Erstes Interview mit Salih Muslim
Im Gespräch mit ANF bewertet Salih Muslim seine Festnahme in der tschechischen Hauptstadt Prag, die aufgrund eines türkischen Haftbefehls erfolgte.
Im Gespräch mit ANF bewertet Salih Muslim seine Festnahme in der tschechischen Hauptstadt Prag, die aufgrund eines türkischen Haftbefehls erfolgte.
Salih Muslim, ehemaliger Ko-Vorsitzender der PYD (Partei der demokratischen Union) und Sprecher für auswärtige Angelegenheiten von TEV-DEM (Bewegung der demokratischen Gesellschaft), war vergangenen Samstag in der tschechischen Hauptstadt Prag auf Forderung Ankaras festgenommen worden. In Prag hielt er sich wegen einer wichtigen Konferenz auf. Nach zweitägigem Polizeigewahrsam wurde Muslim am Dienstag nach der richterlichen Anhörung auf freien Fuß gesetzt. Im Gespräch mit ANF sagt Salih Muslim, dass die Türkei versucht, die europäische Stimme Efrîns zum Schweigen zu bringen.
Warum waren Sie in Prag?
Wegen einer wichtigen Konferenz. Sie findet einmal im Jahr statt. Wir haben als Vertretung von Nordsyrien teilgenommen. Es gab einige Treffen.
Am wievielten Tag der Konferenz erfolgte Ihre Festnahme?
Am vierten, also letzten Tag. Die Konferenz war bereits beendet und am nächsten Morgen wäre ich abgereist.
Wo hat man Sie festgenommen?
Im Hotel.
Wer waren diese Personen und welche Gründe hat man Ihnen für die Festnahme genannt?
Das war die tschechische Polizei. Sie sagten: „Gegen Sie liegt ein Haftbefehl vor“. Es handelte sich um ein gerichtliches Dokument.
Hat man Ihnen gesagt, dass die Forderung [zur Festnahme] von der Türkei ausging?
Selbstverständlich. Sie sagten, dass diese Situation aufgrund der Forderung des türkischen Staates erfolgt.
Wie hat man Sie in Gewahrsam behandelt?
Es war eine ganz normale Prozedur. Ein [polizeiliches] Verhör fand nicht statt. Ich wurde direkt vor Gericht gestellt. Aber der Gewahrsam dauerte zwei Tage.
Sie befinden sich seit langer Zeit in Europa. Weshalb ist Ihnen diese Situation in Tschechien widerfahren? Was denken Sie darüber?
Die Organisierung der Türkei hängt von ihren nachrichtendienstlichen Beziehungen ab. Die Türkei hat ihre Beziehungen und versucht dort, wo es ihrer Meinung nach schwächelt, zuzuschlagen. Wir wissen, dass sich der türkische Geheimdienst überall in Europa breitgemacht hat. Militärische Aktionen wie in Kurdistan oder in Syrien sind in Europa nicht möglich. Das, was sie hier treiben können, sind ihre geheimdienstlichen Spielchen und Beziehungen. Sie versuchen dort, wo ihrer Meinung nach die Justizorgane schwach sind, Vorteile für sich zu ergattern. Die tschechische Justiz war jedoch aufmerksam und erkannte die Absicht. Darum wurde ich freigelassen.
Der türkische Staat hatte vor Ihrer Festnahme ein Kopfgeld auf Sie ausgesetzt. Fühlen Sie sich in Ihrer Sicherheit bedroht?
Nun, die Türkei kann tun, was in ihrer Macht steht. Man sollte dies stets erwarten. Die Türkei versucht mit schmutzigen Tricks aus Schwachstellen zu profitieren. Diejenigen, die auf Menschenjagd gehen, sind weit entfernt von Prinzipien. Nur Kriminelle verfolgen solche Dinge. Solche Aktionen finden in der Justiz, vor allem in der europäischen, keine Zustimmung.
Gab es nach Ihrer Freilassung eine Situation, die Sie als Bedrohung empfunden haben?
Wir fanden es schon verdächtig, dass die tschechische Polizei sehr strenge Sicherheitsvorkehrungen getroffen hat und daran festhielt. Es gibt also Dinge, über die wir nicht in Kenntnis gesetzt wurden, aber die tschechische Polizei informiert ist. Sicherlich wird es Gründe dafür geben, dass die tschechische Polizei strenge Vorkehrungen getroffen hat und uns weiter begleitet, bis wir das Land verlassen.
Dass Ihnen Handschellen angelegt wurden, führte zu heftigen Reaktionen.
