Politischer Jahresrückblick aus Nord- und Ostsyrien

Die MSD-Vorsitzende Emine Omer analysiert die politischen Entwicklungen des vergangenen Jahres in Nord- und Ostsyrien und zählt die relevanten Daten auf.

Nord- und Ostsyrien stellt für das ganze Land und den gesamten Mittleren Osten einen Hoffnungsschimmer dar. 2018 haben wichtige Neuerungen und Entwicklungen stattgefunden. In diesem Jahr wurde die Autonomieverwaltung von Nord- und Ostsyrien ausgerufen. Der Demokratische Syrienrat (MSD) ist sowohl mit der demokratischen Opposition als auch mit dem Regime Syriens in einen Dialog getreten, um eine Lösung für die Krise im Land zu finden.

Emine Omar ist Ko-Vorsitzende des MSD und hat sich gegenüber ANF zu den politischen Entwicklungen im Jahr 2018 geäußert. Ihrer Ansicht nach stellt der MSD die einzige politische Kraft dar, die über ein Projekt für eine Lösung der Syrien-Krise verfügt. In 32 Prozent des syrischen Territoriums ist dieses Projekt bereits umgesetzt worden, jetzt gehe es darum, es auf ganz Syrien auszuweiten, sagt sie.

Militärische Gewinne

Ein Rückblick auf das Jahr 2018 zeige, dass auf militärischem Gebiet bestimmte Gewinne zu verzeichnen seien, auf politischem Gebiet könne man jedoch nicht davon sprechen, so Emine Omer: „Im Antiterrorkampf hat es wichtige militärische Fortschritte gegeben, aber in politischer Hinsicht sieht es schwieriger aus. Zum Beispiel ist der IS auf ein kleines Gebiet zurückgedrängt worden und das ist ein Gewinn. Dieser Fortschritt ist jedoch nicht in einen politischen Gewinn umgewandelt worden.“

Stellvertreterkrieg ist vorbei

Weiter erklärte die MSD-Vorsitzende: „Die in Syrien vertretenen Großmächte haben ihre eigenen Interessen immer vor die Interessen der Völker Syriens gestellt. Russland hat weiterhin das Regime unterstützt und eine Rolle dabei gespielt, dass das Regime viele Gebiete wieder unter Kontrolle bekommen konnte. Der Stellvertreterkrieg, der in den vorherigen Jahren stattgefunden hat, hat seinen Platz 2018 direkten Kämpfen überlassen.“

Die Ursachen des Syrien-Krieges bestehen weiter

„2018 war das Jahr der schmutzigen Verhandlungen in Syrien. Beispielsweise ist gegen Ost-Ghouta über Efrîn verhandelt worden. Gegen Dera wurde über den Abzug des Iran aus der Region verhandelt. Ein Blick auf das Land zeigt, dass das Regime viele Orte wieder beherrscht, aber ein Großteil ist über einen Handel zustande gekommen. Die politischen Probleme, die überhaupt erst zu dem Krieg in Syrien geführt haben, bestehen unverändert fort“, so Emine Omer.

„Die USA haben ihre Präsenz in Syrien bisher immer mit dem Kampf gegen den IS, der Eingrenzung des iranischen Einflusses und einer politischen Lösung zu legitimieren versucht. Der Kampf gegen den IS neigt sich dem Ende zu, aber die USA wollen jetzt eine neue Linie in Syrien aufziehen“, erklärte die MSD-Vorsitzende.

