Unvergessliche kurdische Politikerin
Hevrîn Xelef war Generalsekretärin der von einem basisdemokratischen Initiativprinzip geleiteten syrischen Zukunftspartei (Hizbul Suri Mustakbel) und Hoffnungsträgerin eines vielfältigen, demokratischen Syriens. Vor fünf Jahren, am 12. Oktober 2019, wurde die damals 34-Jährige im Zuge des Angriffskrieges der Türkei gegen die Autonomieregion Nord- und Ostsyrien zusammen mit ihrem Fahrer nahe Qamişlo ermordet. Mitglieder des sogenannten „Bataillon 123” der Dschihadistenmiliz „Ahrar al-Sharqiya“, die dem Proxy-Invasionskorps SNA („Syrische Nationale Armee”) angehört, zerrten Hevrîn Xelef aus ihrem Wagen und verstümmelten ihren Körper, bevor sie exekutiert wurde. Laut Obduktionsbericht wies die Leiche der Politikerin zahlreiche Verletzungen auf, darunter viele Schusswunden und Brüche an Beinen, Gesicht und Schädel. Ihre Kopfhaut war teilweise abgelöst, ihr wurden Haare ausgerissen.
Wir haben mit einer langjährigen Weggefährtin von Hevrîn Xelef gesprochen. Samira al-Aziz ist heute stellvertretende Ko-Vorsitzende der Zukunftspartei Syriens, die beiden Frauen lernten sich 2011 kurz vor der Revolution in Rojava kennen.
Hevrîn Xelef kam am 15. November 1984 im Dorf Rêhanik bei Dêrik zur Welt und studierte Bauingenieurswesen in Aleppo. Nach der Revolution vom 19. Juli 2012 arbeiteten beide Frauen in den Strukturen der Selbstverwaltung, berichtete Samira al-Aziz: „Hevrîn war zunächst im Energieausschuss tätig und ich im Bildungsausschuss. Zwischen 2015 und 2018 trafen wir uns daher häufig in gemeinsamen Gremien. Hevrîns Einfluss und Beitrag in diesen Strukturen war deutlich sichtbar. Sie machte konstruktive Vorschläge und trieb die Entwicklungen voran. Als Ko-Vorsitzende im Wirtschaftsausschuss der Region Cizîrê stieß sie Projekte für den ökonomischen Wohlstand der Bevölkerung an. Sie war zukunftsorientiert und wollte vor allem den Horizont von Frauen erweitern. Als Generalsekretärin der 2018 in Raqqa gegründeten Zukunftspartei wurde sie zu einer politischen und diplomatischen Vorreiterin für Gerechtigkeit und Gleichheit aller ethnischen Gruppen in Syrien. Sie war eine kurdische Politikerin, die die Revolution von Rojava verteidigte und viele Frauen zur politischen Arbeit motivierte. Dabei beschränkte sie sich nicht auf die kurdische Bevölkerung. Sie verfolgte Projekte, um die Völker zusammenzubringen. Deshalb suchte sie das Gespräch mit allen Bevölkerungsgruppen und war auch in engem Kontakt mit Vertretern arabischer Stämme. Sie war sich ihrer Verantwortung und Aufgabe bewusst und handelte mit entsprechender Sorgfalt und Weitblick. Ihr Umgang mit jungen Menschen und Frauen war sehr gut und liebevoll. Sie war ja selbst eine junge Frau und verstand es meisterhaft, ihrem Gegenüber ein Gefühl der Wertschätzung zu vermitteln. Ihre grausame Ermordung schmerzt heute noch genauso wie am ersten Tag. Sie glaubte an ein freies Zusammenleben der Menschen in Syrien und kämpfte bis zum letzten Moment dafür. Jetzt ist es unsere Aufgabe, ihren Kampf fortzusetzen. Frauen müssen sich organisieren, um eine führende Rolle für die Einheit Syriens zu spielen.“