Sie benutzten bei meiner Festnahme keine Handschellen. Erst als ich zum Gericht gebracht wurde, legte man mir für 15 Minuten Handschellen an. Als ich Einwand erhob, sagten sie, dass die Prozedur dies erfordere. Ob es etwas anderes bedeutet, weiß ich nicht. Für uns macht es keinen Unterschied, ob wir Handschellen tragen oder nicht.
Besteht ein Zusammenhang zwischen Ihrer Festnahme und der Besatzung von Efrîn?
Sicherlich. Dass die Türkei so dermaßen gereizt ist, wird am Sieg von Efrîn liegen. Die Türkei verliert dort. Der Widerstand [von Efrîn] ist großartig. Jetzt sind wir die Stimme von Efrîn in Europa. Wir sind der Aufschrei der Menschen von Efrîn, die Stimme der Frauen und Kinder. Sie haben versucht, uns zum Schweigen zu bringen, aber konnten noch nicht mal das bewerkstelligen. Sie hatten keinen Erfolg.
Wenn wir schon auf Efrîn zu sprechen kommen: Warum greift die Türkei mit Efrîn eine Region an, die international als eine der sichersten und ruhigsten Gegenden von Syrien angesehen wird?
Der Grund, warum die Türkei so gereizt ist, liegt darin, dass sie viele Gruppen wie den Islamischen Staat, die sie an anderer Stelle eingesetzt haben, verloren hat. In Kobanê wurden sie besiegt, in Raqqa ebenfalls. In Dêra Zor sind sie dabei, zu verlieren. Um das Ruder herumzureißen, ist Efrîn die letzte Möglichkeit. Dass die Terrorgruppen in Idlib an die Türkei angeschlossen sind, ist ebenfalls problematisch. Die Türkei steht unter dem Druck, eine Lösung für dieses Problem zu finden. Deshalb soll Efrîn angegriffen werden. Überreste des Islamischen Staates aus Kobanê, Raqqa und Mosul werden rekrutiert und organisiert, um Efrîn anzugreifen. Es gibt auch andere Gruppen, die sowohl aus dem Süden als auch aus dem Westen angreifen. Die Türkei möchte Efrîn erobern, die demographische Lage verändern und ihre eigenen Kräfte ansiedeln.
Werden sie Erfolg haben?
Natürlich nicht. Der Widerstand der Bevölkerung ist großartig. Egal, was passiert, die Türkei wird keinen Erfolg haben.
Warum hat sich Russland so verhalten?
Die Russen haben womöglich andere Interessen. Vielleicht liegt es am Gas-Deal, es gibt ja die Pipeline. Es gibt wirtschaftliche Interessen, die Russland zum Schweigen bringen und dazu führen, dass Russland gegen seine eigenen Prinzipien verstößt. Sie behaupten, die territoriale Integrität Syriens zu schützen. Die Türkei hat aber Şehba bereits besetzt und versucht nun Efrîn zu besetzen. Russland trägt eine Verantwortung und muss endlich etwas tun, schweigt aber aufgrund seiner eigenen Interessen.
Kann das türkisch-russische Verhältnis aufrechterhalten werden?
Ich denke, es ist nicht strategisch. Es ist eine Frage der Interessen und vorübergehend. Die Türkei wird irgendwann das Dilemma Russlands sein. Die Türkei stellt mit ihrer Politik eine Bedrohung für den Frieden in der ganzen Welt dar. Sie versucht mit schmutzigen geheimdienstlichen Tricks in Europa Erfolge zu erzielen. Die Türkei bringt sowohl dort als auch in Europa alles durcheinander. Die internationale Gemeinschaft wird das nicht lange aushalten und irgendwann Stopp sagen.
Wie wird sich die Situation Efrîns auf Regionen wie Cerablus und al-Bab auswirken, die bereits unter türkischer Besatzung stehen?
In diesen Regionen haben nicht nur Kurd*innen gelebt, sondern viele verschiedene Völker. Auch für diese Orte wird der Tag kommen, an dem niemand mehr schweigt. Diese Orte können nicht unter der Besatzung der Türkei bleiben.
Wie erklären Sie sich, dass das syrische Regime Truppen nach Efrîn entsandt hat?
Wir haben immer gesagt, dass wir ein Teil von Syrien sind. Wir möchten uns nicht von Syrien abspalten. Die syrischen Truppen haben eine Aufgabe. Der Grenzschutz ist eine Frage von Souveränität. Leider verhält sich das Regime sehr unsorgfältig.
Aus welchem Grund? Sind sie nicht in der Lage?
Ob sie nicht in der Lage sind, weiß ich nicht. Eventuell wollen sie die Zustimmung von Russland erhalten. Dafür werden schmutzige Deals gemacht.