Verfassungs-Komitee

Zu der Diskussion über eine neue Verfassung Syriens sagte Emine Omer: „Dieser Vorschlag ist von Russland bei den Sotschi-Gesprächen hervorgebracht worden, aber seit einem Jahr gibt es zu diesem Thema keine Entwicklung. Nach wie vor gibt es kein Verfassungs-Komitee, weil alle Kräfte dieses Gremium nach eigenen Vorstellungen formen möchten. Als Ansprechpartner werden nicht diejenigen betrachtet, die vor Ort ein Preis gezahlt haben, sondern Personen von außen. Beispielsweise will die Türkei nicht, dass die Kurden in diesem Komitee vertreten sind und legt wie bei allen politischen Prozesses ständig ihr Veto ein.“

Humanitäre Krise in Syrien hält an

„In humanitärer Hinsicht ergibt sich in Syrien ein sehr schlechtes Bild“, erklärte Emine Omer: „Hunderttausende Menschen haben in Syrien ihr Leben verloren, Hunderttausende wurden verletzt, über sechs Millionen befinden sich als Flüchtlinge im Ausland. Über fünf Millionen sind Binnenflüchtlinge im Inland. Diese Menschen haben große wirtschaftliche Schwierigkeiten und können sich nicht mit den wesentlichen Grundbedürfnissen versorgen. Diese Probleme können nur politisch gelöst werden, aber bisher ist kein Schritt in diese Richtung unternommen worden.“

Befreiung von Efrîn hat Vorrang

„Am schlimmsten war für uns 2018 die Besatzung von Efrîn. Efrîn wurde vom türkischen Staat und terroristischen Elementen besetzt. Die Bevölkerung musste fliehen und lebt jetzt unter sehr schwierigen Bedingungen in Lagern. Für uns ist die Besatzung von Efrîn sehr hart. Als MSD hat die Befreiung von Efrîn bei allen Arbeiten Vorrang.“

Gespräche mit verschiedenen Seiten

Emine Omer verwies auf die Gespräche über eine Lösung der Syrien-Krise, die der MSD innerhalb dieses Jahres sowohl mit Regierungsvertretern als auch mit der demokratischen Opposition geführt hat: „Außerdem wurde die Autonomieverwaltung von Nord- und Ostsyrien gegründet. Auf dem Kongress des MSD sind der Aufgabenbereich und die Funktionsweise ausgeweitet worden. Es sind einige Schritte für eine Lösung der Syrien-Krise gesetzt worden. Zum Beispiel wurden Gespräche mit dem Regime geführt und es hat Zusammentreffen mit demokratischen Oppositionsgruppen aus Syrien gegeben. Es hat eine Auseinandersetzung stattgefunden. Als MSD sind wir davon überzeugt, dass die Lösung der Syrien-Krise politisch ist und nur in Syrien erreicht werden kann. Dass wir für Dialoge offen sind, haben wir immer in der Praxis zur Sprache gebracht.“

Das einzige Projekt für eine Lösung

„Wir sind die einzige Kraft, die über ein Projekt für eine Lösung der Syrien-Krise verfügt. Von diesem Projekt erzählen wir ständig und wir werden weiter daran arbeiten, es zu einem Projekt für ganz Syrien zu machen. Wir kontrollieren 32 Prozent des syrischen Territoriums und jeder kann sehen, wie demokratisch dieses Projekt realisiert wird. Es ist ein Projekt, das sich selbst bewiesen hat. Es muss auch auf internationaler Ebene stärker unterstützt werden. Daran arbeiten wir. Wir wollen mit unserer Politik an der Zukunft Syriens beteiligt werden. Diese Arbeit werden wir auch im kommenden Jahr fortsetzen“, so die MSD-Vorsitzende.

2018: Die diplomatischen und politischen Entwicklungen in Nord- und Ostsyrien

17. Januar: Eine Delegation des französischen Außenministeriums besucht Nord- und Ostsyrien.

20. Januar: Mit der Einigung zwischen dem türkischen Staat und Russland sowie dem stillschweigenden Einverständnis der USA beginnt unter Beteiligung dschihadistischer Milizen die türkische Militärinvasion in Efrîn.

25. Februar: Der außenpolitische Sprecher der PYD, Salih Muslim, wird in Tschechien festgenommen. Die Türkei will ihn in die Türkei verschleppen, Muslim wird jedoch am 27. Februar freigelassen.

