machtposition nützt. So wollen sie ermöglichen, ihr Leben an der Macht um eine weitere Periode zu verlängern. Es gibt jedoch keine Zukunft für diese Regierung, diese Haltung und diese Praxis. Sie ist mittlerweile so eingeschränkt, dass praktisch niemand mehr um sie herum existiert. Wenn Repression, Gewalt, Unterwerfung zum Grundprinzip wird, dann ist es nicht mehr möglich, ein großes Spektrum zu erreichen und inklusiv zu wirken. Dafür ist die MHP sowieso bekannt, als rassistische und faschistische Partei ist sie schon aus sich heraus gar nicht in der Lage, inklusiv zu wirken. Die AKP von heute ist auch nicht mehr die alte AKP, von ihren Aussagen in der Vergangenheit existieren nicht mehr die geringsten Überreste. In der aktuellen Lage ist sie zu einer MHP geworden und wird praktisch auch von der MHP geleitet. Aus diesem Grund zu glauben, diese Struktur hätte ein langes Leben, ist widersinnig. Ihnen steht das Wasser bis zum Hals, ihnen bleibt nichts mehr zu tun. Diese Herrschaft wird mit jedem Tag, der verstreicht faschistisch, rassenfanatisch und im Krieg gegen die Gesellschaft bleiben.

Schauen wir uns die Opposition an. Ich frage unter Berücksichtigung Ihres Kommentars zur Opposition; Wie betrachten Sie die Arbeit der Opposition gegen diese Doppelherrschaft?

Wie ich schon gesagt habe, können die Parteien jenseits der HDP aufgrund ihrer Haltung und ihren Programmen nicht als oppositionelle Parteien bezeichnet werden. Dennoch haben auch sie ihre Interessen, gründen Allianzen und wollen erfolgreich sein. Es ist offensichtlich, dass sie dies begehren. Natürlich hat das auch eine gewisse Bedeutung. Die Amtsgewalt und die Macht in einer Hand zu konzentrieren, hat schon immer für Probleme gesorgt. Die Befugnisse des parlamentarischen Systems und die Gewaltenteilung sind entscheidende Grundkriterien. Der AKP-MHP-Faschismus passt nicht zur parlamentarischen Tradition, so will er ja auch das Regime verändern und einen absoluten Faschismus institutionalisieren. Dies birgt ernsthafte Gefahren für den Staat. In diesem Sinne ist es wichtig, dass auch die anderen etatistischen Parteien, innerhalb des Staates und außerhalb des AKP-MHP-Blocks verschiedene Kraft- und Machtzentren bilden. Wenn diese Parteien gegenüber der faschistischen AKP-MHP-Allianz stärker werden, dann bedeutet das ebenso, dass der AKP-MHP-Block schwächer wird. Aus diesem Grund es wichtig, für die Möglichkeit eines Machtkampfs zwischen den etatistischen Parteien der Bildung von verschiedenen Machtkernen Bedeutung beizumessen.

Wo steht die HDP an diesem Punkt, was versucht sie zu tun?

Natürlich ist es schwer, die HDP zu sein. Leider hängt die Überwindung aller Probleme der Demokratisierung in der Türkei, wenn man den Ausdruck verwenden möchte, am Kampf der HDP. Es wäre wünschenswert, dass auch die anderen Parteien gesellschaftsorientiert sein könnten, statt etatistisch zu sein. Sie sind es aber nicht, und daran lässt sich nichts ändern. Niemand kann der Mission, die einem die Geschichte aufbürdet, entfliehen, jeder muss das tun, was ihm zufällt.  So weit wir das beobachten können, versucht sich die HDP in diesem Bewusstsein und mit dieser Verantwortung zu bewegen. In einer sehr passenden Art und Weise hat sie erklärt, dass es ihre Strategie ist, die geraubten Stadtverwaltungen in Kurdistan zurückzuholen, weitere zu gewinnen und auch in der Türkei die AKP-MHP zum Scheitern zu bringen. Alles daran zu setzen, das Geraubte zurückzuholen, das rassenfanatische Regime aus Kurdistan zu werfen und in den Orten in der gesamten Türkei oder denjenigen, die in Kurdistan nicht zu gewinnen sind, der faschistischen Regierung eine Niederlage beizubringen, das ist eine richtige Strategie. 

Aber es gibt es auch Kritiken an dieser Strategie…

In welchem Sinne, was für Kritiken?

