Uruguays Ex-Präsident José „Pepe“ Mujica ist tot

José „Pepe“ Mujica, früherer Stadtguerillero und Präsident Uruguays, ist im Alter von 89 Jahren gestorben. Mit ihm geht eine der außergewöhnlichsten politischen Persönlichkeiten Lateinamerikas.

„Der Krieger hat das Recht, sich auszuruhen“

Uruguays ehemaliger Präsident José „Pepe“ Mujica ist am Donnerstag im Alter von 89 Jahren gestorben. „Mit tiefer Trauer verkünden wir den Tod unseres Kameraden Pepe Mujica“, schrieb der amtierende Staatschef Yamandú Orsi im Onlinedienst X.

Mujica hatte im Frühjahr 2024 bei einer Pressekonferenz bekannt gemacht, dass er an Speiseröhrenkrebs erkrankt war. Nun sei keine weitere Behandlung mehr möglich. „Warum? Weil ich ein alter Mann bin und weil ich zwei chronische Krankheiten habe. Für eine biochemische Behandlung oder eine Operation ist kein Raum, weil mein Körper das nicht mehr erträgt“, sagte Mujica im Interview mit der uruguayischen Wochenzeitung Búsqueda.

„Der Krieger hat das Recht, sich auszuruhen“

Er bitte nun darum in Ruhe gelassen und nicht mehr „zu Interviews oder sonst etwas“ aufgefordert zu werden. „Mein Zyklus ist vorbei. Offen gesagt, ich sterbe. Der Krieger hat das Recht, sich auszuruhen.“

Stadtguerillero und Gefangener der Junta

José Mujica wurde 1935 in Montevideo geboren und wuchs in bescheidenen Verhältnissen auf. Ende der 1960er Jahre gehörte er zu den Mitbegründer:innen der Stadtguerilla „Movimiento de Liberación Nacional – Tupamaros“, einer sozialistisch orientierten Bewegung, die in Reaktion auf soziale Ungleichheit, autoritäre Strukturen und internationale Einflussnahme zu bewaffnetem Widerstand griff. Er wurde mehrfach verhaftet. Von 1972 bis 1985 war er Gefangener der Militärdiktatur, die meiste Zeit in Isolationshaft und körperlicher Folter ausgesetzt.

Der „ärmste“ Präsident der Welt

Nach der Demokratisierung Uruguays engagierte sich Mujica in der 1989 gegründeten Partei Movimiento de Participación Popular (MPP), einem Teilbündnis der linken Frente Amplio (Breite Front). Er war Landwirtschaftsminister (2005–2008), Senator – und von 2010 bis 2015 schließlich Präsident der Republik Uruguay. Er galt als der „ärmste Präsident der Welt“, lebte auch in seiner Zeit als Staatschef in einem kleinen Bauernhaus am Rande der Hauptstadt Montevideo, fuhr einen klapprigen VW-Käfer und spendete den Großteil seines Gehalts an soziale Projekte.

Beispiel einer sozialliberalen Demokratie

Unter Mujica vollzog Uruguay einen tiefgreifenden sozialen Wandel. Die Regierung des einstigen Stadtguerilleros legalisierte als weltweit erste nicht nur gleichgeschlechtliche Ehen und Abtreibung, sondern auch den staatlich regulierten Verkauf von Cannabis – nicht als ideologische Provokation, sondern als Versuch, pragmatisch mit gesellschaftlicher Realität umzugehen. Das Land wurde zu einer der sozialliberalsten Demokratien der Welt – mit soliden Institutionen, einem der transparentesten Staatshaushalte Lateinamerikas und einer außergewöhnlich niedrigen Korruptionsrate. Mujica setzte auf Umverteilung, Bildungsreformen und ökologische Weichenstellungen, aber auch auf einen entideologisierten Pragmatismus, der nicht auf Parteipolitik, sondern auf Gemeinwohl abzielte.

„Leben lässt sich nicht kaufen“

Mujica war ein Politiker, der in einer Welt der Phrasen durch seine Einfachheit beeindruckte. Auf internationalen Bühnen sprach er nicht in diplomatischem Jargon, sondern mit einer Ehrlichkeit, die berührte. Seine Ansprache bei der 68. Generalversammlung der Vereinten Nationen am 24. September 2013, in der er den globalen Konsumismus, Umweltzerstörung und soziale Entfremdung kritisierte, gilt als legendär: „Wir haben Berge von überflüssigem Bedarf angehäuft. Ständig müssen wir kaufen, wegwerfen, kaufen... Es ist unser Leben, das wir verschwenden. Denn wenn wir etwas kaufen, bezahlen wir nicht mit Geld. Wir bezahlen mit unserer Lebenszeit, die wir aufwenden, um dieses Geld zu verdienen. Der Unterschied ist: Leben lässt sich nicht kaufen. Es vergeht einfach. Und es ist schrecklich, dein Leben zu verschwenden, indem du deine Freiheit verlierst.“

Solidarität mit den Samstagsmüttern

Mujicas politische Philosophie war zutiefst humanistisch. Er glaubte an eine Gesellschaft, in der Solidarität kein Schlagwort, sondern Lebensprinzip ist. 2015 reiste er auf Einladung der Republikanischen Volkspartei (CHP) zusammen mit seiner Ehepartnerin Lucía Topolansky in die Türkei. In Istanbul beteiligte er sich an einer Mahnwache der „Samstagsmütter“, die seit Jahrzehnten Aufklärung vom Staat über die Praxis des Verschwindenlassens fordern. Seine Skepsis gegenüber Macht, seine Fähigkeit zur Selbstkritik und sein tiefes Vertrauen in die Demokratie machten ihn zum Vorbild weit über Uruguay hinaus.

Die Welt verliert ein seltenes Vorbild

José Mujica starb, wie er lebte: unspektakulär. Doch seine Wirkung wird nachhallen – in der politischen Kultur Uruguays, in den Erinnerungen der sozialen Bewegungen Lateinamerikas, in den Gesprächen junger Menschen, die Politik nicht als Karrieremodell, sondern als Dienst an der Gesellschaft begreifen wollen. Er hat sein Land nicht nur regiert, sondern mit seiner Haltung geprägt. Sein Leben war ein Beweis dafür, dass Würde und Macht sich nicht ausschließen müssen. Uruguay verliert mit ihm einen früheren Präsidenten. Die Welt verliert mit ihm ein seltenes Vorbild.

Fotoquelle: Frente a Aratiri | Lizenz:CC BY-SA 2.0