18. März: Der türkische Staat und pro-türkische Milizen besetzen Efrîn.

27. März: Die Zukunftspartei Syriens wird gegründet. Zum Vorsitzenden wird Ibrahim Qeftan gewählt.

29. März: Eine Delegation der nordsyrischen Autonomieverwaltung trifft mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron zusammen.

4. April: Der russische Staatschef Wladimir Putin trifft mit seinem iranischen Amtskollegen Hassan Ruhani und dem türkischen Präsidenten Tayyip Erdoğan in Ankara zu Syrien-Gesprächen zusammen.

7. April: Die Miliz Jaish al-Islam in Duma beschuldigt die syrische Regierung, in Ost-Ghouta Chemiewaffen eingesetzt und damit hunderte Zivilisten getötet zu haben.

14. April: Die USA, Frankreich und England führen Raketenangriffe auf syrische Stützpunkte durch und berufen sich dabei auf den Einsatz von Chemiewaffen durch das Regime.

14.-15. April: Unter Beteiligung von Russland, der Türkei und Iran finden die neunten Astana-Gespräche statt.

25. Mai: Die US-Botschaft in der Türkei teilt mit, dass eine gemeinsame Arbeitsgruppe der USA und der Türkei in Ankara zusammengetroffen ist und sich auf eine Roadmap für Minbic verständigt hat.

28. Mai: Eine Delegation deutscher Abgeordneter besucht Nord- und Ostsyrien.

18.-21. Juni: Es findet eine Konferenz für die Befreiung Efrîns statt.

16. Juli: Der Demokratische Syrienrat (MSD) führt seinen dritten Kongress durch. Emine Omer und Riyad Derar werden als Ko-Vorsitzende gewählt.

18. Juli: In Eyn Isa findet auf Einladung des MSD ein Arbeitstreffen statt, mit dem der Dialog zwischen demokratischen Oppositionsgruppen gefördert werden soll.

30. Juli: Astana-10 findet in Sotschi statt.

26. August: Es beginnen Gespräche zwischen dem MSD und dem syrischen Regime über die Zukunft Syriens. Es finden zwei Gespräche statt, an denen Vertreter der Regierung, des Militärs und des Geheimdienstes teilnehmen. Zu konkreten Ergebnissen kommt es nicht.

27. August: Die Bewegung für eine demokratische Gesellschaft in Rojava (TEV-DEM) hält ihren dritten Kongress ab. Die internen Mechanismen werden geändert, zu Ko-Vorsitzenden werden Zelal Ceger und Xerîb Hiso gewählt.

6. September: Die Autonomieverwaltung Nord- und Ostsyrien wird ausgerufen. Siham Qeryo und Ferîd Etê werden zu Ko-Vorsitzenden gewählt. Innerhalb der Autonomieverwaltung gibt es einen Rat und neun Komitees auf Leitungsebene.

7. September: Putin, Ruhani und Erdoğan treffen zu Syrien-Beratungen in Teheran zusammen.

17. September: Putin und Erdoğan treffen sich ohne Ruhani in Sotschi.

1. November: Die USA und der türkische Staat beginnen gemeinsame Patrouillenfahrten zwischen Minbic (Manbidsch) und Dscharablus.

27. November: In Eyn Isa findet ein zweites Arbeitstreffen der demokratischen Opposition statt.

27. November: Putin, Macron, Merkel und Erdoğan beraten in Istanbul über Syrien.

28. November: Russland, Iran und die Türkei führen die elften Astana-Gespräche. Das Treffen, auf dem ein Verfassungs-Komitee für Syrien gegründet werden sollte, verläuft ergebnislos.

2.-4. Dezember: Ein internationales Forum zum Genozid und der demografischen Veränderung in Efrîn wird durchgeführt.

4. Dezember: Der US-Sondergesandte für Syrien, James Jeffrey, erklärt vor einem Türkei-Besuch: „Astana muss endlich der Stecker gezogen werden.“

19. Dezember: US-Präsident Donald Trump kündigt den Rückzug seiner Truppen aus Syrien an.