Zum Beispiel gab es negative Reaktionen auf das Kurdistan-Bündnis

Ich glaube nicht, dass es unter der kurdischen Bevölkerung eine negative Haltung gegenüber einer kurdischen Allianz gibt. Sie hat die Zersplitterung der Kurd*innen erlebt und weiß nur zu genau, was es bedeutet keine Einheit zu schaffen. Die Kurd*innen wissen, dass dies der eigentliche Grund für ihr Leid ist. Deswegen ist eine kurdische Allianz der Wunsch aller patriotischen Kurd*innen. So war es auch, als das Wahlbündnis bekanntgegeben wurde. Es gab große Freude und Erwartungen. Was kann es Passenderes geben, als wenn sich die Kurd*innen gemeinsam gegen den Kolonialismus stellen? Man muss der HDP zu diesem Erfolg gratulieren. Aber es gab ernsthafte Kritiken an Parteien, die dieser Allianz ferngeblieben sind. Es ist wirklich so, dass sich diese Parteien nicht entsprechend den Erwartungen der Bevölkerung an sie verhalten haben. Wenn die politischen Parteien in Nordkurdistan zusammenkommen und sich vereinen, dann ist es unvermeidbar eine gemeinsame Haltung gegenüber dem Kolonialismus an den Tag zu legen. Für diejenigen, die sich dem Bündnis nicht angeschlossen haben, ist ihre Überwindung unvermeidlich, dal sie sich entgegen den Forderungen und den Bedürfnissen der Bevölkerung verhalten haben. Wenn es auch in diesem Rahmen Unzulänglichkeiten gibt, so ist es doch wichtig, der Allianz auch auf einer strategischen Ebene Bedeutung beizumessen. Alle Diskurse und Handlungen sollten darauf abzielen, diese Allianz zu stärken und zu verstetigen. Die Köpfe müssen dafür arbeiten und die Worte müssen dafürsprechen. Handlungen und Haltung jenseits davon können nicht den kurdischen Interessen dienen.

In dieser Phase gab es ohne Zweifel auch Fehler, die Diskussionen resultierten vor allem daraus.

Was waren diese Fehler und konnten sie überwunden werden?

Die Kandidat*innen, die von den Parteien der Allianz aufgestellt werden, sollten solche sein, die den Werten der Bevölkerung keinen Schaden zugefügt, sie nicht angegriffen haben und auch den geleisteten Kampf respektieren. Alles in allem haben wir gesehen, dass darauf große Rücksicht genommen worden ist. Es kann ja auch nicht sein, dass echte Patriot*innen, die das Volk respektieren, von der Bevölkerung nicht akzeptiert werden. Aber in Çinar [Landkreis in Amed] war das eben nicht so.

Was war in Çinar?

Die Person, die in Çinar als Kandidat vorgestellt wurde, ist nicht jemand, der im Geiste der Allianz gehandelt oder auf die Sensibilitäten der Bevölkerung Rücksicht genommen hätte. Aus diesem Grund haben große Teile der Bevölkerung erklärt, dass sie dieser Person keine Stimme geben werden und gefordert, dass der Kandidat ausgetauscht wird. Es ist wichtig, hier nicht das Kind mit dem Bade auszuschütten. Um diese historische Allianz zu entwickeln, zu vergrößern und zu verstetigen ist es elementar, die Sensibilitäten der Bevölkerung zu beobachten. Bei diesem Thema wurde bedacht gehandelt. Das erkennen wir und finden es sehr zufriedenstellend.

Wer will, dass keine Kurdistan-Allianz zustande kommt?

An erster Stelle derjenigen, die diese Allianz nicht wollen, kommt das rassenfanatische Faschistenregime. Es will die Allianz nicht nur nicht im Norden, sondern nirgendwo in Kurdistan. Das Regime will sich immer oben halten, indem es die Kurd*innen gegeneinander ausspielt. Während die AKP/MHP Efrîn entkurdisieren, holen sie irgendwelche Personen, die sie als „Kurden“ bezeichnen, an ihre Seite. Sie tun alles um die PDK, die YNK und wenn sie können auch die anderen gegen die kurdische Freiheitsbewegung zu benutzen, sie gegen sie kämpfen zu lassen. Sie holen sich „Kurden“ an die Seite, um der Vernichtung der freien Kurd*innen den Anstrich von Legitimität zu verleihen. Was kann es denn für einen besseren Dienst dafür geben, um die Kurd*innen als ganzes vom Kolonialismus zu befreien? Wenn ich zusammenfasse, die Allianz im Norden ist von strategischem Wert, sie ist sehr nutzbringend. Auch wenn es Schwierigkeiten gibt und es Zeit braucht, bis alles richtig zusammenläuft, so ist das doch ein sehr notwendiges und sinnvolles Unterfangen. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass unser Volk und seine Freund*innen eine Haltung an den Tag legen, diese Allianz nicht in Schwierigkeiten zu stürzen, sondern sie zu stärken.

