Zwei Tage in den Camps der IS-Frauen
Wir haben zwei Tage in den nordsyrischen Camps verbracht, in denen IS-Frauen untergebracht sind. In den Gebieten der Autonomieverwaltung sind über 10.000 Frauen und Kinder in Lagern untergebracht.
Wir haben zwei Tage in den nordsyrischen Camps verbracht, in denen IS-Frauen untergebracht sind. In den Gebieten der Autonomieverwaltung sind über 10.000 Frauen und Kinder in Lagern untergebracht.
Der Frontenkrieg gegen den „Islamischen Staat“ im ostsyrischen Deir ez-Zor steht kurz vor dem Abschluss. Tausende Dschihadisten haben sich mit ihren Familien in al-Bagouz den Demokratischen Kräften Syriens (QSD) ergeben. Bereits vor der Massenkapitulation in al-Bagouz haben sich Hunderte Dschihadisten ergeben oder sind beim Fluchtversuch Richtung Türkei gefasst worden. Andere gerieten im Krieg in Gefangenschaft.
Die IS-Familien werden in gesonderten Bereichen der von der nordsyrischen Autonomieverwaltung unterhaltenen Flüchtlingslager untergebracht, da es in der Region keine Frauengefängnisse oder Rehabilitationszentren gibt. Neben den IS-Familien sind im Camp in Ain Issa vor allem Flüchtlinge aus anderen Teilen Syriens, im Camp Roj Flüchtlinge aus dem Irak und in Hol Geflüchtete aus beiden Ländern.
Wir haben zwei Tage lang in den Lagern Roj und Hol in der Region Cizîrê verbracht, um das Camp-Leben zu beobachten und zu den IS-Frauen zu recherchieren.
Für die Sicherheit der IS-Familien in den Camps sorgt der Asayisch, in dem es neben allgemeinen Einheiten auch reine Fraueneinheiten gibt. Der Asayisch ist gleichzeitig dafür verantwortlich, die Flüchtlinge in den Lagern und die Menschen außerhalb vor den IS-Angehörigen zu schützen. Außerdem arbeiten die Sicherheitskräfte vom Asayisch daran, die Position der IS-Familien innerhalb der Terrororganisation festzustellen. Für die äußere Sicherheit sorgen auch die bewaffneten Verteidigungskräfte.
Die Versorgung dieser Bewohnerinnen und Bewohner der Camps wird von der Autonomieverwaltung gewährleistet. Bisher haben weder die Länder, deren Staatsangehörige die IS-Familien sind, noch die Staaten der internationalen Koalition gegen den IS oder die Vereinten Nationen dazu beigetragen, diese Menschen mit Unterkunft, Nahrung, Wasser, Heizung oder anderen lebensnotwendigen Mitteln zu versorgen.
Unsere erste Station: Das Camp Roj
Zuerst fahren wir zum Camp Roj. Die IS-Frauen und Kinder sind von den Flüchtlingen aus dem Irak gesondert untergebracht. Das Lager macht einen geordneten und sauberen Eindruck. Ungefähr 400 IS-Familien halten sich hier auf, das sind etwa 2000 Menschen.
Bei unserem Rundgang durch das Camp werden wir von einer Sicherheitsbeauftragten begleitet. Viele Frauen tragen farbige Ganzkörperbedeckungen, bei manchen ist das Gesicht zu sehen. Wenn sie unsere Kamera sehen, bedecken jedoch alle hastig ihre Gesichter. Viele lassen sich auf ein Gespräch mit uns ein, aber fast keine von ihnen will dabei aufgenommen werden.
Eine türkische Frau kommt auf uns zu. Sie nennt sich Vayle und trägt keinen schwarzen Umhang, ihr Gesicht ist unbedeckt. „Ich könnte euch Sachen erzählen, die den IS erschüttern würden. Aber ich habe Kinder. Diese Leute würden uns finden und töten“, sagt sie. Wir fragen nach. „Ich möchte mit meinen Kindern zurück zu meiner Familie in die Türkei. Dort gibt es jedoch sehr viele IS-Anhänger. Sie würden uns finden und uns einen Kopfschuss verpassen“, erklärt sie.
Wir reden mit mehreren Frauen im Stehen. Eine von ihnen, die sich Fatma nennt, fragt: „Was soll aus uns werden?“ Vayle fällt ihr ins Wort: „Wenn die Türkei uns nicht will, sollten die Leute hier uns wenigstens laufen lassen, wir gehen dann selbst.“ Wir erklären ihr, dass das nicht möglich ist, weil es sich bei der Türkei um einen anderen Staat handelt und die Grenzüberquerung Gesetzen unterliegt. „Aber daran hat die Türkei doch überhaupt nicht gedacht. Sie hat uns schließlich die Grenze geöffnet, wir sind ja alle aus der Türkei gekommen. Das würde sie doch jederzeit wieder tun“, entgegnet Vayle.
