Nach dem Sieg der Demokratischen Kräfte Syriens (QSD) über die Extremistengruppe „Islamischer Staat“ (IS) sind Tausende von ausländischen Staatsangehörigen in Gefängnissen und Lagern interniert worden. Mindestens 42.000 ausländische Frauen und Kinder, die meisten von ihnen unter zwölf Jahren, leben derzeit unter erbärmlichen Bedingungen in überfüllten Lagern im Nordosten Syriens. Um die UN-Mitgliedstaaten auf der ganzen Welt bei der Rückführung ihrer Staatsangehörigen zu unterstützen, haben die Vereinten Nationen am Mittwoch die Initiative „Global Framework“ ins Leben gerufen.
UN-Generalsekretär António Guterres wies am Mittwoch bei der Vorstellung der Initiative darauf hin, dass die Situation unhaltbar sei und „Global Framework“ eine Lösung anbiete. „Solange diese Menschenrechtsprobleme nicht umfassend angegangen werden, wird die internationale Gemeinschaft weiterhin mit langfristigen Sicherheitsrisiken konfrontiert sein", so der UN-Chef. Die Initiative biete technische und finanzielle Unterstützung, um den dringenden Bedarf an Menschenrechten und humanitärer Hilfe zu decken, und gehe auf die Belange von Justiz und Sicherheit in einer altersgerechten und geschlechtsspezifischen Weise ein, wobei auch Kinder und Opfer geschützt würden.
Nach UN-Schätzungen befinden sich in den Auffanglagern im Autonomiegebiet Nordostsyrien 30.972 irakische und 11.136 ausländische Frauen und Kinder aus rund 60 anderen Ländern. Etwa 77 Prozent der Kinder in den Lagern sind unter zwölf Jahre alt, 33 Prozent davon sind unter fünf Jahre alt. Für die UN ist deren Rückkehr sowohl aus humanitärer als auch aus sicherheitspolitischer Sicht eine Angelegenheit von nationaler und internationaler Priorität.
Mit der UN-Initiative werden zwei Ziele verfolgt: Zum einen soll auf die Bedürfnisse schutzbedürftiger Kinder und Erwachsener reagiert und ihnen geholfen werden, zum anderen sollen die ersuchenden Mitgliedstaaten dabei unterstützt werden, die Sicherheit zu fördern und durch Strafverfolgung, Rehabilitierung und Wiedereingliederung die Rechenschaftspflicht zu erfüllen.
Omar: Ein positiver Schritt
Die Autonomieverwaltung von Nord- und Ostsyrien fordert seit langer Zeit die Rückführung ausländischer Staatsangehöriger in ihre Herkunftsländer. Allein im Camp Hol bei Hesekê leben knapp 60.000 Menschen, viele davon sind aktive oder ehemalige IS-Mitglieder. In den Gefängnissen in Nordostsyrien sind fast 12.000 Islamisten aus 54 Ländern interniert. Abdulkarim Omar, Ko-Vorsitzender der Abteilung für auswärtige Angelegenheiten der Autonomieverwaltung, begrüßt die neue UN-Initiative und geht davon aus, dass damit endlich auf die jahrelangen Appelle seiner Behörde reagiert werde.
„Am 3. Juni hat eine Zoom-Konferenz stattgefunden, an der Vertreterinnen und Vertreter von fünfzig europäischen Ländern, einigen EU-Institutionen und den Außenministerien der USA und Kanadas teilgenommen haben. Wir haben gefordert, dass die Herkunftsländer insbesondere die IS-Frauen und ihre Kinder zurücknehmen“, erklärte Omar gegenüber ANHA. Die Autonomieverwaltung könne das Problem allein nicht lösen und es drohe die Gefahr, dass in den Lagern eine noch gefährlichere IS-Generation heranwachse. Die Länder, die ihre Staatsangehörigen nicht zurückführen könnten oder wollten, sollen laut Omar wenigstens die Autonomieverwaltung unterstützen, damit diese die Bedingungen in den Lagern verbessern kann.
Die Lage in Camp Hol sei zudem äußerst verworren, erklärte der Außenpolitiker: „Es gibt fast fünfzig Waisen unbekannter Identität. Manche Frauen haben über vier Kinder von verschiedenen Vätern aus verschiedenen Ländern.“
Abdulkarim Omar erinnerte daran, dass die Autonomieverwaltung zu einer internationalen Konferenz aufgerufen hat, um das IS-Problem zu lösen. Abschließend wiederholte er seine Warnung: „Die Situation in Camp Hol gleicht einer entsicherten Handgranate. Wir wissen nicht, wann sie explodieren wird. Sie wird jedoch große Wirkung auf uns und auf die internationale Gemeinschaft haben.“
Rückführungen nach Deutschland
Die Bundesregierung hat im Dezember vergangenen Jahres eine Gruppe deutscher Staatsangehöriger aus Internierungslagern im Autonomiegebiet von Nord- und Ostsyrien zurückgeholt. Dazu war das Auswärtige Amt gerichtlich verpflichtet worden. Es ging dabei um drei IS-Anhängerinnen im Alter zwischen 21 und 38 Jahren, die im Verlauf der Einnahme der letzten Bastion der islamistischen Terrororganisation in Ostsyrien im Frühjahr 2019 von den Demokratischen Kräften Syriens (QSD) aufgegriffen wurden, und zwölf Kinder, darunter sieben Waisen. Die Frauen und Kinder aus den Lagern Roj und al-Hol wurden offiziell einer deutschen Delegation übergeben und über den Flughafen Hewlêr (Erbil) in Südkurdistan ausgeflogen.
Es handelte sich um die dritte Rückführungsaktion von deutschen Staatsangehörigen aus Rojava ins Bundesgebiet. Erstmals hatte das Auswärtige Amt im August 2019 drei Waisen und ein krankes Baby von deutschen Anhängern der Dschihadistenmiliz „Islamischer Staat“ (IS) nach Deutschland zurückgeholt. Im darauffolgenden November unterzeichnete der deutsche Vizekonsul in Hewlêr, Sven Krauspe, ein Protokoll zur Rückführung für drei weitere IS-Kinder.