An der Türkeifront wird eine eigene Strategie verfolgt. So werden zum Beispiel in manchen Kreisen keine Kandidat*innen aufgestellt. Wie bewerten Sie das?

Soweit ich das beobachten konnte, ist das alles immer noch nicht hundertprozentig geklärt und offiziell bekannt gegeben. Es ist nicht richtig, auf der Grundlage von unvollständigen Informationen große Kommentare abzugeben, aber nach den Erklärungen der Verantwortlichen kann man ein paar Dinge klarstellen. Schließlich handelt es sich um eine Kommunalwahl und wenn man nicht die ausreichenden Stimmen erhält, verliert man. Sie sind im Krieg, auch wenn Sie eine politische Partei sind, sollen Sie durch Krieg vernichtet werden und als HDP vertritt man gemeinsam mit den demokratischen Kräften der Türkei das kurdische Volk. Deshalb gibt es für die HDP nichts Natürlicheres, als sie alle zu beobachten, sich zu positionieren, sich auf die Suche nach Alliierten zu begeben. Soweit wir es beobachten konnten, treten an jedem Ort, an dem gewonnen werden kann, eigene Kandidat*innen zu den Wahlen an. Auch für die Mitgliedschaften in den Stadträten wird im eigenen Namen angetreten. Aber an den Orten, wo man davon ausgeht, dass man die Stadtverwaltung nicht gewinnen wird und die Stimmen somit verloren gehen, tritt man - um in dieser Phase den AKP-MHP-Faschismus zu besiegen - mit jenen in einen Dialog, die dort die Herrschaft der Faschisten brechen können und alliiert sich mit ihnen. Das ist aus unserer Sicht kein Fehler. Es ist deutlich geworden, dass man diesen Weg vor allem in Großstädten gehen kann, wo die Aussicht auf einen Sieg weniger als gering ist. Natürlich haben die anderen Parteien auch für entsprechende Bündnisse gesorgt. Wenn es eine solche Unterstützung gibt, dann ist diese nicht blind, sie hat ein Ziel, nämlich die faschistische Regierung zu stürzen. Das ist der Kern dieser Bündnisse. Es gibt in der aktuellen Situation nichts Nützlicheres, um dem gewalttätigen AKP-MHP-Faschismus eine Niederlage beizubringen. Um dieses Land von dieser Regierung zu befreien, muss man die Steine etwas anders aufstellen.

Es gibt die Kritik „Die sind doch alle gleich“…

Es gibt solche Kritiker, aber dieser Ansatz ist sehr eingeschränkt, emotional und unpolitisch. Mit einem solchen Ansatz kann man nichts retten. Auch wenn diejenigen, die diesen Ansatz verfolgen behaupten, sie wären dagegen, so tragen sie doch unbewusst mit ihren Haltungen zur Verstetigung des AKP-MHP-Faschismus bei.

Warum?

Ich versuche es mal zu erklären; wenn die AKP-MHP jetzt in den drei großen Städten verliert, bedeutet dies, dass ihr eigenes faschistisches Regime, das dort an der Macht ist, umstritten sein wird. Das sagen sie selbst. Das zeigt, in welchem Zustand sie sich befinden. Wenn dem so ist, müssen ihnen ihre drei Städte genommen und ihre faschistische Einheit in Stücke geschlagen werden. Man sollte nicht sagen „Was geschieht, wenn“. Man muss sie zuallererst zerschlagen, dann kann man überlegen, was man machen wird. Wenn wir die Situation aufmerksam beobachten, erkennen wir, dass die MHP und die AKP am heftigsten darauf reagiert haben, dass die HDP in Ankara, İstanbul und İzmir keine Kandidat*innen aufstellt. Das zeigt, wie sehr sie dieser Ansatz in Schwierigkeiten bringt. Wer will nicht, dass die HDP in Kurdistan und der Türkei überall Kandidat*innen aufstellt, an der Wahl teilnimmt und gewinnt? Die humanistischste, demokratischste und gesellschaftsorientierteste Partei ist die HDP und sie hätte das am meisten verdient. Aber es ist nicht alles so, wie sich der Mensch es sich wünscht oder wie seine Gefühle es verlangen. Wenn es so wäre, dann wären weder die Gesellschaft noch die Kurd*innen in der aktuellen Lage. Manche betrachten die HDP nur als Partei der Kurd*innen oder wollen sie so sehen.