„Meine Kinder sollen bei den Kurden aufwachsen“
Die Sicherheitsbeauftragte bringt uns zu einem anderen Zelt. Hier leben Frauen aus Marokko. Sie laden uns in ihr Zelt ein und bieten uns Kaffee an. Eine von ihnen willigt ein, uns ihre Geschichte zu erzählen. Filmen dürfen wir allerdings nicht. „Ich sage auch nicht meinen richtigen Namen. Schreib einfach, dass ich Sara heiße“, meint sie.
Ausführlich berichtet sie, wie sie zum IS gekommen ist. Sowohl ihre eigene Familie als auch die Familie ihres Mannes sei sehr konservativ, daher habe sie mitkommen müssen, als ihr Mann 2015 nach Syrien ging. „Mein Vater sagte immer, die Frau sei der Schuh ihres Mannes. Wohin der Mann geht, muss die Frau mitkommen. Ich konnte also auch nicht zurück zu meiner Familie, als mein Mann nach Syrien wollte.
Im „Kalifat“ hätten sie festgestellt, dass der IS den Islam gar nicht vertritt, erzählt Sara weiter. Ihr Mann wurde dazu gedrängt, in den Krieg zu ziehen, deshalb hätten sie drei Fluchtversuche unternommen. Als sie das zweite Mal erwischt wurden, musste Sara für zwei Wochen ins Gefängnis. Beim dritten Mal konnte sie sich mit 1100 Dollar aus dem Gefängnis freikaufen, aber von ihrem Mann hat sie danach nie wieder etwas gehört. Vor anderthalb Jahren gelang ihr in Deir ez-Zor die Flucht zu den Demokratischen Kräften Syriens.
„Uns geht es gut hier. Ich will nicht nach Marokko zurück. Sowohl in Marokko als auch beim IS herrscht Unterdrückung. Ich will auch nicht in die arabische Republik Syrien. Ich will in gar keinem arabischen und muslimischen Land leben. Meine Kinder sollen hier unter den Kurden aufwachsen und niemals von dem schmutzigen Gedankengut des IS infiziert werden. Mein Vater sagt, dass ich wieder nach Hause kommen kann. Wenn ich jedoch zurückkehre, wird mein Sohn so erzogen, wie mein Mann erzogen worden ist. Wenn die Leute hier mich akzeptieren, bleibe ich mit meinen Kindern hier.“
Von al-Bagouz ins Camp Hol
Nach dem Camp Roj fahren wir nach Hol, das ebenfalls in der Region Cizîrê liegt. Das Lager ist im April 2016 für Flüchtlinge aus dem Irak eingerichtet worden und viel größer als Roj. Als im Verlauf der Offensive der QSD gegen den IS das Camp Roj zu voll wurde, ist damit begonnen worden, die Frauen und Kinder der gefangengenommenen und sich ergebenden Dschihadisten nach Hol zu bringen. Auch die Zivilisten und die Frauen der IS-Anhänger, die sich in den letzten Wochen zu Tausenden in al-Bagouz ergeben haben, werden hierher transferiert. Das Camp hat eine Kapazität von höchstens 40.000, mit Stand vom 8. März befinden sich 65.000 Menschen hier.
Die Anzahl steigt täglich weiter an. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Lagers, der Kurdische Rote Halbmond (Heyva Sor a Kurdistanê) und einige Hilfseinrichtungen haben für die Neuankömmlinge eine Kantine eingerichtet und bemühen sich um die Versorgung mit Essen und Zelten. Momentan sind 6000 IS-Angehörige im Lager, die Tendenz ist steigend.
Für die neu eingetroffenen IS-Frauen ist ein neuer gesonderter Bereich eingerichtet worden. Da das Lager völlig überfüllt ist und die Bewohner sich nicht darum kümmern, ist Sauberkeit ein großes Problem. Täglich werden knapp zwanzig Tonnen Müll abtransportiert, trotzdem liegt überall Müll herum.
Sicherheitsregeln im Camp
Wir erfahren, dass Telefon und Internet für die IS-Frauen in dem gesonderten Bereich verboten sind. Den Flüchtlingen im Camp wird kein Geld abgenommen, aber das Geld und die Wertsachen der IS-Frauen werden von der Lagerverwaltung eingezogen und aufbewahrt. Sie erhalten eine Quittung dafür, die sowohl von der Verwaltung als auch von der Betroffenen unterzeichnet wird. Bargeld dürfen sie nur für den täglichen Bedarf haben.
