Konflikt um Bergkarabach: Armenien ruft Kriegszustand aus
Der Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan spitzt sich nach Kämpfen in der Region Bergkarabach erneut zu. Nun hat Eriwan den Kriegszustand ausgerufen.
Der Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan spitzt sich nach Kämpfen in der Region Bergkarabach erneut zu. Nun hat Eriwan den Kriegszustand ausgerufen.
Armenien hat nach Kämpfen mit dem Nachbarland Aserbaidschan in der südkaukasischen Konfliktregion Bergkarabach (Arzach) den Kriegszustand ausgerufen. Das teilte Regierungschef Nikol Paschinjan am Sonntag in Eriwan mit. In einem Post auf Facebook verkündete der Präsident zudem die Generalmobilmachung. Er rief seine Landsleute auf, sich für die Verteidigung der „Heimat” bereitzuhalten.
Zuvor habe die aserbaidschanische Armee am frühen Sonntagmorgen zivile Siedlungen in der mehrheitlich von Armeniern bewohnten Region Bergkarabach bombardiert, meldete das armenische Verteidigungsministerium. Die Hauptstadt Stepanakert sei ebenfalls beschossen worden. Zahlreiche Häuser und Dörfer sollen zerstört sein. Nach Angaben beider Seiten wurden bei den Kämpfen auch Zivilisten getötet. Die Menschen sollten sich in Sicherheit bringen, teilten die lokalen Behörden in Bergkarabach mit. Sie hatten bereits das Kriegsrecht verhängt. Nach Darstellung aus Baku und Eriwan dauern die Kämpfe an.
Gegenseitige Schuldzuweisungen
Beide Seiten gaben sich gegenseitig die Schuld für die Gefechte. Der Beschuss habe am frühen Morgen von aserbaidschanischer Seite begonnen, schrieb Paschinjan auf Facebook. „Die gesamte Verantwortung dafür hat die militärpolitische Führung Aserbaidschans”, teilte die Sprecherin des armenischen Verteidigungsministeriums mit. Eriwan habe mehrere Hubschrauber und Kampfdrohnen abgeschossen, zudem seien drei gegnerische Panzer getroffen worden. Baku dementierte dies und betonte, es handele sich bei den Gefechten um eine Gegenoffensive an der Frontlinie. Armenien habe die Kämpfe provoziert. Bergkarabach teilte mit, die Aggressionen gingen zunächst von Aserbaidschan aus. Bereits im Juli kam es an der Grenze zwischen Armenien und Aserbaidschan zu schweren Gefechten, die Kämpfe lagen jedoch Hunderte Kilometer nördlich von Bergkarabach. Das russische Außenministerium rief beide Seiten auf, das Feuer sofort einzustellen. Zudem sollten Baku und Eriwan Gespräche aufnehmen, um die Situation zu stabilisieren. Armenien setzt auf Russland als Schutzmacht, die dort Tausende Soldaten und Waffen stationiert hat.
Neue Kämpfe nach Verlegung von Dschihadisten aus Syrien
Die neue Eskalation zwischen den beiden Kaukasusrepubliken folgt den Meldungen, wonach die Türkei dschihadistische Söldner aus Syrien nach Aserbaidschan bringe, um sie gegen Armenien und Bergkarabach einzusetzen. Wie die Nachrichtenagentur ANHA jüngst unter Berufung auf Quellen in Efrîn meldete, seien Anfang der Woche fünfzig Mitglieder der islamistischen Sultan-Murad-Brigade nach Aserbaidschan geschickt worden. Von 40 Söldnern sei die Identität aufgedeckt worden. Die Namen und Fotos wurden von ANHA veröffentlicht.
Offenbar werden auch weitere Dschihadisten auf einen Einsatz in Aserbaidschan vorbereitet. Dabei soll es sich um 150 Personen aus den Strukturen der vom türkischen Besatzungsregime aufgebauten „Militärpolizei“ handeln. Bereits im August hatte es Meldungen gegeben, nach denen der türkische Staat mindesten 275 Dschihadisten nach Aserbaidschan entsendet habe.
Der alte Konflikt um Bergkarabach
Unter sowjetischer Herrschaft wurde die hauptsächlich von Armenier*innen bewohnte Region Aserbaidschan zugeschlagen. Durch den Zerfall der UdSSR erklärte sich Bergkarabach am 2. September 1991 per Volksentscheid für unabhängig, wurde jedoch international nicht anerkannt. Baku reagierte mit einer Blockade der Region und versuchte die Kontrolle mit militärischen Mitteln zurückzugewinnen. Daraufhin griff Armenien mit russischer Unterstützung ein und besetzte ca. 14 Prozent des Territoriums Aserbaidschans als Schutzzone. Einem dreijährigen Krieg und ca. 30.000 bis 50.000 Toten folgte im Mai 1994 ein seit jeher brüchiges Waffenstillstandsabkommen.
Neue Front im Stellvertreterkrieg zwischen Türkei und Russland?
Aserbaidschan gehört zur Einflusssphäre der Türkei und spielt im Rahmen der pantürkischen Pläne des AKP/MHP-Regimes eine wichtige Rolle. Insbesondere für die von panturkistischer Ideologie durchdrungene MHP (Graue Wölfe) stellen die „Turkstaaten“ die Grundlage für ein „Turan“ genanntes mythologisches türkisches Großreich dar. Die AKP unterstützt diese Position ebenfalls – vor allem aus neoosmanischer und panislamischer Perspektive. So stellte sich die Türkei umgehend an die Seite Aserbaidschans. Der Sprecher der Regierungspartei AKP, Ömer Çelik, verurteilte vehement „Armeniens Angriff auf Aserbaidschan“. Das sei eine weitere armenische Provokation, sein Land werde Aserbaidschan beistehen, sagte Çelik und fügte hinzu: „Armenien spielt mit dem Feuer und gefährdet den regionalen Frieden.“ Der türkische Präsidentensprecher Ibrahim Kalın warf Armenien vor, „mit einem Angriff auf zivile Siedlungen“ den Waffenstillstand verletzt zu haben.