Wessen Partei ist die HDP dann?

Man kann die HDP an ihrem Programm messen. Die HDP ist die Partei der ganzen Gesellschaft, der Kurd*innen eingeschlossen, sie ist die Partei aller Diversitäten. Das wurde zur Genüge gezeigt. Aus diesem Grund sollte niemand versuchen, der HDP andere Dinge unterzuschieben. Insbesondere der türkische Kolonialismus will, dass die HDP nur die Partei der Kurd*innen ist und dass die HDP auch nur die Partei einer bestimmten kurdischen Schicht ist. Denn je isolierter die Kurd*innen sind, desto schwächer sind sie. Dass die HDP eine Partei für die ganze Türkei ist, wird als Tod des Kolonialismus angesehen. Die ganzen Kriminalisierungsbemühungen und die Angriffe fußen auf dieser Tatsache. Aus diesem Grund ist es wichtig, in jeder Lage die Haltung zu unterstützen, wonach die HDP eine Partei der Türkei ist. Es ist notwendig, das richtig zu begreifen.

Was ist dann der Grund für diese gnadenlosen Kritiken, woher kommen sie?

Es ist richtig, man fragt sich schon, wer hinter diesen kaltherzigen Kritiken steht. Die Menschen, die an unserem Kampf teilnehmen, die einen Preis gezahlt haben und zueinander in Freundschaft stehen, machen so etwas nicht. Wenn es nicht vom Feind durchgeführt wird, dann handelt es sich um Bewertungen, die bei weitem den Rahmen sprengen. Es ist wichtig im Kopf zu behalten, dass diese Sichtweisen nicht verbreitet sind. Es handelt sich wohl um Leute, die meinen, über die sozialen Medien mit Tweets die Welt verändern zu können. Menschen, die nicht bereit sind, ihre Identität Preis zu geben. Es sieht so aus, als werde dies bewusst gemacht, um die HDP zu diffamieren. Es gibt sicher auch solche, die keine üblen Absichten haben und einfach aus Unverstand emotionale Reaktionen abgegeben. Aber die Intensität der Angriffe lässt dahinter andere Dinge vermuten.

Es gibt auch solche, die von sich sagen, sie seien HDP‘ler…

In der Tradition der HDP und unter denen, die ihr wirklich ihre Stimme geben, gibt es keine Diffamierung unter dem Deckmantel der Kritik, keine Destruktivität. Diejenigen, die sich auf diese Kultur stützen, die sich mit der Partei, in deren Entwicklung große Opfer gebracht worden sind, identifizieren, kritisieren so, wie sie sich selbst kritisieren. Sie tragen ihre Perspektiven zur Stärkung und Entwicklung bei und kritisieren dementsprechend. Sie beleidigen und beschimpfen nicht, sie sind nicht destruktiv oder ungerecht. Sie verhalten sich gerecht und angemessen. Es ist klar, dass sich unser Volk, das ein großes Bewusstsein entwickelt hat, geduldig verhält und sich mit seiner Partei, seinen Werten des Widerstands zusammengeschlossen hat. Diese Wärme, die Identifikation der Bevölkerung mit der HDP ist jetzt im beginnenden Wahlkampf sichtbar.

Was sollten das Volk und die demokratischen Kräfte ab heute machen?

Die Bevölkerung und alle demokratischen Kräfte sollten sich nicht an solchen schwächenden Diskussionen beteiligen und aufmerksam gegenüber Diffamierungen und Angriffen sein. Man muss die inneren Schwierigkeiten hinter sich lassen und sich um die Kandidat*innen zusammenschließen. Die geraubten Stadtverwaltungen in Kurdistan müssen zurückgeholt, neue hinzugefegt und in den anderen Orten dem AKP-MHP-Faschismus eine Niederlage beigebracht werden. Dafür muss in allen Bereichen mobilisiert werden.