Als wir beim Rundgang durch Hol nachfragen, wird uns erklärt, dass es sich bei dem Verbot von Telefonen, Internet und Wertgegenständen um eine Sicherheitsregel handelt. Auch uns wird nicht erlaubt, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu filmen oder zu fotografieren. Hierbei handelt es sich ebenfalls um eine Sicherheitsmaßnahme, die vor eventuellen Angriffen in der Zukunft schützen soll.
Von den QSD gut behandelt
Wir gehen zu einem Zelt, in dem sich türkische Frauen aufhalten. Sie wollen nicht gefilmt werden. Wir sprechen mit zwei Frauen aus Ankara. Eine ist ihrem Mann zum IS gefolgt, die andere mit ihrem Mann zusammen gekommen. Die Frau, die sich Şenay Ünal nennt, erläutert, dass sie vor vier Jahren vom Tod ihres Mannes erfahren hat und herausfinden wollte, ob es stimmt. Danach habe der IS nicht mehr erlaubt, dass sie in die Türkei zurückgeht. „Ich wollte weglaufen, aber ich habe keinen Weg gefunden. Es hieß immer, dass die Kurden den Frauen Schlechtes antun und ihnen die Söhne wegnehmen, um sie zu töten. Deshalb habe ich es nicht gewagt. Erst als ich gehört habe, dass das nicht stimmt, bin ich aus Hajin weggelaufen und habe mich zu den QSD geflüchtet. Wir sind bei Gott nicht von ihnen misshandelt worden. Jetzt möchte ich jedoch in die Türkei zurück, ich will zu meiner Familie“, sagt sie.
Fatma Yılmaz erklärt, sie habe eine verantwortliche Position bei der Stiftung IHH gehabt, bevor sie zum IS gekommen ist. Die IHH ist für ihre Unterstützung dschihadistischer Organisationen bekannt. Beim IS sind Fatmas vier Kinder ums Leben gekommen, sie hat vier Mal geheiratet. Sie appelliert an ihren Bruder Yusuf Ilgezdi, der AKP-Mitglied in Istanbul ist, ihr zu helfen.
Fast alle wollen in die Türkei
Fast alle IS-Frauen wollen in die Türkei. Bis auf die Frauen, die aus Syrien oder dem Irak stammen, sind alle über die Türkei nach Syrien eingereist. Einige tschetschenische Frauen haben vor ihrem Beitritt zum IS in türkischen Flüchtlingslagern gelebt und gehen davon aus, dass sie bei einer Rückkehr in die Türkei wieder als Flüchtlinge akzeptiert werden.
Wir sprechen einen Sicherheitsbeauftragten auf diese Frage an. Er sagt, dass Informationen vorliegen, dass einige der Ehemänner bereits in die Türkei geflüchtet und vom türkischen Staat in Efrîn und anderen besetzten Gebieten in Nordsyrien eingesetzt werden.
Von IS-Frauen bedroht
Dann treffen wir auf eine Frau, die von anderen IS-Frauen bedroht wird. Unsere Unterhaltung findet außerhalb des Camps statt. Ela Muhammed Ulyum ist Syrerin aus Latakia. Nach ihren Angaben ist sie mit ihrem Mann zum IS gegangen, weil er ihr sonst die Kinder weggenommen hätte. Beim IS hätte sie vor Angst das Haus nicht verlassen: „Die Frauen waren sehr unterdrückt. Wer sich nicht vollkommen in schwarz kleidete und das Gesicht nicht bedeckte, wurde bestraft. Alleine konnte man das Haus nicht verlassen, mit anderen Männern zu sprechen, war verboten. Es war erdrückend, man hat keine Luft bekommen.“
Vor ungefähr einem Monat ist Ela aus al-Bagouz geflohen und auf die QSD getroffen. Von dort aus wurde sie nach Hol gebracht. „Wir wurden von Kämpferinnen entdeckt, sie waren sehr gut zu uns. Keine Frau sollte erleben müssen, was wir beim IS erlebt haben. Im Camp sind es vor allem die ausländischen IS-Frauen, die Probleme machen. Ich bin mit offenem Gesicht einkaufen gegangen, da sind sie auf mich losgegangen. Auch meine Kinder werden von ihnen bedroht. Ich will nur noch weg vom IS. Meine Familie ist in Latakia, ich will dorthin zurück.“
Eine Mitarbeiterin des Camps sagt uns, dass Ela aus Sicherheitsgründen woanders untergebracht wird. Danach verlassen wir das Camp Hol.