Die Bundesregierung hat im Dezember eine Gruppe deutscher Staatsangehöriger aus Internierungslagern im Autonomiegebiet von Nord- und Ostsyrien zurückgeholt. Dazu war das Auswärtige Amt gerichtlich verpflichtet worden. Es ging dabei um drei IS-Anhängerinnen im Alter zwischen 21 und 38 Jahren, die im Verlauf der Einnahme der letzten Bastion der islamistischen Terrororganisation in Ostsyrien im Frühjahr 2019 von den Demokratischen Kräften Syriens (QSD) aufgegriffen wurden, und zwölf Kinder, darunter sieben Waisen. Die Frauen und Kinder aus den Lagern Roj und al-Hol wurden offiziell einer deutschen Delegation übergeben und über den Flughafen Hewlêr (Erbil) in Südkurdistan ausgeflogen.
Es handelte sich um die dritte Rückführungsaktion von deutschen Staatsangehörigen aus Rojava ins Bundesgebiet. Erstmals hatte das Auswärtige Amt im August 2019 drei Waisen und ein krankes Baby von deutschen Anhängern der Dschihadistenmiliz „Islamischer Staat“ (IS) nach Deutschland zurückgeholt. Im darauffolgenden November unterzeichnete der deutsche Vizekonsul in Hewlêr, Sven Krauspe, ein Protokoll zur Rückführung für drei weitere IS-Kinder.
Obwohl es sich um ein offizielles Verfahren handelt, versuchen die Bundesregierung und insbesondere Außenminister Heiko Maas, die Benennung der Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien zu vermeiden. In der Fragestunde am Mittwoch im Bundestag hat Gökay Akbulut (DIE LINKE) explizit nachgefragt, wie sich die Zusammenarbeit der Bundesregierung mit den kurdischen Behörden in Nordostsyrien bei der Rückholung von deutschen IS-Anhänger*innen gestaltet und ob weitere Rückführungen geplant sind.
In der Antwort von Staatsminister Michael Roth heißt es: „Die Bundesregierung hat stets betont, dass sie bei der Rückholung von deutschen Staatsangehörigen aus den Lagern im Norden Syriens auf die Unterstützung verschiedener Akteure angewiesen ist. Hierzu zählen auch die kurdischen Stellen in Nordost-Syrien, mit denen die Bundesregierung bei vergangenen Rückholaktionen über Monate im Austausch stand. Im Fokus der Gespräche standen Fragen der Feststellung des Aufenthalts und Identifizierung von rückzuholenden Personen sowie logistische Aspekte.“
Merkwürdige Behauptung der Bundesregierung
Weitere Rückholaktionen, insbesondere von Kindern, seien „angedacht“, so Staatsminister Roth: „Rückführungen von Frauen werden von Stellen der kurdischen Selbstverwaltung mit Hinweis auf eigene Strafverfolgungsinteressen aber grundsätzlich abgelehnt.“
Diese Behauptung ist bereits im September von Abdulkarim Omar, Ko-Vorsitzender des Rates für auswärtige Angelegenheiten der Autonomiebehörde, dementiert worden. „Dass Deutschland die Herausgabe von IS-Frauen und Kindern eingefordert und die Autonomieverwaltung das abgelehnt hat, entspricht nicht der Wahrheit“, erklärte Omar gegenüber ANF.
Die Autonomieverwaltung hat wiederholt an die Herkunftsländer appelliert, damit diese ihre Staatsangehörigen zurückführen, gemeinsame Projekte in den Lagern durchgeführt werden und ein internationaler Gerichtshof eingerichtet wird. Der Rat für auswärtige Angelegenheiten hat bei Anfragen der jeweiligen Staaten eine offizielle Übergabe von Frauen und Kinder gewährleistet. Die wenigsten Länder erklären sich jedoch dazu bereit.
Allein im Camp Hol befinden sich laut aktuellen Zahlen 8965 Personen in dem für IS-Angehörige vorgesehenen Bereich. Die IS-Frauen stammen aus 53 verschiedenen Ländern und gehen brutal gegen „Abtrünnige“ vor. Seit Jahresbeginn sind nach ANHA-Angaben elf Personen in dem Lager ermordet worden. Die meisten Toten sind irakischer Herkunft, drei von ihnen waren Frauen. Bei einer Operation im Lager ist ein Mitglied der Sicherheitskräfte ums Leben gekommen.
Strafverfolgung in Deutschland: Ein neues Leben anfangen
Nur eine der drei im Dezember nach Deutschland gebrachten IS-Rückkehrerinnen, die 21-jährige Leonora Messing, wurde kurzzeitig in Untersuchungshaft genommen. Wegen günstiger Sozialprognose wurde sie nach wenigen Tagen wieder freigelassen und freut sich jetzt laut Medienberichten darüber, ein neues Leben anfangen zu können.
Messing werden Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland, Verbrechen nach dem Völkerstrafgesetzbuch sowie ein Verstoß gegen das Waffengesetz vorgeworfen. Der Vorwurf des Verbrechens gegen die Menschlichkeit basiert darauf, dass sie mit ihrem Ehemann zeitweise eine ezidische Frau mit zwei Kindern als Sklavin gehalten und diese weiterverkauft haben soll. Über das Schicksal der versklavten Ezidin und ihrer Kinder liegen keine Informationen vor. Vermutlich würden auch sie gerne ein neues Leben beginnen.
Leonora Messing hatte sich als 15-Jährige im März 2015 abgesetzt, um sich in Syrien dem IS anzuschließen. In Raqqa war sie „Drittfrau“ des deutschen IS-Dschihadisten Martin Lemke und bekam zwei Kinder. Lemke war in der Hierarchie des IS vom Schergen der Sittenpolizei zum Folterer des IS-Geheimdienstes aufgestiegen und galt als eines der hochrangigsten deutschen IS-Mitglieder. Im Januar 2019 wurde er zusammen mit Messing und einer weiteren Ehefrau im Verlauf der Befreiungsoffensive „Gewittersturm Cizîrê“ nahe der irakischen Grenze von den Demokratischen Kräften Syriens (QSD) festgesetzt, nachdem sie vor der Einnahme der letzten IS-Bastion Baghuz geflohen waren. Zur Rückholung Messings aus Nordostsyrien nach Deutschland war das Auswärtige Amt gerichtlich verpflichtet worden. Lemke sitzt weiterhin in einem Gefängnis im Autonomiegebiet.